Kölner Roncalli-Chef„Wir lassen Krieg, Corona und Lauterbach nicht in die Manege“

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Bernhard Paul

Roncalli-Chef Bernhard Paul

Herr Paul, am 7. April soll Ihr Gastspiel auf dem Kölner Neumarkt starten – im vierten Anlauf scheint es zu klappen… Bernhard Paul: Tja, verschrei es nicht (klopft dreimal auf Holz). Die Infektionszahlen steigen, die Krankenhauseinweisungen sinken  – es ist eine geheimnisvolle Krankheit. Ich habe alles getan, was geht, bin dreimal geimpft plus Grippeimpfung plus alles, was es gibt. Bei mir im Zirkus auch alle, die Familie auch. 

Wie haben Sie die zwei Jahre Pandemie überstanden?

Wunderbar. Zwangsurlaub. Ich habe mir immer gewünscht, mal ein Jahr auszusetzen, um meine Sachen in Ordnung zu bringen. Alles, was so anfällt. Ich habe die Zeit genutzt. Und meine Memoiren geschrieben.

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Wann erscheinen die?

Im Herbst beim Wiener Brandstätter-Verlag. Ich habe einen Vertrag für zwei Bücher: Einmal meine Memoiren. Und das zweite Buch, das in Arbeit ist, soll 2026 erscheinen und heißt „50 Jahre Roncalli“. Eine Dokumentation von Anfang bis heute. Wo gibt es schon einen Betrieb, wo der Gründer nach 50 Jahren immer noch aktiv ist?

Die Rolling Stones?

Geh, I zeig dir wos. (holt eine Nahaufnahme vom faltenreichen Mick Jagger auf seinen Handy-Bildschirm) Da bin ich richtig erschrocken: Monsieur Plissé der Vielfältige! Das Bild ist ein Trost (lacht).

Wie sind Sie finanziell über die Runden gekommen?

Gut.

Hat Herr Laschet Ihnen viel gegeben?

Der Herr Laschet hat nicht einmal meinen Brief beantwortet, den ich zu Beginn der Pandemie geschrieben habe. Wir müssen den Zirkus endlich einmal dahinstellen, wo er hingehört, nämlich in die Kultur, und nicht ins Gewerbe (was einen niedrigeren Steuersatz zur Folge haben würde, Anm. der Red.). Wir haben ein Orchester und ein Ballett, und sind trotzdem Gewerbe? Was uns erstmal gerettet hat, war die Möglichkeit zur Kurzarbeit. Wir haben auch einen Zuschuss bekommen, der den Verlust nicht ausgleicht, einen aber am Leben erhält. Wir haben auch auf Rücklagen zurückgegriffen. Ich bin sehr froh, dass es uns noch gibt. Wir haben überlebt,die Artisten auch. Das Programm spielt, das soll mir einer nachmachen.

Roncalli-Programm

Das neue Programm „All For Art For All“ ist Bernhard Pauls  persönliche Hommage an die Kunst. In Bild und Ton werden Legenden wie  Rembrandt, Monet,  Mondrian, die Beatles oder die Rock’n’Roll-Ära zitiert. Nicht   mehr dabei ist  der  in den Vorjahren zum Publikumsliebling avancierte Clown Chistirrin, der  seinen erkrankten Vater in Mexiko betreut. Neben alten Bekannten wie Weißclown Gensi, Seifenblasenpoet Paolo Carillon und Pantomime Anatoli Akermann   sind der spanische Musikclown Rico  und die britisch-schrullige Komikerin Krissie Illing  neu im Lach-Ensemble. Dazu gibt es  faszinierende Artisten  wie Victor und Elena Minasov mit ihrer äußerst rasanten Quick-Change-Nummer oder Maria Sarach (Bild). (stef)

Roncalli ist der erste große Zirkus, der wieder an den Start geht.

Wir sind der erste. Andere wie der Zirkus Knie in der Schweiz haben es schon mal probiert und mussten direkt wieder zumachen. Ich habe die ganze Zeit still gehalten, weil ich das vorhergesehen habe. Jetzt habe ich es versucht, und wir spielen. Aber viele, gerade in der Gastronomie, sind über die Wupper gegangen.

