Kölner Wissenschaftler wollen Forschungslücken schließenWie gefährlich ist das Weltall für Frauen?

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Die beiden Forschungspuppen Helga (l) und Zohar stehen während einer Präsentation in einem Raum.

Die beiden Forschungspuppen Helga (l) und Zohar stehen während einer Präsentation in einemRaum.

Schon im kommenden Jahr soll die erste Frau zum Mond fliegen. Auf der Reise warten gleich mehrere Herausforderungen – neben der Schwerelosigkeit auch die kosmische Strahlung. Was macht das mit dem weiblichen Körper? Weltraummedizinerinnen und Weltraummediziner tappen noch im Dunkeln.

Die Crew der nächsten Raumfahrtmission zum Mond steht fest: Christina Koch, Victor Glover, Reid Wiseman und Jeremy Hansen werden Ende 2024 an der Artemis-2-Mission teilnehmen. Im „Orion“-Raumschiff werden sie den Erdtrabanten umrunden und anschließend wieder zur Erde zurückkehren. Koch wäre die erste Frau auf einer Mondmission.

Doch die US-Raumfahrtbehörde Nasa will mit den Artemis-Missionen noch einen Schritt weiter gehen: Sie will den Mond nicht nur umrunden, sie will rund 50 Jahre nach der letzten Apollo-Mission auch wieder auf ihm landen. Ein konkretes Datum für die Mondlandung hat die Nasa noch nicht genannt.

Bei den Artemis-Missionen setzt die Nasa auf Diversität

Frühestens 2025 könnte es soweit sein. Es wäre ein historischer Moment: Zwölf Menschen haben den Mond bisher betreten – alle waren aus den USA, weiß und männlich. Bei den Artemis-Missionen setzt die Nasa nun auf Diversität: Bei der Artemis-3-Mission soll neben der ersten nicht weißen Person erstmals auch eine Astronautin einen Fuß auf den Mond setzen.

„Unsere Arbeit wird mehr Menschen Möglichkeiten eröffnen, die Mondoberfläche zu erforschen, und ist ein Beweis für amerikanische Innovation“, schrieb der Chef der Weltraumbehörde, Bill Nelson, vor Kurzem auf Twitter.

Mit Christina Koch beginnt nun die Ära der weiblichen Mondexploration. Es wäre das erste Mal, dass sich eine Frau auf eine längere Mission im freien Weltraum begibt. Die weiteste Strecke, die eine Astronautin bisher zurückgelegt hat, ist von der Erde bis zur Internationalen Raumstation, kurz ISS. Der Flug zum Außenposten der Menschheit dauert teils nur einige Stunden, bis zum Mond könnten es einige Tage sein – je nach Geschwindigkeit des Raumschiffs.

Wie wirken sich längere Weltraumflüge auf weibliche Körper aus?

Die Astronautinnen und Astronauten sind also allein bei ihrem Flug länger den Gefahren des Weltraums ausgesetzt wie der Weltraumstrahlung – was sich auf ihren Körper auswirken wird. Es gibt in diesem Zusammenhang aber noch ein anderes Problem: Denn wie genau sich längere Weltraumflüge auf den weiblichen Körper auswirken, ist noch nicht hinlänglich bekannt. Die Weltraummedizin umfasst mehr Daten zu Männern als zu Frauen – was daran liegt, dass die Raumfahrt noch immer männerdominiert ist. Das heißt, es ist noch weitgehend unklar, wie sich die kosmische Strahlung auf die weiblichen Organe, insbesondere auf die Fortpflanzungsorgane, auswirkt. Oder wie sich die Knochenstruktur von Frauen in der Schwerelosigkeit verändert. Dieses Wissen fehlt – und das, obwohl schon im kommenden Jahr die erste Frau zum Mond fliegen soll.

Am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln ist man nun dabei, Forschungslücken zu füllen – und zwar mit Helga und Zohar. Keine echten Menschen, sondern Strahlenmesspuppen, die an der Artemis-1-Mission, dem ersten Testflug zum Mond im vergangenen Dezember, teilgenommen haben. Die beiden Puppen sind weiblichen Körpern nachempfunden und enthalten nachgebildete Organe und Knochen aus Kunststoff.

