„Die Hemmschwelle sinkt“Verwahrlosung rund um Kölner Dom nimmt zu – Geschäftsmann verzweifelt

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Obdachlose auf dem Breslauer Platz

Obdachlose sind am Breslauer Platz und in der Umgebung des Doms allgegenwärtig.

Ein Imbissbetreiber weiß sich nicht anders zu helfen und hat eine Sprenkelanlage installiert, um Obdachlose zu vertreiben.

Die Stehtische vor dem ultramarinblauen Schnellimbiss von Serwar Zeki am Breslauer Platz sind an diesem Mittag fast alle besetzt. Vor dem Eingang zum Hauptbahnhof gegenüber lagern Obdachlose. Ein Mann bahnt sich mit starrem Blick den Weg durch eine Schülergruppe und führt Selbstgespräche. Vor der Unterführung Richtung Dom liegen Trinkende.

„Touristen fragen mich immer wieder, warum nichts dagegen unternommen wird, dass die hier sind“, sagt Zeki, seit acht Jahren Pächter des Imbisses. Es gehe nicht um die Obdachlosen an sich: „Das Problem ist, dass sie Müll hinterlassen. Dass sie manchmal direkt vor die Container der Bundespolizei pinkeln. Dass sie aggressiver werden, je länger der Tag dauert – und damit nicht nur Touristen und Pendler verschrecken, sondern auch die vielen Kinder und Jugendlichen, die hier in der Nähe zur Schule gehen.“

Verwahrloste Menschen gehören in Köln längst zum Stadtbild

Die Szenen am Breslauer Platz sind nur ein kleiner Ausschnitt: In der Unterführung zum Dom stinkt es nach Urin. Vor einer Mahnwache für politische Inhaftierte am Bahnhofsvorplatz schreit eine taumelnde Frau mit glasigem Blick, offenbar vollgepumpt mit Drogen. Berauschte liegen auf der Mauer am Ebertplatz. Auf dem Chlodwigplatz sitzen Komatrinker und Drogensüchtige unter Bäumen, am Neumarkt, Barbarossaplatz und Deutzer Bahnhof gehören Bettler, Obdachlose und Drogensüchtige zum Stadtbild. Längst meiden Stadtführer bestimmte Orte, um Touristen nicht zu viel Elend zuzumuten.

Der blaue Schnellimbiss am Breslauer Platz. Im Hintergrund ein Eingang zum Hauptbahnhof.

Hinter dem Imbiss am Breslauer Platz lagern keine Obdachlosen mehr - Pächter Zerwar Zeki hat eine Sprenkelanlage installiert.

Dass Beschwerden über aggressive Bettelei, exzessiven Alkoholkonsum und Hinterlassenschaften zunehmen und die Forderung nach einer Verdrängung von Obdachlosen den extrem Rechten in die Karten spielt, mahnt Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister für die Innenstadt, seit mindestens sechs Jahren an. Viele Anträge der Bezirksvertretung Innenstadt seien nicht weiterverfolgt worden. „In Gesprächen mit Ratsmitgliedern, von denen mehr als 95 Prozent nicht in der Innenstadt leben, höre ich oft: Bei uns in Lindenthal, Rodenkirchen oder Marienburg haben wir damit zum Glück keine Probleme“, sagt Hupke. Diese Haltung sei „fatal“. „Wir dürfen den Rechten das Thema nicht überlassen.“

Auch die frühere Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner hatte sich im „Kölner Stadt-Anzeiger“ erschrocken gezeigt und es „schwarzes Loch der Unzuständigkeit“ genannt: „Nicht meine Sache. Sollen doch die anderen zusehen.“

Kölner Bezirksbürgermeister fordert Anlaufstelle für Beschwerden

Hupke wünscht sich eine so genannte „Punktdienststelle“ für Obdachlosenfälle mit Fachleuten aus Ordnungsamt, Sozial- und Gesundheitsbereich, die auch für Beschwerden von Bürgern da wäre. Ein entsprechender Vorschlag wird in der nächsten Sitzung der Bezirksvertretung Innenstadt diskutiert. Es brauche einen Zusammenschluss aller Beteiligten aus Verwaltung, Kirchen, Sozialverbänden, Bürgern – und „liebevoller Strenge im Umgang mit verwahrlosten Menschen“, so Hupke.

„Menschen, die verwahrlost sind und als nicht therapierbar gelten, müssen in Köln ihre Würde behalten können – dürfen aber nicht länger als derart störend wahrgenommen werden, dass menschenverachtende Positionen wie die, man solle sie mit einem Bus abtransportieren und irgendwo vor der Stadt abladen, mehrheitsfähig werden.“

Bürgermeister Innenstadt Andreas Hupke im Porträt

Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister für die Innenstadt, kritisiert die Ratspolitiker.

