Nach Winter im ZeltKölner Obdachloser ist erster Mieter des „Housing First“-Projekts

Lesezeit 4 Minuten
Andreas Budweg lebte noch vor Kurzem im Wald bei Marsdorf

Andreas Budweg lebte noch vor Kurzem im Wald bei Marsdorf

  • Andreas Budweg wurde Punk, ging nach Berlin, besetzte Häuser, kam zurück nach Köln – und war seitdem wohnungslos.
  • Vergangenen Winter lebte er in einem Zweimann-Zelt irgendwo in einem Kölner Waldgebiet. Doch dieses Leben ist nun Geschichte.
  • Die Initiative „Housing First“ möchte wohnungslosen Menschen eine Bleibe bieten – und Andreas Budweg ist ihr erster Mieter. Wir haben ihn besucht.

Südstadt – Andreas Budweg dreht sich bedächtig eine schmale Zigarette, trinkt einen Schluck „Krümelkaffee“ und sagt dann einen Satz, der ihm in den vergangenen Jahren wohl eher nicht über die Lippen gekommen ist: „Ich bin einfach unfassbar glücklich.“

Das Glück ist zum Greifen – und besteht aus einer Einzimmerwohnung mit einem Küchenbereich, der durch eine kleine Theke abgetrennt ist. Glück – das ist ein Herd, ein Bett, ein Sofa, ein Tisch, eine Dusche, ein Klo und eine Steckdose, um das Handy aufzuladen.

Winter im Zweimann-Zelt in Kölner Waldgebiet verbracht

Andreas Budewig hat den Winter in einem Zweimann-Zelt irgendwo in einem Waldgebiet bei Marsdorf verbracht. Und jede Menge „Krümelkaffee“ getrunken. So nennt er das wasserlösliche „Zeug“ aus dem Glas. „Gemütlich ist anders“, erinnert er sich an jene Monate im Freien: „Aber es geht irgendwie, wenn man eine halbwegs vernünftige Ausrüstung hat.“

Alles zum Thema Gerhard Richter

„Irgendwie“ war wohl gar nicht so schlecht, wenn man einem Mitarbeiter der Verwaltung glaubt, der Budweg erklärt hat, dass er selbstverständlich Anspruch auf eine städtische Notschlafstelle habe. Aber: „Sie haben ein Zelt? Dann schlafen Sie besser darin als bei uns, hat der mir gesagt“, so Budweg.

Erste Wohnung der Kölner Initiative „Housing first“

Das Zelt ist inzwischen Geschichte. Seit dem 15. Mai lebt Andreas Budweg nun in der ersten Wohnung, die die Initiative „Housing first“ gekauft hat. Irgendwo in Ehrenfeld, nicht weit entfernt vom Helmholtzplatz.

„Housing First“ möchte wohnungslosen Menschen eine Bleibe bieten. Nun ist es angesichts der explosionsartig gestiegenen Immobilienpreise kein leichtes Unterfangen, in Metropolen wie Köln eine Wohnung zu kaufen. Käufer ist der Vringstreff-Verein aus der Südstadt. „Dabei begleitete und unterstützte uns der Housing-First-Fonds“, sagt Jutta Eggeling, die Geschäftsführerin des Vringstreffs, einer Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung im Schatten der Severinskirche.

Unterstützung von Künstler Gerhard Richter

Geld hat der Fonds auch. Und da kommt Köln ins Spiel, namentlich der hier lebende Maler Gerhard Richter. Er hat dem Verein fiftyfifty/Asphalt einige Werke gespendet. Der Gesamtwert wird auf 1,2 Millionen Euro taxiert. Der Fonds mit dem Richter-Geld zahlt 20 Prozent des Kaufpreises von Wohnungen, die restlichen 80 Prozent stammen von Banken, die der Vringstreff zur Finanzierung ins Boot geholt hat.

Die Rechnung ist denkbar einfach: Die Zinsen für den Kauf einer Immobilie sind im Moment auf historisch niedrigem Niveau. Das macht das Bedienen von Krediten selbst für einen Verein wie den Vringstreff möglich, weil Andreas Budweg Wohngeld von der Stadt erhält und quasi über Bande die Wohnung abbezahlt.

„Platte machen ohne Sucht ist nicht möglich“, sagte einmal der ehemalige Obdachlosenpfarrer Karl-Heinz Iffland. Andreas Budweg ist der Beweis, dass es doch geht. „Ich trinke natürlich auch mal ein Bier. Aber abhängig von irgendwas war ich nie“, sagt er. „Höchstens vom Essen. Ich koche wahnsinnig gern. Und ich rauche. Noch.“

Aussichtslose Wohnungssuche in Köln

Dass Andreas Budweg in einem Zelt im Wald landete, „war ein schleichender Prozess“, sagt er selbst und lässt die vergangenen 32 Jahre Revue passieren. Geboren 1978 in Frankfurt am Main wuchs er im Saarland auf. Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Erzieher und arbeitete drei Jahre in einem SOS-Kinderdorf. Dann kam Unruhe in sein Leben. Er wurde Punker, eine Beziehung scheiterte, er ging nach Berlin, besetzte Häuser, und strandete nach Reisen durch Skandinavien und andere Länder in Köln. Die Wohnungssuche war aussichtslos.

„Mit einer negativen Schufa-Auskunft und einem Ohne-festen Wohnsitz-Vermerk im Personalausweis nimmt dich kein Vermieter.“ Andreas Budweg lebte eine Zeit lang im Zelt und arbeitete in Lövenich. „Ich war in der Produktion von Chemie-Fässern beschäftigt. Ein harter Job.“ Budweg hat trotz Zelt und Job seine sozialen Kontakte weitergepflegt. Auch als er arbeitslos wurde, hat er Freunde besucht und die Oase, einen Anlaufpunkt für Menschen ohne Wohnung.

Wegen Schwarzfahrens 74 Tage im Gefängnis

„Ich hatte natürlich kein Geld für die Bahn von Marsdorf nach Lövenich. Irgendwann wurde ich auf der Straße verhaftet und musste wegen Schwarzfahrens 74 Tage im Gefängnis absitzen. Ich konnte nicht mal mehr meine Sachen aus dem Zelt abholen.“ Das Wunder: Als er aus der Haft entlassen wurde, war das Zelt unangetastet. „Mein iPad lag aufgeschlagen auf dem Schlafsack.“

Obdachlos zu sein, sei harte Arbeit, sagt der 42-Jährige. „Man muss sich eine Struktur geben. Jeden Tag überlegen, wo man Essen herbekommt.“ Dass er den Kontakt zur Oase gehalten hat, erwies sich als goldrichtig. Dort hat man ihn an Housing First vermittelt. Ein Jobangebot hat er auch schon. Budweg könnte bei einer Spedition anfangen.

Das Kennenlernen einer Frau als Zukunftsperspektive

„Ich hoffe, dass mir das Job-Center den Lkw-Führerschein bezahlt.“ Unabhängig von allem anderen hat die Wohnung für Budweg noch eine ganz andere Zukunftsperspektive: „Jetzt kann ich auch mal wieder eine Frau kennenlernen. Die könnte ich, wenn sie mag, sogar in meine Wohnung einladen. Das war im Zelt ja eher nicht möglich.“

In der Tat: Die Frage „Hast Du noch Lust, bei mir im Wald einen Krümelkaffee zu trinken?“ hätte doch sehr ungewöhnlich geklungen. Und wäre höchstwahrscheinlich auch nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Damals.

KStA abonnieren