Kölner Schallplattenhändler„Musik kann ein Schutz für die Seele sein"

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Stefan Brück zwei Kaffee

  • Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?
  • Dieser Frage geht Susanne Hengesbach regelmäßig nach. Heute geht es um einen Gewinner aus der Pandemie: die Schallplatte.
  • Der Kölner Stefan Brück: Gemeinsam Musik zu hören bedeutet nichts anderes, als sich gegenseitig das Leben erzählen.

Köln-Innenstadt – Auf meinem Spaziergang durchs Cäcilien- und Pantaleonsviertel komme ich heute am Weidenbach vorbei, wo ein Mann draußen auf einer Fensterbank sitzt und so beseelt Richtung Himmel schaut, dass ich ihn ansprechen muss. Ich nehme an, der zufriedene Gesichtsausdruck ist der Sonne geschuldet. Nein, es ist etwas anderes, wie ich später erfahre.

Es kostet mich etwas Überredungskunst, die freundliche Einladung des Kölners zu einem Espresso in seinen kleinen Hifi-Laden auszuschlagen und darauf zu pochen, dass ich die Einladende bin, dann hängt er das „Bin in einer Stunde zurück“-Schild an die Tür und begleitet mich zur „Kaffee-Faktur“ am Salierring. Hier erzählt Stefan Brück, wie er die letzten drei Stunden verbracht hat und weshalb sie ihn so glücklich gemacht haben.

Die furchtbaren Bilder vom Krieg vergessen

Er hatte einen Termin mit einem etwa gleichaltrigen Kunden, der sich für einen guten Plattenspieler interessiert, berichtet der 56-Jährige. Um vertraute Klänge vergleichen zu können, habe der Mann eigene Platten mitgebracht. „Welche?“, frage ich. – „Unter anderem eine Beethoven-Einspielung mit Bernstein und ein Queen-Album.“ Dieses gemeinsame Hören sei so toll gewesen, schwärmt der gebürtige Ehrenfelder. „Auch, weil man währenddessen die furchtbaren Bilder aus dem Fernsehen vergessen konnte.“ Erst die Pandemie und jetzt der Krieg nur anderthalb Flugstunden entfernt, da brauche der Mensch unbedingt etwas, was „ihn vor dem fiesen schwarzen Loch rettet“, ist Brück überzeugt. „Das kann ein Waldspaziergang sein, was lecker Gekochtes oder das gezielte Hören eines Albums, in dem man etwas wiederentdeckt; vielleicht eine schöne Zeit, die man erlebt hat. Und plötzlich ist es 1979.“

Im Keller die Schallplatten wiedergefunden

Der Kölner spielt mit dieser Jahreszahl auf das Erscheinungsdatum einer seiner ersten LPs an: „The Wall“ von Pink Floyd. Mit jemandem Musik zu hören, sei nicht anderes, als sich gegenseitig sein Leben zu erzählen, so der 56-Jährige. Aus seiner Sicht haben die beiden Corona-Jahre vor allem eine Gewinnerin hervorgebracht: die Vinyl-Scheibe.

„Die Leute waren gefesselt in den eigenen vier Wänden. Irgendwann war man mit dem Renovieren durch.“ Bezeichnend für solche nachdenklichen Zeiten sei, dass man sich mit seiner Vergangenheit beschäftige. „Man findet im Keller die Platte wieder, die man sich vor 35 Jahren gekauft hat.“ Brück lächelt. Ich denke in Jahrzehnte-Schritten zurück. „Wahrscheinlich gibt es kaum jemanden, der nicht bei Santanas 'Samba Pa Ti' Klammerblues getanzt hat“, sage ich. Jetzt lachen wir beide.

„Die kommen bei mir in die Platten-Waschanlage“

Die Scheiben aus dem Keller dürften inzwischen etwas angestaubt sein“, wende ich ein. „Die kann man mir bringen, und sie kommen in die Plattenwasch-Anlage“, sagt der Einzelhändler und unterstreicht, dass Vinyl an sich fast unzerstörbar sei. Dann erzählt er von Kunden-Erlebnissen der vergangenen Monate: Gestandene Geschäftsführer, die hier von ihrer Kindheit erzählt haben. Frauen, die bei einer bestimmten Musik in Tränen ausgebrochen sind und sich dafür entschuldigten.

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Stefan Brück selbst empfindet solche Reaktionen als Kompliment und Bestätigung. Der gelernte Elektrotechniker, der lange im Bereich Gebäudetechnik tätig war, bevor er seinen kleinen Hifi-Laden als Ein-Mann-Betrieb eröffnete, arbeitet nach eigenen Worten nicht, um Kunden „technische Daten runterzurattern“. Er möchte „mit Menschen zu tun haben" und nehme sich dafür extrem viel Zeit.

Junge Leute kehren zur Stereo-Anlage zurück

Immer öfter kämen ganz junge Leute in seinen Laden. Paare, die eine „richtige Anlage mit zwei Lautsprechern“ für ihre erste Wohnung wollten. Oder Leute seines Alters, die in der Pandemie das bewusste Musikhören wiederentdeckt hätten. Das klingt so, als würden Sie Produkte mit heilender Wirkung verkaufen“, stelle ich fest. Brück lächelt wieder. „Ich würde das nie so sagen, weil es überheblich klingt, aber es ist was dran.“

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