Seit mehr als 30 Jahren in der StadtKölner Juristin macht Liebeserklärung an das „laute und dreckige Köln“

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Grauhaarige Frau im Straßencafé mit einem Espresso

Angelika Kreis ist Juristin

Was erzählen Menschen, wenn man sie anspricht und zum Kaffee einlädt? Dieser Frage geht Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“ nach.

Liebeserklärungen sind in der Regel mit der Konjunktion „weil“ verbunden – nur eben nicht in Köln, wie ich bei den Unterhaltungen für diese Rubrik häufig feststelle. Anstelle eines Bekenntnisses „Ich liebe Köln, weil…“ , benutzen meine Gesprächspartner eine konzessive Satzverbindung und greifen zur „Obwohl-Formulierung“. Meine heutige Gesprächspartnerin ist ein typisches Beispiel: „Ich liebe diese laute, dreckige, unvollkommene Stadt!“, schwärmt Angelika Kreis und setzt noch einen drauf: „Ich finde Köln toll, obwohl es eigentlich zum Heulen ist!“

Nachdem das raus ist, lachen wir beide, und ich möchte natürlich unbedingt wissen, was die gebürtige Wuppertalerin vor 34 Jahren dazu bewogen hat, von der Schwebebahn zu den Kölner Verkehrsbetrieben zu wechseln. „Ich habe mit 16 Jahren entschieden, dass ich Juristin werden muss.“ Ausschlaggebend für sie als Schülerin sei damals ein Richter am Landgericht gewesen, der „dermaßen faszinierend über seine Arbeit erzählt“ habe, dass sie beschloss: „Da muss ich mehr drüber wissen.“

Menschen erstmal vorurteilsfrei begegnen

Ihre Eltern seien alles andere als begeistert gewesen; die Mutter, die seinerzeit nicht studieren durfte, fand ein derartiges Ansinnen bei ihrer Tochter unnötig. Kreis erzählt, dass sie lange für die gesetzliche Unfallversicherung tätig war. „Mir ging es immer um Menschen.“ Die 63-Jährige erzählt von Fällen, bei denen jemand einen schlimmen Unfall erlitten hatte und wie sie versuchte, einem solchen Menschen zu seinem Recht zu verhelfen. „Das gelingt nicht immer“, räumt sie ein, aber sie habe auch bei ihrer späteren Tätigkeit für einen Verein der freien Straffälligen-Hilfe immer versucht, „den Menschen erstmal vorurteilsfrei zu begegnen“.

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Sie habe Männern oder Frauen, nachdem sie aus der Haft entlassen worden waren, bei der Wiedereingliederung und Wohnungssuche geholfen. „Mit manchen habe ich auch gesessen und schreiben geübt.“

„Eigentlich müsste man die Strafmündigkeit auf 20 hochsetzen“

Wenn man, wie mein Gegenüber, immer wieder Berührung mit Menschen am Rande der Gesellschaft hat, sieht man viele Dinge anders. Kreis ist beispielsweise absolut dagegen, die Strafmündigkeit herabzusetzen, was immer wieder diskutiert wird, wenn Kinder Täter werden – wie im Fall einer Zwölfjährigen in Freudenberg, die von zwei Mitschülerinnen durch Messerstiche getötet wurde. Die Juristin bezieht sich auf Studien über die Gehirnentwicklung von Menschen und sagt: „Eigentlich müsste man die Strafmündigkeit auf 20 Jahre hochsetzen.“ Außerdem müsse in den Schulen viel mehr gemacht werden. „Da muss Geld investiert werden. Menschen gehen ja nicht von heut auf morgen mit dem Messer aufeinander los. Da gibt es doch eine Entwicklung.“

Mit einer Herabsetzung der Strafmündigkeit erreiche man nur eines: „Da hab ich dann noch mehr Leute im Knast sitzen.“ Die 63-Jährige wünscht sich mehr Präventionsarbeit. Sie ist dafür, Geld, das im Strafvollzug eingesetzt wird, vorher zu investieren. Sie verweist aber auch darauf, dass es im menschlichen Miteinander einfach Regeln gebe, die eingehalten werden müssten. Wenn ihr beispielsweise ein Jugendlicher erkläre, „wenn ich schwarzfahre, schädige ich doch niemanden“, sage sie deutlich: „Doch, mich! Denn ich bezahle dein Schwarzfahren mit!“

Für Schwarzfahrer, wende ich ein, könne ich angesichts ständiger Bahn-Ausfälle sogar Verständnis aufbringen. „Wenn Sie zu Hause kein Fernsehbild haben, würden Sie doch auch nicht an Netcologne zahlen, oder?“, frage ich. „Nee, wahrscheinlich nicht“, meint Kreis. Trotzdem sei sie selber noch nie schwarzgefahren. Auch wenn sie sich oft über Verspätungen und den schlecht funktionierenden Personennahverkehr ärgere. Sie habe immer was zu lesen in der Tasche und das Reclam-Büchlein „Verspätung!“ kenne sie aus naheliegenden Gründen fast auswendig. „Wie will ich die Verkehrswende durchkriegen, wenn der Nahverkehr nicht funktioniert? Wenn Bahnen ausfallen, Züge kaputt sind und Schienen jahrzehntelang nicht instandgesetzt wurden?“ Womit wir wieder beim Anfang wären. Bei Köln und dem Obwohl.

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