Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“.
„Christliche Werte vermittelt“Kölner Krankenschwester hat noch von Nonnen gelernt

Heide Hansen-Fischer arbeitet sei fast 50 Jahren als Krankenschwester.
Copyright: Susanne Hengesbach
Heute habe ich eine Gesprächspartnerin gefunden, der ich endlich die Frage stellen kann, die mich beschäftigt, seit ich vor ein paar Wochen im Odeon-Kino „Heldin“ gesehen habe: „Muss es erst so weit kommen, dass ein Privatpatient namens Friedrich Merz in seinem Krankenhausbett anderthalb Stunden auf ein Schmerzmittel zu warten hat, bis wir dem Problem des Pflegenotstands mehr Aufmerksamkeit widmen?
„Es ist nicht nur ein Personalproblem, sondern ein Problem der Ethik“, entgegnet Heide Hansen-Fischer. Die gebürtige Kölnerin beklagt nicht nur die fehlenden Kräfte in Krankenhäusern, sondern die verlorengegangenen Werte in ihrem Berufsstand. Krankenschwester zu sein, sei kein Beruf, sondern eine Berufung und bedeute, „die eigenen Bedürfnisse ganz weit hinten anstellen zu müssen“.
Bei Nonnen gelernt
Was die Pflegefachfrau Floria Lind alias Leonie Benesch in Petra Volpes Film „Heldin“ während einer Schicht auf der onkologischen Station eines Krankenhauses erlebt, gehört für Hansen-Fischer seit fast einem halben Jahrhundert zum beruflichen Alltag. „Ich habe bei Nonnen gelernt. Damals wurden noch christliche Werte vermittelt“, erklärt die Kölnerin.
Die Art, wie sie das sagt, lässt keinen daran Zweifel aufkommen, wie wichtig ihr, die „eine kritische Haltung gegenüber der Kirche“ betont, genau diese Werte sind. Gut erinnert sie sich auch noch an ihre beruflichen Anfänge im Heiliggeistkrankenhaus. „Wir waren der erste Kurs, der Hosen tragen durfte.“
„Viele achten heute bei der Berufswahl primär auf Karrieremöglichkeiten.“ Pflegemanagement hat aus Sicht meiner Gesprächspartnerin jedoch nicht mehr viel mit dem Dienst am Menschen zu tun; ganz abgesehen davon, dass man die Entscheidung für gerade diesen Beruf „nicht am Finanziellen festmachen“ dürfe.
Fast nur noch nachts tätig
Bei Heide Hansen-Fischer war die Wahl des Berufes damals eine Herzensangelegenheit. Daran hat sich nie etwas geändert, was man auch daran erkennt, dass sie mit 66 Jahren – trotz Eintritt ins Rentenalter – noch immer im Beruf ist, was zwar auch – aber nicht nur finanzielle Gründe habe. Als überwiegend allein erziehende Mutter sei sie seit der Geburt ihrer beiden Töchter praktisch nur noch nachts tätig gewesen, erzählt Hansen-Fischer.
Sie kennt chirurgische Stationen, sie kennt Psychiatrie. Sie hat im neurologischen Reha-Zentrum der Kölner Uniklinik gearbeitet und denkt mit Schrecken an ihre Zeit in Lindlar, wo sie nachts sowohl für HNO-Patieten zuständig war als auch für die urologische Ambulanz im Keller. „Oben auf der Station lagen viele frisch an den Mandeln operierte Kinder, bei denen es häufiger zu Nachblutungen kam. Trotzdem mussten wir bei urologischen Notfällen nach unten.“
Zeit war schon in den 70er-Jahren knapp
Während ich versuche, mir die Situation vorzustellen, sagt Heide Hansen-Fischer: „In Pflegeheimen ist es oft noch viel schlimmer. Da kann man nichts in Ruhe machen. Wenn man für 30 Personen zuständig ist, ist man gerade mal mit der ersten Runde Inkontinenzmaterial fertig, dann geht es von vorne los. Wenn zwischendurch jemand muss, hat er Pech. Das ist so was von unmenschlich! Wenn man da empathisch arbeitet, geht man morgens weinend nach Hause.“
Ich erzähle von meinem studentischen Nebenjob als Nachtwache und davon, dass mir bereits damals, Ende der 70er Jahre, die Oberschwester bei der Einarbeitung eingebläut hatte: „Wir haben keine Zeit, mit den Patienten zu schwätzen!“
Mein Gegenüber nickt. „Dabei ist es ein Grundprinzip der Heilung, dass man miteinander spricht. Aber die Zeit ist überhaupt nicht mehr da.“
Wechsel in die Intensiv-Medizin als Ausweg
Kaum noch in der Lage zu sein, mit Patienten zu reden oder ihnen zuzuhören, dieser Missstand hat Fischer-Hansen letztlich bewogen, von Krankenhausstationen in die häusliche Intensiv-Medizin zu wechseln, wo sie nur für eine einzige Person zuständig sei.
Seit etwa einem Jahr, berichtet sie, betreue sie ein 17-jähriges Mädchen, das aufgrund eines medizinischen Fehlers schwerstbehindert sei, beatmet werden und alle zwei Stunden umgelagert werden müsse. „Eine sicherlich auch psychisch herausfordernde Aufgabe“, sage ich. Mein Gegenüber lächelt und erklärt, dass es mit seiner Patientin nur über die Mimik kommunizieren könne; ihm selber aber jedes Mal das Herz aufgehe, wenn dieses todkranke Mädchen es mit einem strahlenden Lächeln begrüße.
Gemessen am Personalschlüssel in Kliniken sei solch eine Eins-zu-eins-Betreuung echter Luxus. „Welche Möglichkeiten sehen Sie, um die Situation auf den Krankenhausstationen zu verbessern?“, frage ich. – Wir brauchen nicht nur mehr Personal, wir müssen bei den Menschen vor allem wieder die Empathie wecken. Und wir brauchen ein Pflichtjahr für alle, die im sozialen oder medizinischen Bereich arbeiten möchten. Wenn keine grundliegenden Veränderungen geschähen, sieht Hansen-Fischer für die Zukunft schwarz.
Dann sei in spätestens zehn Jahren „die Grundversorgung nicht mehr gewährleistet“. Dann wird man nur noch die notwendigsten medizinischen Maßnahmen erledigten können. Alles andere – das Kochen, das Essen reichen und Körperhygiene – müssten Angehörige übernehmen.