Artistin Lili Paul-Roncalli in Köln„Im Zirkus der Zukunft wird es keine Wildtiere geben“

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Lili Paul-Roncalli in der Roncalli-Manege im Zirkuszelt auf dem Neumarkt.
Sie ist Kontorsionskünstlerin
Foto: Martina Goyert

Interview mit Lili Paul-Roncalli in der Roncalli-Manege im Zirkuszelt auf dem Neumarkt. Sie ist Kontorsionskünstlerin

Die Artistin Lili Paul-Roncalli gewann 2020 die Sendung „Let's Dance“. Seit drei Wochen ist sie in der Manege am Neumarkt zu sehen. Ein Interview.

Lili Paul-Roncalli, der Zirkus gastiert nun schon seit drei Wochen auf dem Neumarkt, es ist ungefähr Halbzeit. Wie geht’s Ihnen nach etlichen Shows? 

Wenn ich nicht in den Kalender schaue, habe ich das Gefühl, dass wir erst eine Woche hier sind. Dass wir schon Halbzeit haben, ist eher erschreckend. Aber das zeigt auch, dass wir Spaß haben. Wir haben hier eine gute Zeit unter Kollegen, und da wir in meiner Heimatstadt sind, kann ich ihnen an den freien Tagen auch die Stadt zeigen.

Sie sind nach acht Jahren zurück in der Manege in Köln. Wie fühlt sich dieses Comeback für Sie an?

Es ist unser Heimspiel und wirklich schön. Der Ausblick, den ich habe, hat sich nicht verändert. Klar, die Darbietung hat sich verändert und ich habe komplett neue Kollegen, aber sonst ist es so schön, wie ich es in Erinnerung hatte.

Lili Paul-Roncalli in Köln: Besonderer Applaus vor erster Show

Gab es schon einen besonderen Moment in diesen drei Wochen?

Am ersten Samstag war der Applaus des Publikums so stark, da hatte ich noch nichts gemacht. Das war eine Premiere und ein warmherziger Empfang.

Erzählen Sie uns von Ihrer Kindheit in Köln. Waren Sie auch schon mal länger am Stück hier?

In der frühen Kindheit schon, da ging ich in den Kindergarten, während meine älteren Geschwister auf eine normale Schule gingen. Dann hat sich irgendwann die Zirkusschule in NRW entwickelt und Online-Unterricht wurde möglich. Seitdem sind wir immer mitgereist. Ich habe noch meine ersten zwei Schuljahre in einer normalen Grundschule absolviert. Bis dahin war es so, dass meine Mutter zuhause mit uns Kindern war und wir am Wochenende immer dem Zirkus mit dem Zug hinterhergefahren sind. Daher war es so schön, als wir die Nachricht erhielten, wir könnten immer mitreisen.

Lili Paul vor dem Zirkuswagen am Neumarkt

Lili Paul-Roncalii zieht es nach einigen Wochen an einem Stück wieder in die Ferne.

Wie läuft der Unterricht in der Zirkusschule ab?

Es ist intensiver. Abschreiben gibt es nicht. Ich war die einzige in meinem Jahrgang, es gibt vielleicht drei oder vier Kinder. Jeder hat dann seinen Lernstoff. Und im Winter bin ich dann immer zwei Monate in die normale Grundschule hier gegangen. Das war Pflicht und es wurde kontrolliert, dass wir mit dem Lernstoff vorankommen. Man ist dann vielleicht nicht neun Stunden im Unterricht, sondern vier oder fünf Stunden. Zusätzlich hat man den Vorteil, dass man in den vielen coolen Städten, die man bereist, immer neue Museen besichtigen oder andere Aktivitäten unternehmen kann.

Hatten Sie nie den Wunsch, sesshaft zu sein?

Ich hatte den tatsächlich nicht. Bei anderen Menschen mag das anders sein, aber ich habe nach vier, fünf Wochen an einem Ort immer das Gefühl, dass es auch wieder woanders hingehen kann.

Welche Zirkusnummer hat Sie als Kind mehr fasziniert als andere?

