Streitfrage geregelter FrohsinnSollten Kölner jetzt Karneval feiern?

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Es wird wieder Karneval gefeiert in Köln: Wie bei der Humba Tätärä Party von Deiters.

  • Pro und Contra: Die großen Karnevalssitzungen sind abgesagt, kann und sollte man trotzdem Karneval in Köln feiern?
  • Stefan Worring, Chefreporter Lokales, ist dafür: Es gibt auch kein Feiern um jeden Preis, aber ich bin auf jeden Fall dabei
  • Claudia Lehnen, Ressortleiterin NRW/Story, ist dagegen: Niemand hat je Karneval gefeiert und dabei eine Tapirlänge Abstand gehalten

Pro: Es gibt auch kein Feiern um jeden Preis, aber ich bin auf jeden Fall dabei Karnevalssamstag 2021: Der Lockdown hat die Stadt eingefroren, das Leben scheint still zu stehen, die Gedanken auch. Weiberfastnacht ist ausgefallen, keine Sitzungen, keine Partys, alle Kneipen zu. Die Inzidenz liegt bei 91,3, allerdings ist kaum jemand geimpft. Es gilt ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum, ein Kontaktverbot von mehr als fünf Personen. Und ich habe die ganze Zeit dieses Lied im Ohr: „Süht et och su us, als jing de Welt hück unger/ Maach e Leech aan“, singt Peter Brings und taut mir langsam das Hirn auf. „E Leech för die Stadt/ Un e Leech für die Lück/ Denn mir glöve do dran/ Et Levve kütt zoröck.“

Recht hat er. Ich schminke mich und ziehe ein Kostüm an. Fühlt sich gut an, auch wenn die Infektionsschutzmaske die Farbe verschmiert. Ein paar Bier in den Bollerwagen. Und zwei Hand voll Kamelle habe ich auch  gefunden. Los geht es.

Ich nehme den Weg, den jetzt normalerweise unser Veedelszoch  nehmen würde. Nur kurz trübt die Angst vor einer Polizeistreife das Gefühl, irgendwas Jeckes machen zu müssen. Ich treffe Leute auf der Straße, Fremde wie Bekannte, klingele bei Freunden, verschenke Kamelle, immer auf Abstand und draußen. „Och, das ist aber schön“, sagen die Menschen und freuen sich über die Überraschung.

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Ich bin bei allem dabei, was erlaubt ist

„Gehst du wieder dieses Jahr?“ wurde ich zuletzt öfter gefragt. Ja, ich werde mir was einfallen lassen. Ich bin bei allem dabei, was erlaubt ist: Konzert, Herrenfrühstück, Sitzung unplugged, der Name ist egal. Karneval kann nicht ausfallen in dieser Stadt, genau so wenig wie Weihnachten.

Als mein Sohn noch im Kindergarten war, ging es an St. Martin zum Haus des Diakons zum Singen. Weil das am 11.11. ist und der Papa morgens zum Karneval zog, wollte der Kleine sein Blechtrömmelchen mitnehmen.  Der Diakon sah’s, holte die dicke Trumm aus dem Keller und statt dem „hillije Zinter Mätes“ wurde „Et Trömmelche“ gesungen. Wer so aufwächst, wird den Bazillus nie wieder los.

Die Pandemie zeigt auch die große Stärke des Karnevals

Die Pandemie tut dem Karneval weh. Das Vereinsleben liegt vielerorts brach, soziale Vereinsamung nach sich ziehend.  Aber sie zeigt auch seine große Stärke. Denn er ist so viel mehr als enthemmtes Saufen bis zum Umfallen, mehr als das, wofür Köln und seine Menschen am 11.11. letzten Jahres bundesweit zu Unrecht niedergemacht wurden. Eine Facette von Karneval, die nicht immer schön ist, aber dazugehört. 

Ob einem das gefällt oder nicht, es waren feiernde  Kids auf der Zülpicher Straße, die nichts taten, was nicht erlaubt war. Jugendliche, die in nach 2G-Regeln abgesperrten Bereichen gefeiert haben. So, wie das zu erwarten war. Also warum die ganze Aufregung? „Bilder wie die aus Köln wollen wir nicht sehen“, sagten überhebliche Politiker TV-gerecht.

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Und laufen nun sehenden Auges in einen Straßenkarneval, der keine Limits hat. Die Menschen werden rausgehen und feiern wollen. Auch ohne Züge. Karneval wird für viele zum Ventil des Pandemiefrusts. Aber nach Stand der Dinge wird es keine Kontrollzonen geben, keine Versammlungs- oder Alkoholverbote, keine Regeln. Weil die Politik zaudert.   Natürlich ist jeder selbst verantwortlich, wie und wo er feiert. Es gibt auch kein Feiern um jeden Preis. Aber warum sollte man nicht  tun, was erlaubt ist. Ich bin auf jeden Fall dabei. Um es mit Brings zu sagen: „Kumm, mer singe Alaaf, denn söns sin mir verlore/ Un mir singe janz höösch für e besser Morjen.“

Stefan Worring, 63, Chefreporter Lokales, lebt als badischer Imi seit mehr als 40 Jahren in Köln. Ist fasziniert vom Karneval in seiner  Bandbreite und hat einen Bildband dazu gemacht. Feiert gerne, aber am Aschermittwoch ist alles vorbei.