Sind Sie denn mit dem aktuellen Auftritt des Circus Roncalli zufrieden?

Dadurch, dass wir zwei Jahre Zeit hatten, konnten wir vieles richten (siehe Kasten). Ich habe gerade einen Vertrag mit der UFA abgeschlossen für eine Doku-Soap, eine Serie, die die Geschichte des Circus Roncalli erzählen wird.  Mit Schauspielern und alten Originalfilmen.

Und wer spielt Bernhard Paul?

Den jetzigen ich. Den jungen? Keine Ahnung, wie gesagt, ich habe gerade erst unterschrieben. Das wird richtig großes Kino. Regisseur, Schauspieler, das steht alles noch nicht fest. Aber ich habe bei den Entscheidungen immer das letzte Wort.

Das ist ja nichts Neues…

(lacht) Eben, wie im richtigen Leben. Wir hatten gestern unsere monatliche Beiratssitzung, auch mit den drei Kindern. Die wollen das weitermachen. Auch wenn die Lilli gerade sehr erfolgreich modelt und beim ORF in der Show „Starmania“ in der Jury sitzt. „Let’s Dance“ hat sie ja gewonnen. Sie hat eine eigene Modelinie und ist sehr erfolgreich. Die bekommt Gagen, da schnallst ab. Lilli ist ja mit dem Tennisprofi Dominik Thiem liiert. Meine Töchter sind nicht ungeschickt (lacht). Ich habe so brave Kinder, die Vivi ist drüben im Büro. Familienzirkus!

Sie haben ja sowohl ukrainische als auch russische Artisten. Wie gehen sie damit um?

Wir lassen Krieg, Corona und Lauterbach nicht in die Manege. Im Zirkus willst du nicht dasselbe wie in der Glotze sehen. Beim Moskauer Staatszirkus fahren Panzer in die Manege und auf denen machen sie dann Akrobatik. Wahnsinn. Ich will das draußen lassen, der Zirkus hat eine Funktion, er soll die Sorgen vergessen lassen,  ablenken.

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Aber wie ist das innerhalb des Ensembles?

Wir haben gezittert, dass sie alle rauskommen, aber wir haben das geschafft. Nur ein Jongleur, den ich verpflichtet hatte, musste dableiben. Ein Stangenartist, der früher bei uns war, kämpft schon an der Front. Horror. Unser Clown Anatoli Ackermann ist halb Russe, halb Ukrainer. Die sind ja nicht nur ein Brudervolk, die sind auch noch alle verwandt miteinander. Zirkus ist die älteste multikulturelle Kulturinstitution. Zirkus war immer schon gemischt. Meine Frau Eliana ist Zigeunerin, Griechin, Italienerin, Spanierin, Französin. Larible – da sind fünf Nationen drin in der Familie. Im Zirkus war das nie ein Problem. Auch heute nicht. Die Artisten helfen sich untereinander, aber es ist eine traurige Zeit für sie. Die meisten kommen ja aus der Bingo-Artistenschule in der Nähe von Kiew. Da sind schon zwei Lehrer erschossen worden, Bomben schlagen ein. Da macht man sich keinen Begriff von. Ich habe denen, die jetzt gekommen sind, gesagt, sie sollen zumindest ihre Mütter mitbringen, das würden wir schon hinbekommen. Sie haben alle jemanden mitgebracht, und wir füttern die jetzt durch. Sonst sind die ja mit dem Kopf auch ständig in der Ukraine und werden von Sorgen aufgefressen.

Mit Krissie Illing haben Sie auch einen weiblichen Clown. Oder heißt das jetzt Clownin?

