Nummer gegen Uni-KummerKölner Studenten helfen Studenten

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Studium in der Massenuniversität

Studium in der Massenuniversität

Köln – Manchmal steckt der Teufel im Detail. Zunächst schien das Problem überschaubar, das eine Anruferin Lisa-Marie Marx am Telefon schilderte. Die Studentin, die die Hotline des Info- und Beratungstelefons „Nightline“ eines Abends wählte, schilderte Marx, dass ihr Drucker kaputtgegangen sei, und das, obwohl sie am nächsten Tag eine wichtige Seminararbeit hatte abgeben müssen. Was sich wie eine Lappalie anhörte, entpuppte sich als Ventil für einen lange aufgestauten Frust. Die junge Frau erzählte nach und nach, dass sie sich einsam an der Massenuni Köln fühle, von ihren Eltern nicht unterstützt werde und zwei Stunden pro Tag zur Hochschule pendeln müsse.

Fünfmal in der Woche bietet das Team von „Nightline“ ein telefonische Beratung von Studenten für Studenten an. Die Bandbreite der Themen ist groß: Die angehenden Akademiker berichten von Stress im Studium, Geldproblemen, Zoff mit Freunden, von Depressionen und sozialen Ängsten. Oft tut es ihnen schon gut, mit jemandem über die Probleme sprechen zu können und emotionale Unterstützung zu unterhalten. Eine psychologische Beratung bietet „Nightline“ allerdings nicht an. „Dafür sind wir nicht ausgebildet“, sagt Marx. Im Zweifelsfall werden Anrufer daher gebeten, sich zum Beispiel an die psychosoziale Beratung der Universität oder des Studierendenwerks zu wenden.


Die Idee des Beratungstelefons an Hochschulen stammt ursprünglich aus Großbritannien, wo es solche Hilfsangebote schon in den 1970er Jahren gab. In Heidelberg etablierte sich 1994 die erste „Nightline“ in Deutschland. Mittlerweile gibt es sie in zwei Dutzend Universitätsstädten, unter anderem in den NRW-Kommunen Aachen, Bielefeld und Münster. In Köln hat sie nun ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Im Oktober 2009 fanden die Ausbildungen für eine Hotline statt. Am 1. November 2009 wurden die Telefone freigeschaltet, damals noch in einem provisorisch hergerichteten Raum in der Universität.

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Lisa-Marie Marx studiert Gesundheitsökonomie und ist seit dem zweiten Semester bei „Nightline“ dabei. Damals hatte sie etwas Luft im Studium und Lust, sich sozial zu engagieren. „Nightline war das beste Ehrenamt, das ich finden konnte.“ Das ist viereinhalb Jahre her. Seitdem übernimmt sie einmal im Monat eine dreistündige Schicht im etwa 25-köpfigen Team und ist seit anderthalb Jahren auch im Vorstand aktiv. Einige der Probleme kennt sie aus eigener Anschauung: „Ich saß auch in Vorlesungen mit Hunderten anderen Studenten und hatte das Gefühl, dass es keinem auffällt, ob man da ist oder nicht.“

Lisa-Marie Marx

Lisa-Marie Marx

Die Geschichten der Anrufer gehen den ehrenamtlichen Helfern oft nahe: Marx erinnert sich an eine Anruferin, die zu ihrem Freund in eine Kleinstadt gezogen war und mit den neuen Lebensumständen nicht zurechtkam. „Sie hat am Telefon geweint, und das war krass, weil ich so mitfühlen musste.“ Ein anderer Nightliner, der seinen Namen nicht veröffentlichen will, erzählt, dass er einmal einen Suizid-Anruf erhalten habe. Es sei ihm aber gelungen, die Anruferin zu beruhigen und sie von dem Vorhaben abzubringen.

Einmal rief eine junge Frau bei „Nightline“ an, um sich zu erkundigen, wo man kostenlos in Köln übernachten könne. Das klassische Info-Gespräch entwickelte sich schnell in eine andere Richtung: Heraus kam, das die Anruferin bei ihrer Mutter in guten Verhältnissen lebte, diese sie aber unter Leistungsdruck stellte und sie teilweise sogar misshandelte. Der Nightliner legte ihr nahe, eine Therapie zu machen und suchte ihr entsprechende Kontaktdaten heraus.


Im vergangenen Semester waren bei „Nightline“ knapp zwei Drittel der Anrufernden Frauen und ein Drittel Männer. Pro Schicht melden sich durchschnittlich zwei Anrufer, die Gespräche dauerten im Mittel 45 Minuten. Das war fast doppelt so lange wie im Semester zuvor. Anliegen der Anrufer waren der Bedarf nach einer Aussprache (58 Prozent), emotionale Unterstützung (25 Prozent) und ein Kontaktwunsch (13,9 Prozent). 


Bevor Marx und die anderen Nightliner ans Telefon dürfen, werden sie geschult. Sie müssen lernen, empathisch zu sein, aber dennoch Distanz zu wahren. Die Nightliner erhalten zudem rechtliche Informationen, Tipps, wie man ein Gespräch führt und wann man einen Anrufer weitervermittelt an andere Einrichtungen. Auch Nightliner, die bereits länger im Team sind, müssen einmal im Jahr ihr Wissen durch Schulungen auffrischen. Anonymität wird bei „Nightline“ großgeschrieben. Die Anrufer müssen nicht ihren Namen nennen, die Inhalte der Gespräche werden streng vertraulich behandelt.

Gefördert wird der Verein unter anderem von der Uni Köln, der TH Köln, der Sporthochschule, dem Studierendenwerk und verschiedenen Asten. Dennoch braucht der Verein immer wieder finanzielle Unterstützung, um beispielsweise Werbematerial wie Flyer drucken lassen zu können. Gesucht werden auch immer wieder ehrenamtliche Mitarbeiter für den Telefondienst.

Nightline ist während der Vorlesungszeit täglich außer mittwochs und samstags von 21 bis 24 Uhr unter der Telefonnummer 0800/4 703500 zu erreichen.

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