Kölner Puppen Helga und Zohar heil aus dem All zurückgekommen

Nach 25 Tagen im All sind sie inzwischen wieder heil nach Köln zurückgekehrt. „Sie sehen aus, als ob sie nie weggewesen wären“, sagt Thomas Berger, Leiter des Mare-Projekts. Von ihrem Flug mitgebracht haben Helga und Zohar jede Menge Daten, die Berger und sein Team jetzt auswerten müssen. Mehr als 12.000 Detektoren haben während ihres Flugs die Strahlenbelastung gemessen – unter anderem in den strahlenempfindlichsten Organen des Körpers wie der Lunge, dem Magen, der Gebärmutter und dem Knochenmark. „Die aktiven Strahlungsdetektoren haben durchgehend schon erstklassige Daten geliefert“, sagt Berger. „Alles hat hier perfekt funktioniert.“

Aus den Daten soll am Ende ein dreidimensionales Abbild der Strahlenbelastung des weiblichen Körpers während eines Mondflugs entstehen. Erste Resultate will und darf der Projektleiter noch nicht verraten. Erst müssten die Daten vollständig ausgewertet und in einem wissenschaftlichen Fachmagazin publiziert werden. „Es ist nicht so, dass wir nicht ungefähr eine Ahnung davon haben, wie groß die Strahlenbelastung im „Orion„-Raumschiff ist“, sagt er. Mithilfe von Simulationsrechnungen könne man die ungefähre Strahlenbelastung ermitteln. „Aber jede Simulation ist nur so gut wie die Messdaten, mit denen man die Simulation am Ende vergleichen kann.“ Detaillierte Ergebnisse erwartet der Forscher Anfang kommenden Jahres.

Schon einmal hat eine Strahlenmesspuppe des DLR das Weltall erkundet. Sie war zwischen 2004 und 2005 an der Außenwand der ISS befestigt, um zu messen, wie hoch die Strahlenbelastung außerhalb der Raumstation ist. Danach hatte sie sich an drei verschiedenen Positionen innerhalb der ISS befunden. Bei dem „Matroschka“-Experiment war eine männliche Puppe im Einsatz. „Deshalb wissen wir schon ganz gut, wie der Strahlungstransport im männlichen Körper funktioniert und welche Dosen zu erwarten sind“, sagt Christine Hellweg, Leiterin der Abteilung für Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „Wir hatten aber keine Daten für den weiblichen Körper.“

Frauen sind in Weltraummedizinstudien unterrepräsentiert

Dass Frauen allgemein in Weltraummedizinstudien unterrepräsentiert sind, hat nach Ansicht von Hellweg einen einfachen Grund: Studien mit Frauen sind zu aufwendig. Etwa, weil der Menstruationszyklus beachtet werden muss. Um vergleichbare medizinische Daten zu gewinnen, müssten alle Probandinnen in der gleichen Menstruationsphase sein. Diesen Aufwand haben Forschende in der Vergangenheit vermieden, indem sie nur männliche Probanden auswählten. „Da hat in den letzten Jahren ein komplettes Umdenken eingesetzt“, sagt die Strahlenbiologin. Inzwischen sind Forschende dazu angehalten, wenn möglich beide Geschlechter in ihre Studien mit einzubeziehen. 

Als die Nasa vor gut 50 Jahren zum Mond aufbricht, geht es vor allem um Schnelligkeit. Die Raumfahrtbehörde will als Erste auf dem Erdtrabanten landen, vor der damaligen Sowjetunion. Der Machtkampf beider Nationen auf der Erde verlagert sich ins Weltall. Wenn Astronautinnen und Astronauten heute zum Mond fliegen, steht hingegen ihre Sicherheit an erster Stelle. Deshalb sei das „Orion“-Raumschiff besser gegen die Weltraumstrahlung abgeschirmt als damals die Apollo-Raumschiffe, sagt Berger. Strahlenmessdaten von vergangenen Mondmissionen seien zwar noch immer wichtig zum Vergleich, bei deren Interpretation müssten jedoch die unterschiedlichen Abschirmungen berücksichtigt werden. „Alles, was wir jetzt an Daten generieren, hilft uns bei künftigen Missionen und erlaubt uns, sicherer im Weltall fliegen zu können.“

Doch was macht die Weltraumstrahlung überhaupt so gefährlich? Kosmische Strahlung ist ziemlich komplex. Vereinfacht gesagt handelt es sich um energiegeladene Teilchen, darunter Protonen und Atomkerne von Wasserstoff, Helium bis hin zu Eisen und Uran. Sie werden durch Überreste von Sternexplosionen – sogenannten Supernovae – außerhalb unseres Sonnensystems stark beschleunigt, sie werden aber auch von der Sonne freigesetzt. Das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre verhindern, dass zu viel kosmische Strahlung unseren Planeten erreicht; gleichzeitig fangen sie aber auch energiegeladene Teilchen ein.

