Maren Dessel arbeitet seit 14 Jahren in der Lübecker Straße. Die ersten Monate dieses Jahres waren außergewöhnlich.
„Taschen-Psychologie“Kölner Ledermanufaktur am Eigelstein spürt Folgen der Bundeskanzlerwahl

Maren Dessel in ihrer Manufaktur in der Lübecker Straße
Copyright: Martina Goyert
So etwas hat Maren Dessel in den 14 Jahren, in denen sie ihre Ledermanufaktur in der Lübecker Straße am Eigelstein hat, noch nicht erlebt. Seit Januar herrschte totale Flaute. Niemand wollte die handgefertigten Taschen, Geldbörsen und Gürtel kaufen. „Das war eine Art Schockstarre. Hier wehte Wüstengras durch die Straße, so ruhig war es“, sagt sie, kann aber schon wieder darüber lachen.
Denn seit etwa zwei, drei Wochen gehe es wieder aufwärts. Maren Dessel kann nur vermuten, was dahintersteckt. Offenbar seien die Menschen vom Bruch der Koalition und den internationalen Krisen und Kriegen sehr verunsichert gewesen. „Die Menschen wollten ihr Geld zusammenhalten.“ Erst die Wahl des Bundeskanzlers Anfang Mai habe offenbar wieder ein Gefühl von Beruhigung, zumindest national, vermittelt. Nun laufen die Geschäfte wieder.
Kölner Designerin fertigt nach Kundenwünschen
„Aufs und Abs hat es im Laufe der Jahre immer mal wieder gegeben“, sagt sie. Aber die letzten Monate hätten ihr wirklich Sorgen bereitet. Der Kauf von Taschen sei eine äußerst symbol- und gefühlbehaftete Sache. Man könnte es auch „Taschen-Psychologie“ nennen. „In den Gesprächen, die ich hier mit meinen Kunden führe, geht es in den seltensten Fällen nur um eine Tasche.“
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Maren Dessel bietet Grundformen an, die sie nach Kundenwünschen gestaltet und fertigt auch neue Modelle an. Da werden ganze Lebensgeschichten erzählt, zum Beispiel von der Psychotherapeutin mit zwei kleinen Kindern, die nun wieder in den Beruf einsteigen will und eine Umhängetasche für Arbeit und Freizeit braucht, in die ein Laptop passt. „Frauen wachsen mit der Zeit mit ihrer Tasche zusammen“, sagt Maren Dessel.

Werkzeug und Erinnerungsstücke im Ladenlokal
Copyright: Martina Goyert
Oder der spanische Regisseur, der bei einem Köln-Besuch von dem Laden so begeistert war, dass er sich fünf Jahre lang Fotos vom Schaufenster schicken ließ, um dann schließlich seine Lebensgefährtin eine Handtasche zu schenken, als er wieder in der Stadt war. „Die beiden haben mich dann ins Kino eingeladen.“
Da war der gut betuchte Herr, der eine Aktentasche aus Pferdeleder kaufte: Er erzählte später, die Tasche fahre jetzt immer auf dem Beifahrersitz im Auto mit, die Ehefrau dagegen säße hinten. Ob es stimmt? „Über den aktuellen Stand der Ehe bin ich nicht informiert“, sagt Maren Dessel und lacht.
Kölner Designerin brachte sogar Chinesen zum Weinen
„Und ich habe sogar mal Chinesen zum Weinen gebracht.“ Die hatten sich in eine senfgelbe Tasche verliebt, die sie im Schaufenster entdeckt hatten. Maren Dessel erzählte ihnen („Wir sprachen alle mittelmäßig Englisch“), dass das Futter noch aus dem Fundus ihrer jüngst verstorbenen Mutter stammte, die Schneiderin war. Und dass ihr die Tasche deshalb sehr am Herzen liege. „Da kamen mir die Tränen – und auch die Chinesen fingen an zu weinen.“
Als hätten Taschen etwas Magisches. Es gibt sogar Kunden, die sich wünschen, dass Maren Dessel beim Anfertigen eine bestimmte Musik abspielt. Dessel hört während der Arbeit Schallplatten, in ihrer Sammlung hat sie alles von Bach bis Bowie. „In diesem Fall war es Musik von Stromae. Die Kundin war hinterher überzeugt, dass die Tasche das ausstrahlt.“
Die Handarbeit und das Material haben ihren Preis. Eine kleine Handtasche gibt es ab 500 Euro, eine Aktentasche kann bis zu 5000 Euro kosten. Damit liegen die Produkte auf dem Level von Weltmarken. Doch was Marken und das Bestellen im Internet angehe, verspüre sie eine gewissen Müdigkeit bei den Kunden, sagt Dessel. „Hier im Laden steht man einem Menschen gegenüber, man kann Wünsche äußern, man kann die Taschen sehen und anfassen.“ Auch viele Prominente wissen das Individuelle zu schätzen, Namen verrät sie nicht.
Maren Dessel hatte ihr Unternehmen als „Ross und Rind“ gegründet, erst vor kurzem hat sie es in „Maren Dessel Leder Design“ umbenannt. Das sei für eine Firma auch international verständlicher. Mit Rücksicht auf Veganer habe das nichts zu tun. „Ich hatte in all den Jahren nur zwei Anfragen, ob ich auch veganes Leder verarbeite. Aber von dem Material bin ich noch nicht überzeugt.“ Leder sei nun einmal eines der ursprünglichsten Rohstoffe, die heute noch Verwendung finden. „Und ohne Taschen geht es nicht.“ Wer die Psychologie des Taschenmachens kennenlernen will, für den bietet Maren Dessel Workshops an.