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Mein VeedelDombaumeister Peter Füssenich zeigt seinen Lieblingsplatz an der Kathedrale

6 min
Ein Mann steht auf dem Vierungsturm des Kölner Doms, hinter ihm ragen die beiden Domtürme in den Himmel.

Dombaumeister Füssenich steht vor der Miniatur des Kölner Doms.

Für Dombaumeister Füssenich ist der Dom mehr als nur ein Arbeitsplatz, er ist sein Veedel: „Es gibt unzählige Ecken, schöne wie weniger ansehnliche.“

„Der Dom ist die Visitenkarte Kölns“, sagt Peter Füssenich und blickt hinauf zu den mächtigen Türmen. „Mit rund 7.000 Quadratmetern ist das die größte Fassade der Christenheit.“ Vor dem Petersportal bleibt er stehen. In der Sonne glänzt ein kleines Abbild des großen Bauwerks: ein Dom aus Bronze. „Das ist eines meiner Lieblingsstücke“, sagt Füssenich und streicht über die filigranen Türmchen. „Nicht nur für Sehbehinderte, auch für Sehende. Hier kann man die Konstruktion wirklich begreifen.“

Peter Füssenich ist der 19. Kölner Dombaumeister – und einer, der über sein Bauwerk spricht, als wäre es lebendig. Er schlängelt sich zwischen den Touristen hindurch, die das Richter-Fenster bewundern. „Dieses moderne Fenster ist kein Bruch mit dem Denkmalschutz. Der Dom ist kein abgeschlossenes Bauwerk. Jede Generation fügt ihm eine Handschrift hinzu. So bleibt er ein lebendiges Generationenwerk.“

Seit fast zehn Jahren sorgt Füssenich für den Erhalt der Kathedrale – und hat die Schlüsselgewalt über jede abgeschlossene Kapelle. Er öffnet Türen, passiert Absperrungen, steuert jene Orte an, die Besucher sonst nicht sehen. Zielstrebig geht er zu einer der fünf Kapellen, die wie Perlen hinter dem Dreikönigsschrein aufgereiht sind. „Hier liegt nicht nur Konrad von Hochstaden, der den Grundstein legte“, sagt er und zieht einen schweren Samtvorhang beiseite. „Voilà – der Fassadenriss F. Ein mittelalterlicher Bauplan, datiert um 1285. Ein Beweis dafür, dass der Dom von Anfang an so geplant war – kein Zufallsprodukt.“

Vier Meter hoher Bauplan aus Pergament und Ziegenhaut stammt aus dem 13. Jahrhundert

Der über vier Meter hohe Plan auf feinem Pergament aus Ziegenhaut liegt hinter Glas und zeigt Türme, Maßwerk, Proportionen. „Das ist der Ursprung der Westfassade mit ihren weltberühmten Türmen. Wir enthüllen ihn selten, er ist sehr lichtempfindlich.“ Wieder draußen steuert Füssenich die Nordseite seines „Veedels“ an. Er geht die neue Treppe zum Bahnhofsvorplatz hinunter. „Wer mit dem Zug ankommt, kann schon aus der Bahnhofshalle den Dom sehen und bekommt sofort Lust auf Köln. Leider wird diese Erwartung spätestens auf der Domplatte und der sich anschließenden Hohe Straße entzaubert.“

Die alter römische Achse, einst das Aushängeschild der Domstadt, ist heute eine Katastrophe
Peter Füssenich

Er steigt die Treppe wieder hinauf, bleibt auf der Domplatte stehen und zeigt in Richtung Hohe Straße. „Diese alte römische Achse, einst das Aushängeschild der Domstadt, ist heute eine Katastrophe – Ramsch statt Qualität. Man müsste sich mit den Eigentümern an einen langen Tisch setzen und diese Straße gemeinsam aufwerten.“

Blick auf eine Monument im Schatten des Doms mit acht Marmorsteinen

Der Domfriedhof wird neu gestaltet: Die acht Marmorsteine sind ein symbolischer Verweis auf das achteckige Taufbecken, das sich genau darunter befindet.

Dann breitet er die Arme aus und zieht einen Halbkreis vom Blau-Gold-Haus über das Domforum bis zum Tourismusbüro. „In Paris, vor Notre-Dame, steht man auf einem gestalteten Platz mit Bäumen und Bänken. Und hier? Alles planlos verteilt! Mülleimer, Werbetafeln, riesige Briefkästen – auf engstem Raum von allem etwas. Die Bodenbeläge ein einziges Flickwerk. Taxis, Bimmelbahn, Reisebusse“, er deutet auf das Gewusel. „Der Bereich vor dem Dom müsste ein Platz sein, einheitlich gepflastert. Ein Ort, der dem Dom endlich Luft gibt.“

Ein paar Schritte weiter, auf der Terrasse des Café Reichard suchen Touristen verzweifelt nach dem perfekten Fotostandpunkt. „Die Replik der Kreuzblume steht hier wie zufällig abgestellt und verdeckt den Blick. Auf der Terrasse des Cafés wäre sie besser aufgehoben – und für das Café wäre das neben dem hervorragenden Kuchen eine zusätzliche Attraktion.“

Die Westseite des Doms ist auch das Gebiet, in dem die Zukunft des Domumfeldes entschieden wird. „Das Baudezernat prüft derzeit, ob die Sanierung der Domtiefgarage wirtschaftlich ist. Falls nicht, wäre das eine riesige Chance – man könnte die gesamte Westseite neu denken und den Raum rund um den Dom endlich autofrei und würdig gestalten“, so Füssenich.

