Kölner Ex-OB„Mir wurde bewusst, dass Politik was mit Schauspielerei zu tun hat“

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Köln – So viele Jahrestage hatten nicht viele im Jahr 2019: Fritz Schramma (72) wurde vor 20 Jahren Erster Bürgermeister (und ab 2000 Oberbürgermeister), trat vor zehn Jahren von seiner Kandidatur zur Neuwahl zurück, feierte 2019 Goldene Hochzeit – und sein Sohn Stephan, der 2001 bei einem Raser-Unfall am Rudolfplatz sein Leben lassen musste, wäre in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden. Glück und Leid im Leben eines Menschen – da kommt vieles zusammen. Grund, sich mit dem Ex-OB in einem Café am Alter Markt zu treffen.

Sie sind vor fast 20 Jahren Oberbürgermeister von Köln geworden. Wenn Sie zurückschauen: War der Start ins neue Amt eine glückliche Zeit für Sie?

Im Gegenteil, es war schwer für mich. Harry Blum, mit dem ich seit meiner Schulzeit befreundet war, war schwer krank, ich hatte als Erster Oberbürgermeister bereits einen Teil seiner repräsentativen Aufgaben übernommen. Besonders schlimm war es dann Rosenmontag 2000. Ich stand mit meiner Narrenkappe auf der Bühne, musste „Kölle alaaf!“ grüßen, wusste aber, wie schlecht es um ihn stand. Damals wurde mir bewusst, dass Politik was mit Schauspielerei zu tun hat.

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Vor zehn Jahren sind Sie zurückgetreten. Ist danach die Zahl der Freunde zurückgegangen?

Als ich Oberbürgermeister wurde, hatte ich gefühlt zwei Millionen Freunde. Alle behaupteten, sie hätten mich gewählt und schlugen mir auf die Schulter. Als ich ging, war die Zahl sehr viel kleiner.

Hat Sie das überrascht?

Das habe ich erwartet. Ich habe auch während meiner Amtszeit jedes Dreigestirn davor gewarnt, Popularität überzubewerten. Man steht zwar lange im Fokus, doch Aschermittwoch ist das vorbei. Da kann es passieren, dass die Leute, die einem bis dahin zugejubelt haben, einen nicht mehr kennen. Es gab einige, die das nicht verstanden hatten und danach in tiefe Depressionen gefallen sind.

Sie haben das Amt fast zehn Jahre innegehabt. Wie urteilen Sie heute über die Zeit?

Ich bereue keinen Tag, ich habe das sehr gerne gemacht. Wenn ich nach Hause kam, manchmal sehr spät und kaputt, hatte meine Frau schon Nachrichten gehört und begrüßte mich mit: „Wie die über dich hergefallen sind!“ Am nächsten Morgen war sie überrascht, mit wie viel guter Laune ich wieder ins Büro ging. Ich hatte immer eine optimistische Art, bin das immer neu angegangen, und am Ende ist ja vieles gut geworden.

Haben Sie als „Ex“ noch ein Büro im Rathaus?

Nein. An dem Tag, als ich das letzte Mal als Oberbürgermeister das Rathaus verließ, war alles weg. Es war plötzlich, als sei nichts gewesen. Vor einigen Wochen ist sogar ein Brief, der an mich ins Rathaus geschickt wurde, von der Poststelle mit dem Stempel „Ausgeschieden!“ versehen und zurückgeschickt worden, obwohl der Absender „Bitte weiterleiten!“ draufgeschrieben hatte.

Überfällt Sie Wehmut, wenn Sie im Rathaus sind und Ihr altes Büro wiedersehen?

Ich habe heute nicht mehr das Gefühl, dass ich dann „mein“ Zimmer sehe. Durch den zweimaligen Amtswechsel danach wurde vieles geändert. Zuerst habe ich manchmal noch den Blick schweifen lassen und geschaut, ob noch irgendwas Persönliches da ist – war es aber nicht. Die Schrankwand, an die ich mich gewöhnt hatte, ist weg, und meine Bilder – eines des Kölners Ernst Wilhelm Nay und die Dom-Bilder von Andy Warhol – sind natürlich auch ausgetauscht worden.

Sie werden auch heute immer noch als „Herr Oberbürgermeister“ angeredet...

…und da klingt manchmal sogar eine gewisse Hochachtung mit. Das zeigt mir, dass ich nicht so schlecht gewesen sein kann, denn damit kommt auch Dank zurück. Das macht mich nicht stolz, aber glücklich. Wenn man wie ich in Köln geboren ist, ist Oberbürgermeister das schönste Amt, das man im Leben erreichen kann. Denn der wird von den Bürgern der ganzen Stadt gewählt und nicht nur von denen eines Bezirks.

Manchmal hat man den Eindruck, Sie seien heute populärer als während Ihrer Amtszeit. Spüren Sie das auch?

Das spüre ich an der Applaus-Dichte, wenn ich begrüßt werde und an der Gruß-Dichte, wenn ich durch die Stadt gehe. Ist sehr schön.