Contra: Niemand hat je Karneval gefeiert und dabei eine Tapirlänge Abstand gehalten

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, im weißen Anzug und unter wellig geföhnter Haartolle an einem Mud-Race teilzunehmen? Sind Sie voller Zuversicht aufgebrochen in der Annahme: „Ach, so schmutzig wird das schon nicht werden?“ Falls ja: Wie schmutzig war danach Ihr Anzug? Wie gut saß die Frisur?

Na? Eben. Ich weiß, manche Dinge versucht man immer wieder. Man wird und wird nicht klüger. Zum Beispiel starte ich pandemiebedingt immer mal wieder mit einem Lächeln, dem Laptop und einem schnupfenden Vierjährigen in den Homeoffice-Tag und denke: Ach, der spielt sicher ganz brav mit seinen Dinosauriern, und zwischen zwei Meetings püriere ich uns eine leckere Möhrensuppe. Am Ende des Tages habe ich so wenig erledigt, dass ich eine Nachtschicht einlegen muss, das Wohnzimmer sieht aus, als hätte ein Meteorit bei den Dinosauriern eingeschlagen und der junge Mann hat nichts gegessen außer Reiswaffeln und Keksen.

Beim Karneval allerdings versuche ich wirklich endlich der Realität ins Auge zu blicken. Und das bedeutet: Kölner Karneval feiern mit Regeln? Brauchen wir gar nicht erst auszuprobieren. Es wird nicht klappen. Denn: Wer sich in dieser Stadt in den Scharniertagen zwischen Winter und Frühling dem Frohsinn  hingibt, der tut das ja aus einem einzigen Bedürfnis heraus: Einmal alle Regeln über Bord werfen zu können.

Niemand hat beim Karneval je eine Tapirlänge Abstand gehalten

Ich behaupte, niemand hat je  Kölner Karneval gefeiert und dabei zu anderen Menschen eine Tapirlänge Abstand gehalten. Obwohl das aus hygienischen wie moralischen Gründen natürlich auch in vorpandemischen Lagen jederzeit ratsam gewesen wäre. Niemand hat sich je an Weiberfastnacht nach einem Kölsch alleine ins eigene Bett gelegt mit dem züchtigen Gedanken: „Heute ist ein guter Tag, um mal richtig vernünftig zu sein.“

Karneval heißt Kontrollverlust, heißt Unvernunft, heißt Entgrenzung, heißt Wahn. Es geht nicht ohne Rausch, Hyperbel, Körperflüssigkeiten. Alles an dieser Zeit ist das Gegenteil von Pandemiemaßnahmen. Jeder noch so gute Vorsatz kann aus dieser Arena der Tollheit nur arg zugerichtet und als Verlierer hervorgehen. Wer echt Karneval feiert, der weiß am Ende des Tages oft nicht mal mehr, mit welchem Familienstand er mal aufgebrochen ist. Wie soll man so jemanden ernsthaft mit der Frage nach seinem Impfstatus behelligen?

Soll Wonderwoman sich dauernd desinfizieren?

Wie soll man der  schwer arbeitenden Nachbarsmutter, die sich einmal im Jahr traut, im Wonderwoman-Kostüm auf die Straße zu gehen,  abnehmen, dass sie sich nach jedem Bützen Gesicht und Hände desinfiziert? Und wer bitte kann wollen, dass die ganzen Häschen und Herrn der Sieben Meere, züchtig lächelnd und summend auf ihren abgemessenen Plätzen in Hallen harren statt  tanzend und ineinander verknotet brüllend dem Brauchtum zu huldigen?

Ich weiß, es ist hart. Aber schminken Sie sich die ganze Sache besser gleich ab. Wer den Karneval liebt, der feiert ihn anarchisch und wild. Und muss damit warten, bis die Pandemie vorbei ist. Bleiben Sie angemessen fröhlich, aber arten Sie nicht aus. Und halten Sie diesen unspektakulären  Ruhepuls durch bis wir die Omikronwand ebenfalls in die Waagerechte gezwungen haben. Und dann kommt Wonderwoman. Aber hallo.

Claudia Lehnen, 43, Ressortleiterin NRW/Story, hat die Hälfte ihres Lebens Fasching gefeiert und wird in Köln deshalb in Fragen des Brauchtums nur bedingt Ernst genommen. Zu  ihrer Ehrenrettung sei gesagt: Ihr Großvater war Kölner und komplett jeck.

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