Vertreter der Stadtgesellschaft bemühen sich um einen diplomatischen Ton – viele wünschen trotzdem ein härteres Durchgreifen. „Obdachlosigkeit in deutschen Innenstädten hat in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen“, sagt etwa Jürgen Amann, Geschäftsführer von Köln-Tourismus. „Bannmeilen als vermeintliche Lösung müssen sorgfältig geprüft werden. Die bloße Verdrängung löst das Problem nur zum Schein.“

Er würde sich mehr Kontrollen und die Möglichkeit von Platzverweisen wünschen, sagt Udo Zorn, Geschäftsführer des Café Zorn mit Läden in der Schildergasse und am Neumarkt. „In der Schildergasse gibt es viele organisierte und aggressive Bettler, die unsere Kunden massiv belästigen – und man hat seit Jahren den Eindruck, es passiert nichts.“

Die Hemmschwelle für offensichtlichen Drogenkonsum, Lagereien, Wildpinkeleien, Verunreinigungen und Schmierereien sinkt
Annett Polster, Geschäftsführerin Stadtmarketing Köln

„Die Hemmschwelle für offensichtlichen Drogenkonsum, Lagereien, Wildpinkeleien, Verunreinigungen und Schmierereien an den Hausfassaden oder in den Eingangsbereichen der Geschäfte sinkt“, meint Annett Polster, Geschäftsführerin von Stadtmarketing Köln. „Trotz einzelner Maßnahmen hat sich die Situation in der City in den vergangenen Jahren nicht verbessert.“

Viele der Obdachlosen, die tagsüber vor den Geschäften in der Schildergasse und auf der Hohe Straße sitzen, schlafen nachts vor den Schaufenstern. Einige werden toleriert und halten sich an Vereinbarungen, hinterlassen keinen Müll und räumen ihr Lager, bevor die Geschäfte öffnen. Andere Pächter müssen Hinterlassenschaften beseitigen, Eingänge und Schaufenster morgens erst reinigen.

„Für die Eigentümer der betroffenen Objekte wird es nicht nur immer teurer, Sauberkeit und Ordnung wiederherzustellen. Es sind auch immer weniger Mitarbeiter bereit, diese Aufgabe zu übernehmen“, sagt Polster. „Mieter sehen diese Entwicklungen als Qualitätsmängel, die teilweise sogar Mietkürzungen nach sich ziehen.“

Stadt Köln will neue Regeln für den öffentlichen Raum beschließen

Auf die Frage, was getan werden könnte, damit sich Menschen bei der Ankunft an Hauptbahnhof, Dom und in den großen Einkaufsstraßen wohlfühlen, antwortet die Stadt zunächst mit dem Verweis darauf, was es schon gebe: ein „ausdifferenziertes Unterstützungssystem für Menschen in prekären Lebenslagen“ nämlich. Gerade am Hauptbahnhof gebe mit Bahnhofsmission, Beratungsstelle des Sozialdienstes katholischer Männer und Überlebenszentrum Gulliver Angebote, die auf Wohnungsprojekte, Notschlafstellen und Wohnheime hinwiesen. Auch ein Team aus Streetworkern und acht Beratungsstellen versuche, die Menschen dazu zu bewegen, die Angebote zur Grundversorgung anzunehmen. Leider nehme nicht jeder Obdachlose die Hilfe an.

Aggressives Betteln und Lagern verbietet die Kölner Stadtordnung schon lange. In den kommenden Wochen will der Verwaltungsvorstand neue Regeln für den öffentlichen Raum beschließen. Im Kern geht es darum, dass niemand durch andere gefährdet, behindert, belästigt oder gestört werden soll und öffentliches Gut weder verunreinigt noch beschädigt werden darf.

Verzweifelter Imbissbetreiber

Imbissbetreiber Serwar Zeki sagt, dass Drogenabhängige nicht wenige seiner Kunden verschrecken würden. Bis vor zwei Jahren hätten Obdachlose oft auf der Rückseite seines Schnellrestaurants geschlafen. „Ich habe dem Ordnungsamt 1000 Mal geschrieben, aber sie können nicht mehr tun, als die Menschen wegzuschicken, die dann am nächsten Abend wieder da sind“, sagt er.

Der Pächter hat sich anderweitig beholfen: Wenn Menschen an der durch ein Dach geschützten Wand hinter seinem Schnellrestaurant schlafen wollen, werden sie nass. Zeki hat Wasserrohre auf dem Dach mit Löchern versehen – er muss nur einen Hebel betätigen, um es regnen zu lassen und so ungebetene Gäste zu vertreiben. „Ich wusste mir nicht anders zu helfen“, sagt er.

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