Jeder Flug ins All ist mit einem gesteigerten Krebsrisiko verbunden

So entstehen Strahlungsgürtel, durch die Astronautinnen und Astronauten bei ihrem Flug zum Mond fliegen müssen. „Die Teilchen hinterlassen teilweise irreparable Schäden in unseren Zellen“, sagt Strahlenbiologin Hellweg. Ist die Erbsubstanz der Zellen geschädigt, können sie entarten. Es können bösartige Tumore entstehen. Jeder Flug ins All ist also mit einem gesteigerten Krebsrisiko verbunden – das gilt sowohl für Astronauten als auch für Astronautinnen. Da Frauen ein ausgeprägteres Brustgewebe haben als Männer, ist bei ihnen gerade das Brustkrebsrisiko erhöht. Auch kann die kosmische Strahlung zum Beispiel die Augenlinsen eintrüben oder Effekte auf das zentrale Nervensystem und andere Organsysteme haben.

„Die Strahlenbelastung ist eine der zentralen ungelösten medizinischen Herausforderungen der astronautischen Raumfahrt“, sagt DLR-Vorstandsvorsitzende Anke Kaysser-Pyzalla. Das grundsätzliche Problem ist, dass sich die Strahlenbelastung auf der Erde nur schwer simulieren lässt. Die Strahlenbelastung durch kosmische Strahlung auf der Erde beträgt 0,3 Millisievert pro Jahr. Auf der ISS ist sie 200- bis 300-mal so groß, auf der Mondoberfläche etwa 500-mal so groß und im freien Weltraum sogar 700- bis 800-mal so groß.

Bisher sind nur Experimente mit einzelnen Teilchen wie Protonen möglich, die Forschende in Strahlenbeschleunigern auf unterschiedliche Zellkulturen richten – und das auch nur für einen kurzen Zeitraum. Erst jetzt würden Experimente mit komplexeren Strahlenfeldern losgehen, sagt Hellweg. Die Forschungsarbeit hilft nicht nur dabei, die Auswirkungen der Weltraumstrahlung besser zu verstehen. Sie dient auch dazu, Maßnahmen zu entwickeln, die die Astronautinnen und Astronauten vor den energiegeladenen Teilchen im All schützen.

Eine Schutzmöglichkeit hat Zohar auf ihrem Flug getestet. Die Puppe trug eine Strahlungsschutzweste, bestehend aus einem Polymer mit hohem Wasserstoffanteil. Entwickelt hatte die Weste das israelisch-amerikanische Unternehmen Stemrad. Sie ist dafür gedacht, vor allem die strahlenempfindlichen Organe von Astronautinnen zu schützen. „Der Vergleich der Strahlungswerte von Helga ohne Weste und Zohar mit Schutzweste zeigt uns, welche Abschirmungswirkung die Weste entfalten könnte“, erklärt Berger. Doch auch hier fehlt es noch an detaillierten Daten. Sollte sich die Strahlenschutzweste als erfolgreicher Schutz herausstellen, könnte sie in Zukunft bei weiteren Langzeitmissionen zum Einsatz kommen.

Astronautinnen müssten sie während des Flugs jedoch nicht dauerhaft tragen, sondern nur, wenn die Sonne besonders aktiv ist, das heißt, vermehrt Strahlung freisetzt.

Muskeln brauchen keine Kraft mehr, Knochen müssen nichts tragen

Eine andere Gefahr, mit der Astronautinnen und Astronauten im All konfrontiert sind, ist die Schwerelosigkeit. Sie versetzt den menschlichen Körper in einen unnatürlichen Zustand: Die Muskeln brauchen keine Kraft mehr, die Knochen müssen nichts mehr tragen. In der Folge bauen sie sich mit der Zeit ab. Dieser Knochenverlust kann sogar noch mehrere Monate nach der Rückkehr zur Erde bestehen bleiben. Das hat ein Team um Leigh Gabel von der kanadischen University of Calgary herausgefunden.

Bei neun von 17 Astronauten zeigten sich ein Jahr nach dem Rückflug noch Veränderungen in der Knochenstärke und Knochendichte. Allerdings variierte der Knochenverlust je nach Person und Skelettbereich. „Die Bedeutung der Missionsdauer für die Gesundheit des Skeletts wird immer wichtiger, da längere Missionen zur ISS immer häufiger werden und für die nahe Zukunft Missionen der Explorationsklasse geplant sind“, schreibt das Forscherteam in seiner Studie, die im Juni vergangenen Jahres im Fachmagazin „Nature“ erschienen ist.