Ei Mann sitzt an einem Café-Tisch draußen.

Füssenich gönnt sich eine kleine Auszeit im Café auf dem Wallrafplatz.

Bevor es weiter zur Südseite geht, biegt Füssenich zum Café am Funkhaus ab. „Hier trinke ich gerne einen Cappuccino und freue mich über den schönen Blick auf den Wallrafplatz. Ein fast intimer Ort – und dieser alte Baum, eine Wohltat. Was mich aber stört, ist die Baulücke über dem Swarovski-Laden. Unbegreiflich in dieser Lage.“

Via Culturalis ist eine „ungenutzte Chance“

Die Südseite ist auch ein Sorgenkind. Das sanierte Domhotel gäbe dem Platz endlich wieder einen würdigen Rahmen. Weniger positiv fällt der Blick des Dombaumeisters auf das Römisch-Germanische Museum. „Warum lässt man so wichtige Gebäude verkommen? Auch das alte Zeughaus muss gerettet werden.“ Die Via Culturalis nennt der Architekt eine der größten ungenutzten Chancen Kölns. „2.000 Jahre Stadtgeschichte auf 800 Metern – das gibt es kaum anderswo. Ein Schatz, der nur poliert werden muss. Falls man mich einmal in Stein meißeln lässt wie ich meine Vorgängerin Frau Schock-Werner“, sagt er schmunzelnd, „dann bitte auf der Südseite – mit Blick auf die Via Culturalis, in der Hoffnung, dass sie bis dahin fertig ist.“

Ein Mann mit Brille steht vor einem vergitterten Eingang, dahinter ist das Baptisterium. In der Hand hält er ein Bild, das den Ort früher zeigt.

Dombaumeister Füssenich steht auf dem Platz vor dem sanierten Baptisterium. Das Bild in seiner Hand zeigt, wie es früher aussah.

Weiter geht es zur Ostseite, wo wir wenig später auf dem alten Domfriedhof stehen. Herzstück ist eine große Gruft, in der bis heute Domkapitulare beigesetzt werden. Hier werden gerade die letzten Arbeiten zur Neugestaltung vollendet. Mit klug gesetzten Pflanzungen könne man triste Plätze in grüne Oasen verwandeln, betont er, und zeigt auf den Friedhof: „Wo früher nur eine Linde stand, haben wir jetzt zehn neue Bäume gepflanzt – sie bilden einen grünen Kranz um den Chor. Jeder neue Baum in der Innenstadt ist ein Gewinn.“ Acht Marmorblöcke markieren zudem das Baptisterium, ein Taufbecken aus dem 6. Jahrhundert, das direkt unterhalb des Friedhofs liegt und über eine Außentreppe zugänglich ist.

„Früher war das ein Unort“, erzählt Füssenich. „Ein Urinal, der Gestank war kaum auszuhalten, überall Spritzen, ein Ort, den jeder mied. Heute ist es wieder ein Schmuckstück – ein würdevoller Platz, an dem die Geschichte des frühen Christentums wieder sichtbar wird.“ Der Rundgang endet auf dem Vierungsturm, hoch auf dem Dach der Kathedrale, dem Lieblingsort des Dombaumeisters.

„Ich bin nicht verzweifelt“, sagt er ruhig. „Ich kämpfe für mein Veedel und glaube daran, dass Köln das Potenzial hat, eine großartige europäische Stadt zu werden. Es braucht nur ein paar Stellschrauben: Aufenthaltsqualität, Grün, Atmosphäre. Hunderte, Tausende Bäume. Und vielleicht werfen die Menschen dann auch weniger Müll achtlos auf die Straße. Wer eine schön gestaltete Stadt vorfindet, behandelt sie mit mehr Respekt.“


Der 19. Dombaumeister empfiehlt:

1) die Biolinsen im „Piazza’s“, dem alten „Örgelchen“-Restaurant in der Drususgasse

2) einen Besuch im Kölnischen Stadtmuseum, wo aktuell die Ausstellung ‚Köln an einem Wintertag‘ stattfindet, Minoritenstraße

3) einen Blick vom Vierungsturm des Kölner Domsseinem Lieblingsort über den Dächern der Stadt (www.domfuehrungen-koeln.de).