„Wohnungsschlüssel statt Handschellen“Klaus Jünschke schreibt Buch über Obdachlose in Haft

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Ein älterer Mann mit Brille steht vor Pflanzen auf einer Terrasse.

Klaus Jünschke auf der Dachterrasse seiner Wohnung am Ebertplatz

Das ehemalige RAF-Mitglied Klaus Jünschke hat mit Obdachlosen in Haft gesprochen und über die Gespräche ein Buch geschrieben. Susanne Esch hat mit ihm gesprochen.

Was ist der Grund dafür, dass Sie das Buch geschrieben haben?

Zunächst eine Zahl: 14 Prozent aller Inhaftierten waren beim Haftantritt wohnungslos. Keine andere soziale Gruppe ist in den Gefängnissen derart extrem überrepräsentiert. Es gab bislang aber gar keine Auseinandersetzung mit dem Thema. So haben wir beschlossen, eine Erzählwerkstatt ins Leben zu rufen, um den Obdachlosen in der Haft eine Stimme zu geben und mit ihnen zu diskutieren, welche Erfahrungen sie mit dem Hilfesystem gemacht haben. Sie kommen nun auch in meinem Buch zu Wort. Es soll auch deutlich machen, dass die Obdachlosigkeit als Lebenslage zwingt oder veranlasst, Straftaten zu begehen.

Warum sind Obdachlose in den Gefängnissen derart überrepräsentiert?

Eine große Gruppe verbüßt eine „Ersatzfreiheitsstrafe“, weil sie die gegen sie verhängte Geldstrafe nicht bezahlen können, beispielsweise wegen „Schwarzfahrens“. Andere haben Diebstähle oder Einbrüche begangen. Oft handelt es sich um Beschaffungskriminalität aufgrund ihrer Sucht. Es gibt aber natürlich auch schwerwiegendere Delikte. Die Hälfte der Tötungsdelikte in den vergangenen acht Jahren wurde von Obdachlosen an anderen Obdachlosen verübt. Oft höre ich von Alkoholikern, die wegen des hohen Suchtdrucks einfach in den Aldi gehen, sich eine Flasche nehmen und geschnappt werden. Durch die allgemeine Wohnungsnot nimmt der Druck auf die Obdachlosen, die auf der Straße leben, zu.

Was ist vor allem schädlich an der Haft?

In der Corona-Zeit haben Psychologen über die Auswirkungen von den Kontaktbeschränkungen gesprochen. Ein Haptik-Forscher sagte: Je weniger Berührungen Menschen haben, desto anfälliger sind sie für Krankheiten. Der Bezug zu den Gefängnissen wurde aber nicht hergestellt. Haft besteht aber aus sozialer Kontaktbeschränkung. Der Auftrag der Resozialisierung kann unter diesen Bedingungen nicht gelingen. Vor allem bei obdachlosen Gefangenen kommt es oft vor, dass sie jetzt zum zehnten Mal dort sind, und da passiert nichts fundamental anderes als das, was immer vorher geschehen ist. Die obdachlosen Straftäter werden entweder in die Obdachlosigkeit entlassen, in eine Alkoholtherapie oder in eine betreute Wohngemeinschaft, wo Konflikte mit anderen sie verführen, wieder zur Flasche zu greifen.

Was sollte also geschehen?

Auf die Wohnungslosigkeit muss man mit Wohnungsschlüsseln reagieren, nicht mit Handschellen. Die Leute möchten nicht in Notunterkünfte, in Dreibettzimmer mit ausgehängten Türen, wo sie oft beklaut werden. Ein Mann erzählte, dass er sich mit einem Suchtkranken ein Zimmer geteilt hat, der nachts auf ihn gepinkelt hat. Nach solchen Erlebnissen ist man dort weg. Seit Ende der 90er-Jahre gibt es das Konzept „Housing First“. Statt zu versuchen, die Obdachlosen wohnfähig zu machen, gibt man ihnen direkt eine Wohnung und hilft ihnen dabei, ihr Leben wieder in eigene Hände zu nehmen. Studien belegen, dass dies ein Erfolgsmodell ist.

Gibt es das Konzept auch in Köln?

In Köln setzt es der Vringstreff um. Er hat inzwischen 20 Menschen in eigenen Wohnungen untergebracht. Unsere Stadt, die mit dem Wohnungsproblem nicht klarkommt, möchte Housing First auch fördern, aber als Ergänzung zu ihrem traditionellen Hilfesystem. Wir müssen es aber durch Housing First ablösen. Wir müssen die Ursachen der Not beheben. In der Stadt waren einmal über 20 Prozent aller Wohnungen Sozialwohnungen. Heute sind es 6 Prozent. Nächstes Jahr sollen wieder 5000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen und die Stadt schafft nicht einmal, die geplanten 1000 Sozialwohnungen im Jahr zu bauen.

Was kann man tun?

Der Wohnungsmarkt hat dazu geführt, dass es die Wohnungsnot gibt und jetzt muss der nicht auf Rendite orientierte Teil des Wohnungsbereichs wieder ausgeweitet werden. Die Stadt muss selbst bauen. Wenn es die GAG nicht alleine schafft, muss eine zusätzliche gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft gegründet werden. Die Stadt muss energisch gegen den Leerstand vorgehen. Eine Stadt ohne Obdachlosigkeit ist möglich. Ich hoffe, dass durch das Buch die Zahl der Menschen in Köln wächst, die den Blick nicht von den Obdachlosen abwenden. 


Klaus Jünschke (Jahrgang 1947) ist vielen noch als Mitglied der ersten Generation der RAF bekannt. 1977 wurde er zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, 1988 begnadigt. Heute engagiert er sich ehrenamtlich beim Kölner Bündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung und immer wieder projektbezogen in Justizvollzugsanstalten, unter anderem indem er für die Insassen Gesprächswerkstätten veranstaltet. Sein Anliegen ist es, seine Erfahrung, wie eng die Themen Straffälligkeit, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit zusammenhängen, bekannt zu machen. Basierend auf seinen Gesprächen mit wohnungslosen Strafgefangenen und Eigenerfahrungen hat Jünschke nun ein Buch geschrieben. Klaus Jünschke stellt am Dienstag, 17. Oktober, um 19 Uhr sein Buch in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 8, vor. Der Eintritt ist frei.

Klaus Jünschke, „Gefangen & wohnungslos – Gespräche mit Obdachlosen in Haft“, Weissmann Verlag, Köln, 466 Seiten, 25 Euro.

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