Oberbürgermeister werden in Köln immer in Ehren gehalten. Können Sie sich vorstellen, dass es eines Tages einen Fritz-Schramma-Platz gibt?

Ja, kann ich. Und wenn die Stadt und die Politiker anständig sind, sollten sie es machen.

Welchen Platz können Sie sich für sich vorstellen?

Die guten Plätze sind alle schon besetzt. Aber manchmal entstehen neue Plätze, so ja auch irgendwann zwischen Wallraf-Richartz-Museum und der Mikwa. Vielleicht wäre der ja was. Aber ich bin da ziemlich leidenschaftslos, das wird ja entschieden, wenn ich nicht mehr bin.

Gerade wurde uns im TV- Film „Der König von Köln“ gezeigt, wie das mit dem Klüngel in Köln funktioniert – da ging es auch um Vorgänge, die in Ihrer Amtszeit hätten spielen können, und mit „König“ Josef Asch war offensichtlich Bauunternehmer Josef Esch gemeint. Wie haben Sie Klüngel erlebt?

Ich bin froh, dass ich nichts Krummes gemacht habe. Ich habe nie einen Cent genommen, bin nie bestochen worden. Und ich bin „Onkel Jupp“, wie Herr Esch gern genannt wurde, nur einmal begegnet und habe danach nie mehr was mit ihm zu tun gehabt.

Eines Ihrer Kölner „Kinder“ ist die Veranstaltung „Kölner Lichter“, die aus Umweltgründen immer öfter kritisiert wird. Verstehen Sie das?

Ich bedauere es etwas, dass das jetzt so ist und würde nur ungern drauf verzichten. Ich finde, dass so ein Feuerwerk wirklich toll ist, eine Lasershow könnte es nicht ersetzen. Dafür ginge ich nicht an den Rhein. Ich habe die Kölner Lichter übrigens schon in meinem ersten Wahlprogramm eingefordert und finde, dass sie eine tolle Veranstaltung geworden ist.

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Ein anderes „Kind“ ist die Moschee in Ehrenfeld. Was empfinden Sie, wenn Sie dran vorbeikommen?

Vom Gebäude bin ich immer noch begeistert. Weniger begeistert war ich allerdings damals von der Einweihung, vor allem, als sich Erdogan rein-drängte und der Ditib-Vorstand sich nicht sehr stark für die Stadt einsetzte. Da war sich sehr enttäuscht – aber das ist abgearbeitet für mich. Ich glaube aber nicht, dass ich mich heute – nach diesen vielen Veränderungen ins Negative in der Türkei – noch so stark für sie machen würde.

Als OB und Ex-OB sind Sie immer in der Öffentlichkeit. Können Sie überhaupt mal in Ruhe in der Kneipe ein Kölsch trinken?

Die Gaststätten, die ich besuche, haben immer bestimmte Eckplätze für mich. Theke geht nicht, wenn ich mal meine Ruhe haben will. Ich habe mit meinen alten Fußballfreunden einen kleinen Stammtisch in der Altstadt. Das ist manchmal ungemütlich für uns, denn jeder zweite, der reinkommt, kennt mich ja. 

An den Fußball-Stammtischen dieser Stadt gibt es zurzeit eine beherrschende Frage: Sollte Poldi noch mal beim FC spielen?

Ob das mit dem Spielen noch klappt, kann ich nicht beurteilen. Aber er sollte dem FC auf jeden Fall in irgendeiner Funktion dienen. Nachdem Wolfgang Overath oder Toni Schumacher nicht mehr dabei sind, fehlt ein sportliches Element in der Spitze, eines, mit dem sich die Kölner identifizieren können. Und da wäre Poldi der Richtige. So eine starke Identifikationsfigur fehlt mir zurzeit übrigens auch der Mannschaft.

Mittlerweile können viele Kölner die Mannschaften vor 20 Jahren besser benennen als die aktuelle...

Das gilt aber nicht nur für den FC, sondern für viele Bundesligamannschaften. Es werden ja immer mehr Mannschaften zusammen gekauft. Ich bin immer froh, wenn beim FC noch zwei, drei Kölner dabei sind – wobei ich das Umfeld, ob Düren oder Bergisch Gladbach, auch dazu rechne. Da sind wir Kölner großzügig.

Wenn Sie heute wieder Oberbürgermeister wären – was sollte anders sein?

Ich finde es schlimm, dass man als OB einer so großen Stadt seine engsten Mitarbeiter nicht selbst aussuchen kann. Da hat man dann Leute um sich, die „Ja“ sagen, aber denen man ansieht, dass das „Ja“ mit ihrer eigenen Fraktion danach kaputt machen wollen. Das macht dann nicht sonderlich viel Spaß.

Wann haben Sie das selbst erfahren?