Als Kind war es die Kontorsion. So eine Nummer hatten wir damals nicht im Programm. Als Ersatz kam dann einmal eine Kontorsionistin und ich weiß noch, wie alle gespannt schauten und ich war so fasziniert: Mir wurde klar, dass es das war, wonach ich gesucht habe. Mit sechs Jahren fing ich dann an zu trainieren. Heute finde ich auch noch die Luftnummern faszinierend, ich habe aber ein bisschen Höhenangst. Ein Teil von mir würde gern in die Luft, der andere bleibt lieber am Boden. (lacht)

Lili Paul-Roncalli ist mit vielen Kulturen aufgewachsen

Sie sind in einem internationalen Ambiente aufgewachsen. Ihr Vater Bernhard Paul kommt aus Österreich, Ihre Mutter entstammt einer italienischen Artisten-Familie, Sie sind im Zirkus ständig unterwegs mit den unterschiedlichsten Artisten aus aller Welt. Kennen Sie überhaupt das Gefühl des Kulturschocks?

Nein, ich bin dafür mit zu vielen Kulturen groß geworden. Ich bin zwar in Deutschland geboren, aber manchmal fühlt sich das gar nicht so an, weil ich im Zirkus aufgewachsen bin. Hier konnte ich Kulturen und Sprachen kennenlernen. Auf Feiern präsentieren die Artisten dann ihre Kultur und ihr Essen.

Sind die Familien in der Zirkuswelt auch untereinander vernetzt?

Meine Familie ist schon in achter Generation eine Zirkusfamilie. Meine Cousinen und Tanten sind in Amerika und Italien verteilt, sie arbeiten manchmal in Australien. Dadurch lernt man immer wieder Zirkusfamilien kennen. Viele sind miteinander bekannt oder verwandt, das ist schon immer sehr interessant. 

Sie waren schon öfter im Fernsehen zu sehen, 2020 haben Sie die Show „Let’s Dance“ gewonnen. Sehen Sie Ihre Zukunft im Fernsehen oder im Zirkus?

Beides. Beim Fernsehen gibt es leider wenige schöne Sendungen, bei denen man mitmachen kann. Let’s Dance ist die schönste Sendung, finde ich. Aber sicher gibt es auch Sendungen, die spannend sind und nicht eine ganze Staffel lang gehen. Es reizt mich, auch hinter die Kulissen der Fernsehwelt zu blicken und zu erfahren, was man davon auch in den Zirkus einfließen lassen kann. Den Werbebereich finde ich auch unheimlich spannend, wo ich öfters als Testimonial mitwirken darf.

Welche Funktion haben Sie innerhalb des Zirkus neben Ihrer Artistik und wie beeinflussen Ihre Jobs als Model Ihre Arbeit im Zirkus?

Ich bin im Beirat des Zirkus aktiv und wie meine Geschwister Mitglied der Geschäftsleitung. Da merke ich auch, dass ich Einflüsse aus der Modewelt und aus dem Fernseh-Universum mitbringen kann. 

Zukunft des Zirkus 

Wie ist das Leben im Zirkuswagen?

In Köln wohne ich bei meinen Eltern und genieße diese Zeit umso mehr. Sonst bin ich beruflich viel unterwegs. Während der Gastspiele wohne ich dann im Wohnwagen, das ist sehr komfortabel und bei Modeljobs wohne viel in Hotels. Wenn ich nach Hause komme, ist es häufig so, dass ich nur einen Tag da bin und direkt wieder wegfahre. Da liegen auch manchmal vier bis fünf halb gepackte Koffer herum. 

2026 feiert Roncalli 50-jähriges Jubiläum. Wie Sehen Sie den klassischen Zirkus der Zukunft, worauf wird es ankommen?

Ich glaube, das Wichtige ist es, die Tradition und die Schönheit des Zirkus aufrechtzuerhalten. Dass man hereinkommt, sich wohlfühlt, es warm ist. Dass in der Manege aber auch immer wieder innovative Nummern stattfinden. Auch muss Zirkus mit den technischen Entwicklungen mitgehen. Was es nicht geben wird, sind Wildtiere. Das wird immer weniger eine Rolle spielen und das ist der richtige Weg.


Zur Person: Lili Paul-Roncalli wurde 1998 in München geboren. Sie ist die jüngste Tochter des Zirkusdirektors und Roncalli-Gründers Bernhard Paul sowie der italienischen Artistin Eliana Larible-Paul. Die 26-Jährige trainiert seit ihrem sechsten Lebensjahr mit den Artisten des Circus Roncalli. Paul ist Kontorsionistin: Kontorsion ist eine Form der Akrobatik, bei der die Artistin ihren Körper in Positionen verdreht oder verbiegt, die für die meisten Menschen unerreichbar zu sein scheinen.

Lili Paul-Roncalli kann man am Mittwoch, 8. Mai, 15. Mai sowie Donnerstag, 16. Mai jeweils im Vorfeld der 15-Uhr-Vorstellung für eine Signierstunde antreffen. (gam)

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