Seit 100 Jahren am EigelsteinSo funktioniert Kölns kuriosester Baustoffhandel

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Bastian Widdermann, Peter Doll und Andreas Beckmann (v.l.) unter den Bahnbögen, in denen die Ware gelagert wird

Bastian Widdermann, Peter Doll und Andreas Beckmann (v.l.) unter den Bahnbögen am Eigelstein

Der Baustoffhändler Doll sitzt seit 100 Jahren unter den Bahnbögen am Eigelstein – und ist deshalb deutschlandweit bekannt.

Ein Baustoffhandel sieht normalerweise so aus: Riesenhalle am Stadtrand mit großem Parkplatz und Rangiermöglichkeit für Lastwagen. Zwischen Hochregal-Lagern breite Fahrstraßen für Gabelstapler, die palettenweise Dämmplatten und Zementsäcke herumfahren. In Köln gibt es seit 100 Jahren einen Baustoffhändler, bei dem alles anders ist.

Das ist bundesweit bekannt als schwierigste Anfahrt
Peter Doll

Die Firma Doll sitzt seit einem Jahrhundert unter der Bahntrasse an der Eintrachtstraße im Eigelstein-Viertel. Hier lagert auf 2000 Quadratmeter die Ware verteilt unter den Bahnbögen, während oben die Bahnen drüberdonnern. Kunden müssen durch das Wirrwarr der kleinen Straßen die Einfahrt finden, große Lastwagen an der Bahnunterführung aufpassen. „Das ist bundesweit bekannt als schwierigste Anfahrt“, sagt Peter Doll. „Damit stehen wir wohl allein in Deutschland. Ich kenne nur noch eine Firma in Wien, die so zentral liegt.“

Ein Zug fährt über eine Unterführung mit einem Werbeschild der Firma Doll

Die Züge donnern über die Unterführung, gleich dahinter geht es zur Baustoffhandlung.

Doch das Geschäft funktioniert damals wie heute. Peter Dolls gleichnamiger Großvater gründete das Unternehmen einst in einem Hinterhof an der Neusser Straße, doch schon bald zog man in die Eintrachtstraße in ein altes Reichsbahngebäude an der Bahntrasse. Damals gab es noch viele Handwerksunternehmen mitten in der Stadt. Die Firma Doll spezialisierte sich auf Fliesen – die sie auch selbst verlegte. „Wir hatten zu Hochzeiten acht Fliesenleger und acht Helfer.“ Anfangs gab es eine überschaubare Anzahl an Produkten: „Nur der Zement war gesackt“, sagt Doll. Alles andere mussten sich die Handwerker vor Ort zusammenmischen.

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Und es gab lange nur zwei Fliesengrößen: 15 mal 15 Zentimeter und zehn mal zehn Zentimeter – also sehr klein. Das lag daran, dass große Fliesen – heute können sie über einen Meter lang sein – technisch noch nicht hergestellt werden konnten. Außerdem wurden Fliesen früher auf die unverputzten Backsteinwände aufgebracht, wobei jede Fliese mit einer dicken Schicht feuchtem Mörtel versehen wurde. So wurden gleichzeitig auch die Unebenheiten der Wände ausgeglichen. Das erforderte großes handwerkliches Geschick und wäre mit großen Fliesen nur schwer möglich gewesen. „Einen Kleber gab es damals noch nicht“, sagt Doll.

Altes Hinterhoflager mit Zementsäcken auf einer überdachten Rampe

So sah das Lager früher aus, die Zementsäcke wurde von einer Rampe verladen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg boomte das Geschäft so richtig. Die Stadt war zum größten Teil zerstört und in den 1950er und 1960er Jahren lief der Wiederaufbau. Kamen 1000 Deutsche noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg mit 67 Quadratmetern Wandfliesen pro Jahr aus, brauchten sie Mitte der 50er über 200 Quadratmeter.

Die Firma Doll flieste viele Gebäudefassaden in der Kölner City

Und besonders in Köln wurde ein großer Teil für die Verkleidung von Fassaden benutzt. Man empfand sie als modern und ordentlich, außerdem sind sie leicht sauber zu halten. Die Firma Doll hat zahlreiche Häuser in der Innenstadt gefliest, erinnert sich Peter Doll. Bei den meisten sind die Fassaden auch heute noch so erhalten.

Gleichzeitig gab es von der chemischen Industrie immer mehr Halbfertigprodukte wie zum Beispiel Trockenbauplatten, Silikon und Dichtungsmassen. Der Bestand von Firma Doll wuchs auf 7000 verschiedene Artikel. Es musste getrickst werden: Große Lastwagen passten noch so eben unter der Bahnunterführung durch, mussten aber ihre Ladung auf der Straße abladen, weil das Einzirkeln auf dem Firmengelände nicht möglich war.

Aber dafür seien die Bahnbögen ein idealer Lagerplatz, sagt Peter Doll. Die Waren und auch die Mitarbeiter seien geschützt vor Regen und Sonne und selbst im Winter friere es hier nicht. In den 1980er Jahren wurde dann noch die S-Bahn-Trasse neben die bestehende DB-Trasse gesetzt. Die Bauzeit war für die Dolls schwierig, aber am Ende hatten sie weiteren Unterstellraum dazu gewonnen. Peter Dolls Vater führte die Firma 50 Jahre lang erfolgreich.

Firma unter den Bahnbögen hat Bestandsschutz und will erweitern

Doch irgendwann wurde es für den kleinen Familienbetrieb wirtschaftlich zu schwierig, mit den Großen mitzuhalten. 2000 gab man die Handwerksarbeiten auf und erhielt nur noch den Handel. Und 2019 verkauften die Dolls dann an die Baustoffhandel-Kette Kipp und Grünhoff. Deren Geschäftsführer Andreas Beckmann sagt: „Wir haben schon lange nach einem Innenstadt-Standort gesucht. Er ist eine ideale Ergänzung zu unseren Filialen in Rodenkirchen und Bergisch Gladbach.“ Es sei natürlich ein „Kleinstkonzept“: Baustoff-Läden sind normalerweise fünf bis zehnmal größer.

Filialleiter Bastian Widdermann schätzt die große Stammkundschaft. Handwerker freuten sich über kurze Wege. Und er betont, dass hier auch Privatleute einkaufen können. „In der Innenstadt kriegt man ja ansonsten keine Schraube mehr.“ Die Firma hat die Flächen von der Bahnbögen Köln GmbH gemietet, die sie wiederum von der Bahn gepachtet hat. Sie hat Bestandsschutz. Beschwerden von Nachbarn habe es noch nie gegeben. „Was hier laut ist, ist der Bahnverkehr, nicht wir“, sagt Widdermann.

Der Standort soll nächstes Jahr sogar noch um die Freifläche auf der anderen Seite der Trasse erweitert werden. Einen Fliesen-Showroom gibt es immer noch. Wenn Peter Doll einmal pensioniert ist, dann wird allerdings niemand von der Gründerfamilie mehr unter den Bahnbögen dabei sein.

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