Zum Beispiel, als ich eine Wache für den Dom vorgeschlagen habe. Die sollte dafür sorgen, dass es drum herum sauber und sicher bleibt. Damals hat mir mein Stadtdirektor ganz offen gesagt: „Ich mache das, was Sie wollen – aber es wird sicher nicht durchkommen!“ Und beim Archiveinsturz habe ich das Inferno erlebt. Da hatte ich eine Phalanx gegen mich, und alle, die noch mehr Verantwortung trugen, duckten sich im entscheidenden Moment weg. Alle haben ein Opfer gesucht.

Sie sind nach dem Einsturz von einer neuen Kandidatur zurückgetreten. Hat Sie das schwer getroffen?

Ja, natürlich. Aber es ist eine bewusste Entscheidung – ich habe mir gesagt „Jetzt ist gut. Jetzt mache ich Schluss damit!“ Denn vieles, was mir nachgesagt wurde, war sehr hässlich. Besonders schlimm war es, weil zwei junge Leute ums Leben gekommen waren. So kam zusätzlich meine persönliche Lebensgeschichte ins Spiel, denn der Einsturztag lag dicht am Todes-Jahrestag unseres Sohnes Stephan.

Ihr Sohn wäre in diesem Jahr 50 geworden. Wie haben Sie seinen Geburtstag gewürdigt?

Wir waren erst gemeinsam bei ihm auf dem Friedhof und haben dann gemeinsam an ihn gedacht und über ihn gesprochen. Aber wir haben mit dem, was passiert ist, unseren Frieden geschlossen. Dabei hat uns auch die Arbeit für unsere Kölner Opfer-Hilfe geholfen, die seine besondere Hinterlassenschaft für uns ist.

Wie meinen Sie das?

Zwei Wochen vor seinem Tod hat er meiner Frau empfohlen, sich sozial zu engagieren. Er war ja junger Anwalt, und ihm war aufgefallen, dass bei den Urteilen die Opfer oft zu kurz kommen, und die Richter alle möglichen Entschuldigungsgründe für die Täter suchen. So werden die Opfer noch mal bestraft. Dieses Gespräch war der Beginn der „Kölner Opfer-Hilfe“.

Der schreckliche Unfall ist jetzt fast 19 Jahre her, Sie kämpfen seitdem aktiv gegen die Raserei und die Rennen auf den Straßen. Sehen Sie Änderungen im Bewusstsein der Raser?

Nein. Es ist unfassbar, dass sich immer wieder junge Männer zu solchen Rennen verabreden und ohne jede Rücksicht auf andere losrasen.

Man hört oft, das sei spontan und nicht verabredet…

Das glaube ich nicht. Wir sehen ja, dass die Täter ihre Autos meist aufgemotzt oder PS-starke Wagen gewählt haben. Es ist speziell für die Betroffenen unerträglich, mit welcher Milde viele Raser von Gerichten behandelt werden, selbst wenn Menschen ihr Leben verloren haben. So werden die Menschen, die zurückbleiben, noch mal bestraft. Wir haben es selbst erlebt, als wir nach 52 Prozesstagen rausgingen und dann in die grinsenden Gesichter der Täter sehen mussten.

Sie kennen Ihre Frau über 50 Jahre, haben in diesem Jahr Goldene Hochzeit gefeiert. War sie eigentlich immer mit ihrer Karriere und der damit eingehenden Einsamkeit einverstanden?

Ja, sie war und ist immer eine gute Partnerin. Sie hat gern mitgemacht und macht gern mit. Wir sind glücklich miteinander. Zu unserer „Goldenen“ haben wir in St. Ursula einen Dankgottesdienst besucht.

Sie sind 72 und damit kommt man in ein Alter, in dem man auch schon was ab- und aufgibt. Sie auch?

Ich habe dieses Jahr fünf verschiedene Sachen freiwillig abgegeben und nur zwei dazu genommen – aber auch nur für ein Jahr.

Auch schon mal dran gedacht, den Führerschein abzugeben?

Nein, ich möchte ihn noch einige Zeit behalten. Aber wenn ich beim Fahren eine Unsicherheit spüre, dann ist es vorbei.

Je älter man wird, desto mehr rückt auch der Abschied vom Leben ins Bewusstsein. Wie ist es bei Ihnen?

Ja, ich denke da natürlich auch dran. Ich bin bei vielen Beerdigungen und manchmal denke ich, dass ich das, was ich da gerade erlebe, nicht bei mir haben möchte. Ich wünsche mir auch nicht, in einem Karnevalskostüm und mit kölscher Musik verabschiedet zu werden. Dann lieber ein Lied von Queen – zum Beispiel „Who wants to live for ever“ oder „The Show must go on!“ Das sind Songs, die mir immer sehr nahe gingen.

Haben Sie sich schon den Spruch für den Grabstein ausgesucht?

Nein. Da sollen sich andere Gedanken machen.

Die letzte Frage geht an einen echten Kölschen – was ist das Allerkölscheste von Köln?

Die Stadt – ihre Menschen – ihr Image. All das ist nie ganz perfekt. Aber gerade deshalb liebe ich dieses Köln. Köln ist einfach menschlich!

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