Kölner Gerichte überlastetJahrelanges Warten auf Prozess um erstochenen Jugendlichen

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Der Tatort im April 2012:  Auf dem Wohnwagenplatz erstach Klaus P. einen Schüler.

Köln – Klaus P, so hat es  der Richter schon in seiner Urteilsbegründung beschrieben, ist ein kranker, gebrochener Mann.  Er ist es bis heute. Vor sechs Jahren hat P. auf dem Takufeld in Neuehrenfeld einen Jugendlichen im Streit erstochen. Vor fünf Jahren verurteilte das Kölner Landgericht P. wegen Totschlags zu fünf Jahren Gefängnis. Im November 2013 hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil wegen eines Formfehlers auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung zurück ans Landgericht. Geschehen ist seitdem nichts mehr.

Seit geschlagenen viereinhalb Jahren wartet Klaus P. nunmehr auf einen neuen Prozess – das Ende ist nicht absehbar, ein Termin nicht in Sicht, bestätigt ein Gerichtssprecher. Der Grund: Die Schwurgerichtskammern in Köln sind überlastet.

„Das ist ein absolutes Unding“, schimpft P.s Anwalt Abdou Gabbar. Marco Heymann, der zweite Verteidiger von Klaus P., ergänzt: „Der ursprüngliche Vorwurf lautete immerhin auf Mord. So lange das Verfahren nicht abgeschlossen ist – und zwar aus unserer Sicht mit seiner vollen strafrechtlichen Entlastung – ist mein Mandant weiterhin stigmatisiert.“

Verteidiger forderten Freispruch

Heymann und Gabbar hatten im ersten Prozess einen Freispruch für ihren Mandanten gefordert. Der 64-Jährige hatte im April 2012 auf dem Wohnwagenplatz an der Takustraße den 15-jährigen Marlon H. mit einem Messer so schwer verletzt, dass der Schüler an den Folgen starb. Vorausgegangen war  eine dauerhafte Fehde zwischen P. und der Familie des Opfers.

Marlon sei ihm „regelrecht ins Messer gelaufen“, hatten Heymann und Gabbar argumentiert und von einem „tragischen Unfall“ gesprochen. Nach 14 Verhandlungstagen und umfangreichen Zeugenaussagen war der Staatsanwalt in seinem Plädoyer vom Mordvorwurf abgerückt und hatte zehn Jahre Haft wegen Totschlags beantragt.

Richter versäumte es, dem Angeklagten ein Tatort-Foto zu zeigen

Das Gericht attestierte Klaus P., die Tat sei ihm „wesensfremd“, es verhängte fünf Jahre Haft. Aber weil der Vorsitzende Richter es im Prozessverlauf versäumt hatte, dem Angeklagten ein Tatortfoto zu zeigen, was zuvor in dessen Abwesenheit auch einer Zeugin vorgelegt worden war, kassierte der BGH das Urteil im November 2013 auf Antrag der Verteidigung.

Klaus P. kam daraufhin  nach 21 Monaten aus der Untersuchungshaft frei. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.

Vom Takufeld ist der 64-Jährige längst weggezogen. Nicht zu wissen, wann sein Verfahren beginnt, mache ihm schwer zu schaffen, sagt Anwalt Heymann. „Er ist in einem fortgeschrittenen Alter und gesundheitlich angeschlagen.“ Auch wegen des Vorfalls sei P. in psychologischer Behandlung.

„So lange das Verfahren nicht abgeschlossen ist, tritt er auch in therapeutischer Hinsicht auf der Stelle.“ Vor allem für die Eltern des getöteten Marlon sei es „ein Albtraum“, dass ein Ende des Verfahrens nicht in Sicht sei, sagt ihr Rechtsanwalt Frank Hatlé. „Es ist entsetzlich für sie, dass die juristische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist.“

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Ortstermin im März 2013: Das Gericht verschafft sich einen Eindruck vom Tatort.

Eine Folge besonders langwieriger Verfahren ist nicht nur, dass Täter aus der Untersuchungshaft freikommen, manche Verurteilte bekommen wegen der zusätzlichen Belastung später auch einen Strafrabatt.

Landgerichtssprecher Jan Orth bestätigt: Die extrem hohe Belastung vor allem der Schwurgerichtskammern sei wegen einer Vielzahl von Eingängen umfangreicher Haftsachen „angespannt“.  Zur Frage, wie viele Schwurgerichtsverfahren insgesamt seit vier oder mehr Jahren anhängig sind, will er sich nicht äußern: „Das ließe womöglich Rückschlüsse auf die Arbeitsweise einer konkreten Richterin oder eines konkreten Richters zu“, erklärt Orth. Wegen des „hohen Guts“ der richterlichen Unabhängigkeit entspreche es daher bundesweiter Handhabung, solche Informationen nicht zu veröffentlichen. 

Lange Bearbeitungszeiten wie im Fall Klaus P. seien „einzelne Fälle“, die man bedaure, aber im Blick habe: „Wir tun alles, um solche Verfahren zügig abzuarbeiten.“

Schwurgerichtskammern sind zuständig für schwere Kapitaldelikte, also Mord und Totschlag. Noch vor drei Jahren gab es gerade mal zwei Schwurgerichtskammern am Landgericht Köln, dazu eine weitere für Jugendstrafsachen. Heute sind es fünf: Mit dem Haushaltsgesetz der Landesregierung 2015 bekam das Kölner Landgericht sechs neue Richterstellen zugewiesen, aus diesem Personal wurde eine Schwurgerichtskammer neu geschaffen, außerdem unterstützen derzeit eine so genannte Hilfsstrafkammer sowie die Jugendkammer die bestehenden in Verfahren gegen Erwachsene.

„Seitdem kommen wir zumindest in der Bearbeitung von Haftsachen gut hin“, sagt Orth. Auch der Bestand an  „Nicht-Haftsachen“, bei denen der Angeklagte nicht in Untersuchungshaft sitzt, habe „deutlich“ verringert werden können.

Richterbund fordert spürbare Aufstockung

Der Deutsche Richterbund (DRB) fordert von der Politik schon lange eine spürbare personelle Aufstockung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften. NRW-Justizminister Peter Biesenbach hat zuletzt konkrete Ideen geäußert, Gerichte zu entlasten: So will der CDU-Politiker Schwarzfahren nicht mehr als Straftat einstufen, sondern als Ordnungswidrigkeit. Voriges Jahr wurden in NRW 16 000 Menschen wegen Schwarzfahrens verurteilt.

Für eine Reform  müssten Gesetze auf Bundesebene geändert werden. Darüber hinaus hat Biesenbach angekündigt, 1135 neue Stellen bei der Justiz schaffen zu wollen. Allein 194 Richter und Staatsanwälte sollen eingestellt werden.

Besserung in Sicht

In Köln sind immerhin Tendenzen zur Besserung erkennbar. Gingen 2015 noch 46 neue Verfahren bei den Schwurgerichtskammern ein, 2016 sogar 50, waren es im Vorjahr nur 35. Und auch Klaus P. darf hoffen: Die 11. Große Strafkammer, die seinen Fall verhandeln wird, soll ab Mai keine neuen Fälle mehr dazu bekommen, kündigt Orth an. Sie soll Zeit bekommen, die Rückstände abzubauen.

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