Bei der Premiere in Recklinghausen habe ich gesagt: Ich sage jetzt nicht „Liebe Gäst*innen“, sondern wie immer im Zirkus „Hochverehrtes Publikum“! Die Leute waren so froh, normales Deutsch zu  hören. Ich kann ja verstehen, dass man nicht mehr „Liebe Herren“ sagt, sondern „Damen und Herren“, aber nurmehr von Frauen zu reden? Ich hab im Fernsehen diese Oma gesehen, die jetzt Verteidigungsministerin ist, die hat gesagt „Liebe Soldat*innen“ – da waren aber nur Männer. Für mich sind alles Menschen, Publikum, egal ob schwul, divers oder was auch immer. Im Zirkus hat das noch nie eine Rolle gespielt. Also: Krissie Illing ist ein weiblicher Clown. Das Wichtigste ist doch, dass sie das sehr gut macht. Und sie ist wirklich komisch.

Werden Sie denn auftreten in Köln?

Nein. Obwohl, wenn’s mich juckt und alles läuft, dann werde ich meistens übermütig. Vielleicht mach ich dann mal einen Abend, ich mach’s ja gerne. Aber man kann das nicht einfach so an- und ausschalten und sagen, ab morgen bin ich wieder Zippo, der Clown.

Wie läuft der Vorverkauf?

Gut. Die Leute haben keine Angst mehr offensichtlich. In Recklinghausen sind wir jetzt schon 20 Prozent über den Zahlen von vor Corona. Ich hoffe, dass wir in Köln vor vollem Haus spielen dürfen. Die Plätze sind alle nummeriert, die Kontrollen aufwendig.

Was ist mit Ihren Plänen für Köln? Geht es nach Ihnen, soll aus dem Winterquartier in Mülheim ein Zirkusmuseum werden.

Köln ist, nicht zuletzt dank Carola Williams, schon vor Roncalli ein Stadt mit großer Zirkustradition. Die fertigen Pläne liegen in den Schubladen, die Finanzierung steht. In diesem „Museum of  Broken Dreams“ könnte meine Zirkus- und Clown-Sammlung gezeigt werden, aber auch Musikinstrumente und Anzüge der Beatles, das von Coco Chanel entworfene Kleid, das Marlene Dietrich in ihrem letzten Film „Gigolo“ trug, und dazu eine Gitarre von David Bowie, der auch im Film mitspielte. Außerdem die Nachlässe bekannter Artisten sowie Andenken an legendäre Clowns der Zirkusgeschichte und noch vieles mehr. Die Qualität der Sammlung ist einmalig und überragend. Aber die Stadt Köln kommt nicht aus dem Quark. Wir warten seit Jahren auf eine Baugenehmigung. Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker entschuldigt sich immer, dass es zu wenig Personal gäbe bei der Stadt. Sie verspricht, sich zu kümmern, und dann passiert wieder nichts. Viel bewegt hat die nicht in ihrer Zeit als OB, das muss ich jetzt mal ehrlich sagen. Außer dem Brunnen auf dem Neumarkt (grinst). Für ein Museum bräuchte ich mehr Grund. Hinter unserem Grundstück ist eine brachliegende Wiese, die in die Museumspläne einbezogen ist. Aber die Stadt bewegt sich nicht. So kann man die Wirtschaft nicht auf Vordermann bringen, wenn man alles liegen lässt. Es wäre billiger, ein paar Leute anzustellen, damit  gebaut werden kann in Köln.

Aber bei der Premiere sitzen Frau Reker oder Herr Laschet dann in der ersten Reihe?

Mal überlegen…Es fehlen einfach so Leute wie Johannes Rau, die was bewegt haben. Bei Frau Reker passiert nichts. Da müssen wir uns höchstens rumschlagen mit dem Brunnen auf dem Neumarkt. Den will sie unbedingt haben, weil sie da als Kind schon gesessen hat. Der Brunnen ist so unnötig wie ein Kropf. Da setzen sich noch nicht mal die Drogensüchtigen hin. Und immer, wenn wir kommen, muss da was abgebaut werden, weil der genau da liegt, wo unsere Manege ist. Die Stadt sollte froh sein, dass sie so etwas wie uns hat. Seit mehr als 45 Jahren bespaßen wir die Leute, alle lieben uns. Wie lange kämpfe ich schon für mein Museum. Sie haben immer andere Ausreden. Es ist traurig. Eins ist sicher: Wenn ich die Genehmigung von Frau Reker erst nach meinem Tod kriege, dann spreche ich kein Wort mehr mit ihr.

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