Ahmad Mansour ist ein israelisch-deutscher Psychologe und Autor arabisch-palästinensischer Herkunft. Er engagiert sich gegen Antisemitismus und Islamismus.
Kölner Silvesternacht 2015/16Wie hat die Nacht die Migrationsdebatte beeinflusst, Herr Mansour?

Ahmad Mansour, Psychologe und Autor arabisch-palästinensischer Herkunft.
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Zehn Jahre nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016, in der hunderte Menschen, vor allem Frauen, vor dem Hauptbahnhof beraubt und sexuell belästigt wurden, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit unterschiedlichen Menschen über die Nacht und ihre Folgen gesprochen.
Die Willkommenskultur war damals schon eine Illusion. Viele Menschen sind dem Thema Migration sehr naiv begegnet. Die Silvesternacht hat viele Frauen traumatisiert. Und sie hat gezeigt, dass die Sache viel komplexer ist. Migration bringt auch Herausforderungen mit sich, die wir ausgeblendet haben.
Durch die Kölner Silvesternacht haben wir als Gesellschaft verstanden: So rosa ist das alles nicht. Es reicht nicht, nur Teddybären zu verschenken. Wir brauchen Konzepte, wie wir aus Fremden, die anders sozialisiert sind, Demokraten machen. Integration funktioniert nicht, indem man nur daran glaubt. Wir müssen viel tiefer gehen, und das erfordert harte Arbeit auf beiden Seiten: von der Gesellschaft, die aufnimmt, und von den Menschen, die zu uns kommen. Sie müssen lernen: Wie sprechen wir hier über Sexualität? Wie über Selbstbestimmung? Wie bauen wir patriarchalische toxische Männlichkeit ab?
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Die Willkommenskultur war damals schon eine Illusion
Ich bin selbst Migrant und kam nach Deutschland mit einem Frauenbild, das ich heute ablehne. Aber Veränderung gelingt nur, wenn wir die Menschen, die zu uns kommen, begleiten.
Ein Problem ist, dass wir das Thema Migration noch immer eher punktuell diskutieren. Wir sehen das Ganze nicht, wir sehen den Unterschied nicht zwischen denjenigen, die alles tun, um in dieser Gesellschaft anzukommen und denen, die überhaupt kein Interesse daran haben anzukommen und die unseren Rechtsstaat verachten.
Viele Menschen haben ihr Bild über Migration im Laufe der Debatte seitdem verändert. Aber das reicht nicht
Die Kölner Silvesternacht ist möglich gewesen, weil Menschen – und ich rede von Straftätern, nicht von den Migranten allgemein – mit einem ganz anderen Frauenbild zu uns gekommen sind. Sie haben sich Sachen herausgenommen, die man nicht tun darf. Dass wir seit dieser Nacht ein bisschen mehr darüber reden, ist eine gute Entwicklung. Viele Menschen haben ihr Bild über Migration im Laufe der Debatte seitdem verändert. Aber das reicht nicht.
Wir hatten auf der einen Seite Rechtsradikale, die sagten: Schaut her, das sind alles Vergewaltiger, die zu uns kommen. Auf der anderen Seite Leute, die keine Sprache gefunden haben, darüber zu reden, warum das überhaupt möglich war. Es herrschte eine Sprachlosigkeit, die uns bis heute begleitet. Wir wissen ja zum Beispiel immer noch nicht richtig, wie wir über die Kriminalitätsstatistik sprechen sollen.
Die Debatte um Migration wird heute nicht ehrlicher geführt als vor der Kölner Silvesternacht. Würde sie ehrlicher geführt, stünde die AfD nicht bei 30 Prozent. Kurz vor Wahlkämpfen zeigen Politiker gerne Härte. Aber ich vermisse im Alltag Strategien für eine bessere Integration.
Ich arbeite als Psychologe im Gefängnis auch mit Menschen, die Sexualstraftaten begangen haben. Viele verstehen nicht, was sie falsch gemacht haben – wegen ihrer Sozialisation und der mitgebrachten Werte. Da haben wir noch viel zu tun.
Aufgezeichnet von Tim Stinauer

