Ladenschluss nach 30 Jahren

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Ulrike Geisen (r.) und ihre Mitarbeiterin Franziska Symank

Ulrike Geisen (r.) und ihre Mitarbeiterin Franziska Symank

Lindenthal –  Köln wurde zweimal zerstört. Einmal im Krieg und einmal beim Wiederaufbau. Diese Weisheit hat Goldschmiedin Ulrike Geisen in der Stadt schon häufiger gehört. Es sei durchaus etwas daran, findet sie. Köln sei zu voll, zu stressig und selbst Lindenthal eigentlich hässlich – im Vergleich jedenfalls, zu Bayern. Deswegen wird die gebürtige Kölnerin am Ende des Jahres auch mitsamt Mann und Hund die Stadt verlassen und nach Süddeutschland auswandern. Sie bekam gerade sozusagen einen schriftlichen Schubs, der ihr dabei geholfen hat, diese Entscheidung endgültig zu treffen: Nachdem sie knapp 30 Jahre an der Dürener Straße ihr Geschäft hatte, lief der Mietvertrag aus – und ihre Vermieterin kündigte ihr. Geisen verstand es nicht. „Wir haben uns eigentlich gut verstanden. Die Eigentümerin hat auch keinen Nachmieter“, kommentiert sie. Sie nahm es dann einfach als Zeichen, ihren Traum zu verwirklichen und in die Berge zu ziehen. Der erste Weihnachtstag wird zugleich der erste Tag sein, an dem es den Goldschmiedeladen nicht mehr gibt. Damit geht in Lindenthal eine Ära zu Ende. Und Geisen schlägt ein wichtiges Kapitel ihrer Lebensgeschichte zu, jedenfalls ein Stück weit: „Ich wusste schon mit zwölf, dass ich Schmuck entwerfen möchte.“ Das Goldschmiedehandwerk war ihr Traumberuf. Sie freute sich, als es endlich soweit war und sie ihre Lehre antreten konnte. Nach einigen Gesellinnen-Jahren absolvierte sie die Meisterprüfung und der Rest ergab sich wie von allein. „Ich war so voller Tatendrang, dass ich mich einfach selbständig machen musste“, sagt sie. An der Dürener Straße fand sie das passende Ladenlokal. „Die Mieten sind hier nicht ganz so hoch wie in der Innenstadt. Dort kann man sie mit einem Handwerk gar nicht bezahlen“, sagt Geisen. Gleichzeitig gäbe es in Lindenthal Kundinnen, die sich den Schmuck auch leisten könnten. Die Menschen seien nett, wenn es heute dort auch hektischer zugehe als früher. Trotzdem lief der Laden immer gut. Ein kleines Problem sei, dass die Frauen nicht mehr selbstverständlich Schmuck tragen würden. Viele fänden sich dafür zu sportlich. Anders als vielen anderen Branchen würde der Online-Handel den Goldschmieden allerdings nicht so zusetzen. „Kunden kaufen vielleicht einmal ein Schmuckstück einer bestimmten Marke online, aber Einzelanfertigungen bekommen sie dort natürlich nicht.“ Für die Goldschmiedin war es immer ein Highlight, wenn eine Kundin ein ganzes Collier bestellte und sie vor einer besonderen Herausforderung stand. Auf einen bestimmten Stil legt sie sich nicht fest. „Alle fünf Jahre mache ich in der Regel etwas ganz Neues“, sagt Geisen. Mal seien ihre Entwürfe eher gradlinig, dann wieder floral-verspielt. So sei für jeden etwas dabei. Während des langen und erfolgreichen Daseins an der Dürener Straße gab es auch einen Tiefpunkt: An einem Tag im Jahr 2006 fuhr um 7 Uhr morgens absichtlich ein Auto in ihr Schaufenster. Die Insassen räumten den ganzen Laden aus. Die Tat versetzte ihr einen Schock. Seitdem stehen Poller vor dem Ladenlokal. Während sie auf die neue Fensterscheibe wartete, arbeitete sie zwei bis drei Monate mit ihren Mitarbeiterinnen hinter einer Holzbarrikade – und entwarf eine ganz neue Kollektion und machte so aus der misslichen Lage das Beste. Und auch in Bayern möchte sie auf Dauer nicht untätig sein. Sie möchte eine kleine Werkstatt haben, vielleicht Schmuck online verkaufen, vielleicht einfach nur Ausstellungen veranstalten. „Meine Kundinnen können mich auf jeden Fall im Internet finden“, betont sie, „oder nach Düsseldorf fahren. Denn dort eröffnet ihre Mitarbeiterin Franziska Symank nun ein eigenes Geschäft und verkauft neben Eigenkreationen auch die ihrer ehemaligen Chefin.

Ulrike Geisen, Goldschmiedin

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