Kölner Schulleiter zu Corona-Maßnahmen„Viele Schüler leben in prekären Situationen“

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Schule Symbol

Schüler im Unterricht. (Symbolbild)

Martin Süsterhen ist Direktor der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule in Kalk/Höhenberg. In diesem Interview bewertet er die aktuellen politischen Maßnahmen der Bundesregierung in Bezug auf seine Schule. 

Außerdem erklärt er, was er von digitalem Unterricht hält und warum für manche Schüler die Schule auch aus sehr elementaren Gründen wichtig ist.

Wie finden Sie den Stufenplan der Kultusminister, der nach dem Lockdown der Schulen eine vorsichtige Öffnung zuerst für die jüngeren Schüler vorsieht? Martin Süsterhen: Er berücksichtigt vor allem äußere Bedingungen, nicht also Bedingungen, die von Schulstandort zu Schulstandort völlig unterschiedlich bis gegensätzlich sein können. Unsere Kinder sollten in kleinen bis kleinsten Gruppen je nach Lage kommen können. Viele leben in prekären und nicht günstigen wohnlichen Situationen und bedürfen in besonderer Weise der kontinuierlichen Beziehung zu ihren Lehrern und Lehrerinnen. Daher sollten sie möglichst regelmäßig, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, kommen können und zum Beispiel auch dabei Gelegenheit bekommen, in der Mensa Essen zu erhalten.

Wie geht es Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen persönlich, welche Auswirkungen hat die Krise auf Sie?

Trotz der deutlich höheren und zum Teil doppelten Belastung, einige machten gleichzeitig Präsenz- und Distanzunterricht, also doppelte Arbeit, geht es gut, weil die meisten noch sensibler erkennen, wie wichtig ihre Arbeit für gerade unsere „besonderen“ Kinder ist. Für mich selber: Meine letzten so richtigen Ferien waren die Herbstferien 2019. Bis vor den Weihnachtsferien 2020 hatte ich regelmäßig eine über 50-Stunden-Woche, auch die Wochenenden waren nicht immer frei, unter anderem wegen der Rückverfolgung von Positivfällen, Planungen oder Umsetzung von recht kurzfristig ergangenen Verfügungen. Insgesamt ist die Belastung für alle deutlich gestiegen, zumal viele die Sorge belastet, sich selber anstecken zu können. 

Wie stehen Sie zum Thema Digitalisierung?

Grundsätzlich pädagogisch eher skeptisch; viele Kollegen und Kolleginnen sehen das optimistischer. Für unsere Schule und für unsere Kinder ist die Digitalisierung noch lange nicht umsetzbar. Es geht damit los, dass es viele Haushalte gibt, in denen es keinen Internetzugang gibt. Viele, die meisten Kinder, haben keine adäquaten Geräte für das digitale Lernen. Insgesamt klafft eine erhebliche Kluft zwischen den Landeskonzepten und anderen Konzepten und deren Umsetzung. Es zeigt sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen Ideal in Form von Konzepten und der Wirklichkeit, also technischen Voraussetzungen und Kenntnissen in der Anwendung auf beiden Seiten. Auch hier zeigt sich, dass das beste Konzept nicht einfach so umgesetzt ist oder mit dem Konzept schon wirklich ist.

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In welcher Weise hat sich der Schulalltag durch Corona verändert, und werden einige Veränderungen dauerhaft sein?

Der Alltag hat sich erheblich verändert, vor allem im Blick auf die Belastungen. Eine wesentliche positive Veränderung, von der ich wünsche, dass sie beständig bleibt, ist, dass viele Kollegeninnen und Kollegen noch sensibler für unsere Kinder und deren Schicksale geworden sind. Nach dem ersten Lockdown konnten wir in halben Gruppen lernen. Auch nach den Herbstferien durften wir an unserer Schule für immerhin drei Wochen auch in der Q1 und Q2 in halben Gruppen arbeiten – dies hat eindrücklich belegt, wie sinnvoll es wäre, die Lerngruppen an Schulen wie der unsrigen die Lerngruppen dauerhaft deutlich zu verringern. Die Arbeit und die so notwendigen Beziehungen werden deutlich intensiver und individueller – unseren besonderen Kindern wäre damit sehr geholfen, sie erhielten deutlich mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.

Fühlen Sie sich als Lehrerinnen und Lehrer in Ihrer Arbeit gewürdigt, oder schlägt Ihnen auch Ablehnung entgegen, nach dem Motto „Nun haben die Schulen längere Ferien“?

Wir erleben überwiegend Anerkennung, vor allem aber durch die oft nicht unmittelbaren, aber immer deutlich spürbaren dankbaren Rückmeldungen unserer Kinder.

Das Gespräch führte Frank Olbert

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