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Leon KahaneVon richtigem und falschen Gedenken an die Shoah

Lesezeit 4 Minuten
Auf einem Smartphone-Bild verdeckt eine Frau ihr Gesicht.

Leon Kahane „1. September 2024 - Zwickau“, zu sehen in der Kölner Galerie Nagel/Draxler

Leon Kahane zeigt in der Kölner Galerie Nagel/Draxler Werke zur deutschen Erinnerungskultur - und kritisiert Gerhard Richter.

Seit Gerhard Richter seinen „Birkenau“-Zyklus vollendete, wird über die vier Gemälde diskutiert, mitunter auch gestritten. Aus gutem Grund: Richter suchte nach einem Weg, die Schrecken der Vernichtungslager darzustellen, sich also ein Bild von etwas zu machen, das sich nach allgemeiner Auffassung der Darstellbarkeit entzieht. Am deutlichsten hatte Adorno dieses moderne Bilderverbot formuliert, auch wenn er es auf die Literatur bezog: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ Gehalten haben sich die Dichter daran so wenig wie die Maler an das zweite Gebot aus dem Alten Testament.

In den 1960er Jahren hatte Richter schwarz-weiße Fotografien aus Auschwitz koloriert und mit pornografischen Bildern kombiniert, vermutlich um, dem „barbarischen“ Zeitgeist folgend, die Obszönität realistischer Holocaust-Bilder zu kritisieren – diese Versuche dann aber wieder zurückgezogen. Ein halbes Künstlerleben später nahm Richter die Adorno’sche Lehre an: Für den „Birkenau“-Zyklus übermalte er die Kopien, die er von vier Fotografien, die Häftlinge des Vernichtungslagers dort heimlich gemacht hatten, angefertigt hatte, solange mit immer neuen Farbschichten, bis die nichtssagende Realität der Bilder zur abstrakten Oberfläche und als solche sprechend wurde.

Ruinen des KZs Auschwitz-Birkenau stehen aus einem freien Feld.

Standbild aus Leon Kahanes Video „24. März 2022 - Birkenau“

An dieser negativen Ästhetik hat auch der Berliner Künstler Leon Kahane nichts auszusetzen. Er finde Richters „Birkenau“-Zyklus zwar „etwas undurchdacht“, sagte er unlängst der „Süddeutschen Zeitung“, aber ein Problem habe er damit nicht. Ganz und gar nicht einverstanden ist Kahane hingegen mit dem Museum, das Richter für die internationale Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz entwarf (und sich von der Volkswagen AG bezahlen ließ). Dort zeigt der Kölner Ehrenbürger in Nachbarschaft zur Gedenkstätte eine Kopie des „Birkenau“-Zyklus‘, dazu Abzüge der vier Originalaufnahmen und vier „Graue Spiegel“, die dem Innenraum und der gespiegelten Kunst die Farbe entziehen. Für Kahane gleicht der Museumspavillon einem Götzen, zumal sich Richter in einem Zitat an der Museumswand scheinbar vom Bilderverbot distanziert: „Sich ein Bild zu machen… macht uns zu Menschen.“

Seine Kritik an Richter hat Kahane für eine Ausstellung in der Kölner Galerie Nagel/Draxler formuliert – dort hängt sie in der betont bescheidenen Form eines Konzeptkunstwerks an der Wand. Es besteht aus vier weißen Bildflächen, mit denen Kahane den Richter-Zyklus „spiegelt“ und auf denen er die dreisprachige Wandschrift im Museumspavillon zitiert – wie dort in Polnisch, Deutsch und Englisch. Auf drei Bildern steht jeweils klein „Sich ein Bild zu machen…“, die vierte Fläche bleibt leer. Im Interview mit der „Süddeutschen“ wurde Kahane etwas deutlicher. Richters Dementi des Bilderverbots (für Kahane ein zentrales Merkmal des Judentums) an diesem Ort zu sehen, habe sich angefühlt, als habe ihm jemand eine Ohrfeige verpasst.

Die Kölner Ausstellung ist keine Polemik gegen Gerhard Richter

Allerdings ist die Kölner Ausstellung keine Polemik gegen Richter. Kahane sieht im idolartigen Museumsbau und im „gedankenlosen“ Wandtext eher die Zeichen einer Zeit, der beim Gedenken an die Shoah zusehends die Maßstäbe verloren gehen. Im Jahr 2022 war Kahane mit einer Kamera nach Birkenau gereist, um die Renovierungsarbeiten an der Gedenkstätte zu dokumentieren. Die schwarz-weißen Videobilder sind betont schmucklos und „flach“ und führen die Schwierigkeit, die Erinnerung an die Shoah zu bewahren, ganz konkret an der zerfallenen Architektur der Todeslager vor. Auch daraus ließe sich eine leise Kritik an Richter ableiten: Warum bringt man abstrakte Bilder der Vernichtung an deren Ursprungsort, wenn dieser für sich selbst sprechen kann?

Das dritte zentrale Werk der Kölner Ausstellung zeigt Teilnehmer eines rechtsradikalen Aufmarsches in Zwickau. Die Bilder der jungen Männer und Frauen (die ihre Gesichter allesamt mit Händen und Armen verdecken) stammen aus Smartphone-Aufnahmen, die vor Ort gemacht wurden. Kahane hat diese Telefonbilder in das Farbspektrum der deutschen Nationalfahne gehüllt, als Zeichen dafür, dass extremistische Gruppierungen wie der „Dritte Weg“ eine ganz eigene Vorstellung von Erinnerungskultur haben.

Gerhard Richter hat selbst mehrfach betont, der „Birkenau“-Zyklus sei für ihn ein Schlusspunkt nach langer Suche und langem Hadern – und lud das Werk, nachdem er mit Bildern wie „Onkel Rudi“ in Wehrmachtsuniform eher die Banalität der deutschen Erinnerung betonte, mit Pathos auf. Nimmt er sich deswegen wichtiger als seinen Gegenstand? Auf diesen Vorwurf läuft Kahanes Kritik hinaus. Man muss diesem darin nicht folgen, um festzustellen: Frei von Eitelkeit ist das Richter-Museum in Auschwitz nicht.

Auch Eitelkeit macht uns menschlich, genau wie das Verlangen, sich ein Bild zu machen. Da spricht Richter lediglich einen kulturhistorischen Gemeinplatz aus. Auf die Frage, ob dieser in Auschwitz einen antijudaistischen Unterton erhält, wie Kahane zu glauben scheint, findet sich in seiner Ausstellung keine abschließende Antwort.


„Leon Kahane - Dialog, Dialog, Dialog“, Galerie Nagel/Draxler, Elisenstr. 4-6, Köln, Mi.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-16 Uhr, bis 22. August 2025