Künftige Untersuchungen sollten mehr weibliche Astronauten einbeziehen
Ein Forscherteam im Fachmagazin „Nature“

Die Forschungsarbeit hat jedoch eine nicht zu vernachlässigende Einschränkung: Sie umfasst keine Astronautinnen. Das heißt, es ist nicht klar, inwieweit sich die Ergebnisse auf den weiblichen Körper übertragen lassen. „Unsere geringe Stichprobengröße spiegelt die Natur der Gesundheitsforschung im Weltraum wider“, merken die Autorinnen und Autoren selbst an. „Künftige Untersuchungen sollten mehr weibliche Astronauten einbeziehen, damit geschlechtsspezifische Unterschiede beim Knochenschwund und der Knochenerholung bewertet werden können.“

Was auch in der Schwerelosigkeit passiert, sind Flüssigkeitsverschiebungen. Blut und Wasser strömen in Richtung Kopf. In den ersten Tagen im All haben Astronautinnen und Astronauten deshalb geschwollene Gesichter, sogenannte Puffy Faces. Der Druck im Kopf erhöht sich, und damit auch auf die Augen. Der Nasa zufolge kommt es bei rund 70 Prozent der Astronautinnen und Astronauten zu Schwellungen des Augenhintergrunds, wenn sie auf der ISS sind. Zudem können sich die Augäpfel in der Schwerelosigkeit verformen und der Sehnervenkopf anschwellen. Forschende sprechen vom Sans, dem „Spaceflight-Associated Neuro-ocular Syndrome“. Es ist vor allem von Langzeitmissionen bekannt.

30 Tage im Bett liegen – für die Wissenschaft

Wie und warum die Schwerelosigkeit die Augen schädigen kann, untersucht das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Bettruhestudien. Aktuell läuft die Sans-Bettruhestudie: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen dabei 30 Tage lang in einem Bett liegen. „Viele Probanden stellen sich das zunächst ganz gechillt vor“, sagt Claudia Stern, Leiterin der Abteilung für Klinische Luft- und Raumfahrtmedizin. „Aber sie merken schnell, dass es doch nicht ganz so einfach ist.“ Denn das Bett ist kopfwärts um sechs Grad geneigt, was „die Effekte der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper ideal simuliert“.

Der Druck im Kopf steigt, und durch das lange Liegen bauen sich Muskeln ab. 30 Tage lang dürfen die Teilnehmenden nicht aufstehen, eine Schulter muss immer auf der Matratze bleiben. Essen, trinken, auf Toilette gehen – alles muss im Bett stattfinden. Stern und ihr Team untersuchen währenddessen, ob sich die Augen der Probandinnen und Probanden so verändern wie im All. Also, wie sich die Netzhaut und der Augeninnendruck ändern, ob sich der Augapfel verkürzt und inwiefern die Sehkraft abnimmt. Bei einer solchen Studie konnte das DLR erstmals nachweisen, dass auch in der Sechs-Grad-Haltung der Sehnervenkopf anschwillt.

„Wir forschen jetzt schon lange zum Sans und wissen doch noch nicht genau, wie es entsteht“, sagt Stern. Zunächst war die Weltraummedizin davon ausgegangen, dass das Syndrom nur bei Männern auftritt. Doch inzwischen ist klar: Auch Frauen können von derartigen Augenveränderungen betroffen sein. Wie sich Astronauten und Astronautinnen vor Sans schützen können, wollen Stern und ihr Team weiter erforschen. Helfen könnte die „Lower Body Negative Pressure“-Technik, kurz LBNP. Dabei wird ein Unterdruck auf den Unterkörper erzeugt. Kosmonauten nutzen diese Technik schon jetzt, bevor sie von der ISS zur Erde zurückkehren. Die Idee ist nun, LBNP als grundsätzliche Gegenmaßnahme gegen Sans auf der Raumstation einzusetzen.

Bis dahin müssen aber noch einige Forschungsfragen geklärt werden. Zum Beispiel: Wie viel Unterdruck braucht es? Über welchen Zeitraum müssen die Astronautinnen und Astronauten dem Unterdruck ausgesetzt sein? Und, gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die bei der LBNP berücksichtigt werden müssen? Antworten auf diese Fragen versuchen die Bettruhestudien des DLR zu finden. Seit 2017 umfassen sie auch weibliche Testpersonen. Nicht nur dort zeigt sich: Die Weltraummedizin wird zunehmend weiblicher – und passt sich somit der Raumfahrt an. Schließlich bekommen immer mehr Frauen die Chance, ins All zu fliegen.

Das verdeutlich allein die aktuelle Astronautenklasse der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa: Unter den 17 ausgewählten Astronauten sind acht Frauen. Dennoch ist es aus Sicht von Stern noch ein „langer Weg“, bis Frauen und Männer sowohl in der Raumfahrt als auch in der Weltraummedizin in gleichem Maße repräsentiert sind. „Die Forschung trägt aber auf jeden Fall dazu bei, dass wir nun mehr Erkenntnisse zum weiblichen Körper sammeln können.“

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