Am Donnerstag konstituiert sich der neue Stadtrat. Wir schauen auf außergewöhnliche Wahlergebnisse: Ein Besuch im Wahlkeis in Kalk.
Neu im Kölner RatIsabel Gerken holte das erste Direktmandat für die Linken

Isabel Gerken hat in ihrem Wahlkreis Kalk das erste Direktmandat für die Linke geholt.
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Auf der Kalker Hauptstraße holt Isabel Gerken im September eine Warnweste aus ihrer Leinentasche, darauf steht: „Hier ist die Linke“. Diese Weste trug die neue Ratsfrau im Wahlkampf in ihrem Wahlkreis Kalk II. Dort schaffte sie bei der Kommunalwahl am 14. September dann, was bislang noch keinem Kölner Linken-Politiker gelungen war: Sie holte ein Direktmandat für den Stadtrat. 27,74 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für sie. Die 31-Jährige ist jetzt Co-Vorsitzende der Linksfraktion, die in den kommenden fünf Jahren zehn Mitglieder zählt und damit so groß ist wie noch nie.
„Wir sind immer wieder auf den Straßen unterwegs gewesen, schon lange vor dem Wahlkampf“, sagt die Afrikanistik-Studentin mit langen Dreadlocks in einem Gespräch kurz nach der Wahl in einem Café direkt an der Stadtbahnstation Kalk Post. Durch die Glasfenster ist das Treiben auf der Kalker Hauptstraße gut zu beobachten. Die Straßenzüge um das Herz von Kalk herum sind die Hochburg der Linken in Köln. Die Menschen, die hier wohnen, will Gerken im Rat vertreten, ihr Ziel: „Denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden.“
Linke in Kalk bei Wählern präsent
In Kalk fährt die Linke schon seit Jahren die Kampagne „Wo drückt der Schuh?“, um mit den Nachbarn im Gespräch zu bleiben. Im Sommer feierte die Partei in Köln „Rote Feste“, das waren öffentlichkeitswirksame, bunte Veranstaltungen auf den Plätzen der Stadt – mit Reden und unter Beteiligung von Initiativen vor Ort. Gerken verweist auch auf die Arbeit der Parteikollegen in der Bezirksvertretung, die sich vehement für die autofreie Kalker Hauptstraße einsetzen, und auf die Parteimitglieder, die vor allem in Kalk mit Kölnerinnen und Kölnern ihre Heizkostenabrechnung durchgehen. Als Erfolg werten die Linken auch ihre „Mietwucher“-App zur Meldung möglicher überteuerter Mieten, das Projekt der Bundespartei läuft seit einigen Monaten auch in Köln.
Mietpreise waren eine der Hauptwahlkampfthemen vieler Parteien vor der Kommunalwahl, und in Kalk macht das teure Wohnen den Menschen besonders zu schaffen. Dem Bezirksverband der Partei sitzt Gerken hier seit zwei Jahren vor. Zu Beginn zählte er fünf Mitglieder. Jetzt sind es 30. Vorher war Gerken bei den Ehrenfelder Linken, jetzt beobachte sie, wie eine ähnliche Stadtentwicklung zeitverzögert in Kalk abläuft: „Der Gentrifizierungsprozess breitet sich parallel in Kalk aus. Man muss hier schauen, dass Menschen nicht verdrängt werden.“
Gerken will Gentrifizierung in Kalk stoppen
Kölnerinnen und Kölner zögen von der Deutz-Kalker-Hauptstraße etwa nach Ostheim oder nach Vingst. Die neue Ratsfrau sagt, in den zwei Monaten vor der Kommunalwahl habe sie selbst an 773 Türen in Kalk geklopft, in ihrer orangen Warnweste. Mindestens in Zweierteams zogen die Linken durchs Veedel, teils auch in Gruppen, die sich über die parteieigene App „Aktivisti“ bundesweit organisieren. Die Präsenz im Veedel habe ihr selbst und ihrer Partei einen „Wiedererkennungswert“ verschafft, so beschreibt es Gerken.
An den Haustüren habe sie von diesen Sorgen der Menschen gehört: Diskriminierung von Frauen, andere störe die Kameraüberwachung, viele Kölnerinnen und Kölner mit Migrationshintergrund würden „extremst kontrolliert“ und fühlten sich dadurch ausgegrenzt. Es fehle an Angeboten für Jugendliche.
Die Linke bietet offenbar, so zeigt es das Wahlergebnis, die dazu passenden Antworten. Im Wahlprogramm gibt es einen Abschnitt zur „Feministischen Perspektive“, die Linken sind gegen Videoüberwachung, sie fordern eine Milieuschutzsatzung gegen Verdrängung von Anwohnenden. Gerken selbst ging mit ihrem portugiesischen Migrationshintergrund in den Wahlkampf. Sie fordert etwa, dass man auch ohne deutschen Pass, aber mit langjährigem Wohnsitz in Köln, den Rat wählen dürfen sollte. Wie ihre Mutter zum Beispiel, die seit 50 Jahren hier lebe, aber nicht mitbestimmen kann.
Wahlmuster in Kalk nicht typisch für Deutschland
Nach den Haustürgesprächen ist sich Gerken sicher: „Wer hier lebt, ist sowieso schon sehr links eingestellt.“ Das Wahlmuster in Kalk ist tatsächlich nicht typisch für Deutschland. Köln, vor allem in zentrumsnahen Stadtteilen, auch Kalk zählt da noch rein, wählt links-grün. Wieso aber überwiegen in Kalk die Linken? In einem Gastbeitrag für diese Zeitung ordnete der Kölner Soziologe Ansgar Hudde ein, dass je näher ein Veedel an der Bevölkerungsstruktur von Sülz liege – „akademisch geprägte Mittelschicht, deren Kinder meist aufs Gymnasium gehen“ –, desto größer sei der Zuspruch für die Grünen.
In Kalk lag der Grünen-Kandidat Stephan Eckstein mit 21,16 Prozent deutlich hinter Gerken. Huddes Erklärung für dieses Wahlmuster: „Nach Kalk ziehen zwar immer mehr junge Leute, die studieren oder ihren Studienabschluss schon in der Tasche haben, aber der Akademikeranteil ist noch unterdurchschnittlich.“ Der Anteil der Kinder auf Gymnasien ist geringer, der Stadtteil ist migrantisch geprägt, die Wahlbeteiligung ist niedriger, die AfD erreicht mehr Prozentpunkte. Die Kölnerinnen und Kölner wählten die Linke zur viertstärksten Kraft bei der Ratswahl im September, mit 10,83 Prozent der Stimmen.
Auch mit AfD-Wählern sei Gerken an den Haustüren ins Gespräch gekommen. Der AfD-Kandidat Michael Winkler erreichte 10,27 Prozentpunkte im Wahlkreis Kalk II. Gerken sagt, die AfD-Wähler in Kalk sind „einfach Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich benachteiligt fühlen, die Ängste haben“. Ob der Erfolg der Linken mit dem Erstarken der AfD zu tun habe? Nein, antwortet Gerken erst. Später kommt sie auf die Frage zurück und sagt, „wir sind diejenigen, die ihr am konsequentesten die Stirn bietet.“
