KlönsnackMoin moin, Kölle

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Leuchttürme sind den Norddeutschen lieb...

Leuchttürme sind den Norddeutschen lieb...

Junkersdorf – Ein Mann mit grauem Haar steht im Türrahmen: „Moin moin!“, sagt er zu der Gruppe, die an dem großen Tisch auf ihn wartet. Draußen ist es bereits dunkel. Wieso sich Menschen aus Norddeutschland auch am Abend mit „Morgen, Morgen“ begrüßen? Das mag sich mancher ahnungslose Rheinländer wohl fragen. Lektion Eins für einen Gast, der einmal bei dem „Klönsnack“ des plattdeutschen Gesprächskreises dabei sein darf: Die norddeutsche Grußformel hat mit dem hochdeutschen „Guten Morgen“ wenig zu tun, sondern kommt von dem niederländischen „Mooi, mooi“. Das bedeutet „schön, schön“, passt eigentlich immer – und irgendwie auch gut an diesen Ort in Junkersdorf, wo Kölschflaschen auf dem Tisch stehen: Die Räume am Wiener Weg 8, die dem Nachbarschaftsverein Junkersdorf gehören, wirken mit dem Perserteppich auf dem Boden und den Spitzenvorhängen ein wenig aus der Zeit gefallen.

Die acht mittlerweile ergrauten „Nordlichter“, die sich heute hier zum „Junkersdörper Klönsnack“, zum Plattdeutsch Plaudern treffen, hat es bereits vor Jahrzehnten nach Köln verschlagen. Die meisten sind der Arbeit wegen ins Rheinland gekommen, wie der 64-jährige Diethard Heesch beispielsweise. Er wurde im obersten Zipfel Schleswig-Holsteins geboren, in der Gemeinde Tellingstedt, „da, wo sich die Sängerin Alexandra totgefahren hat“. Das war 1969. Damals gab es für den gelernten Landmaschinenmechaniker in seiner Heimat keine Arbeit. In Köln fand er einen Job bei den Ford-Werken und obendrein ein kölsches Mädchen. Doch seinem Geburtsort blieb er verbunden, reiste regelmäßig nach Tellingstedt. Seine Kölner Frau musste mit.

Heute sitzt Irmgard Heesch mit am Tisch und spricht platt wie alle anderen. Wieso sie die norddeutsche Sprache so gut gelernt hat? „Das musste ich doch. Da oben sprechen die ja nichts anderes“, so ihre lakonische Antwort.

Das gilt nicht für alle Orte, aus denen die Teilnehmer des Gesprächskreises stammen – und nicht für alle Zeiten. In der Nachkriegszeit war es vielerorts verpönt, Platt zu sprechen. Plattdeutsch galt als Sprache einfacher Leute vom Dorf, der Bauern, der Unterschicht. Eltern sollten mit den Kindern Hochdeutsch zu sprechen, um ihre Chancen in der Schule zu verbessern.

Mehr als Nostalgie

Wilfried Darlath, Diplom-Chemiker, stammt aus Minden und kam zum Studium nach Köln. Er erinnert sich an die Sorgen seiner Großmutter. Sie war in seinem Heimatdorf „Dodenfru“, Totenfrau. Sie wusch die Verstorbenen und richtete sie her. Als Respektsperson wurde sie zu großen Familienfesten – wie goldenen Hochzeiten – eingeladen. Dort fragte sie eines Tages den „Schaumester“, den Dorfschullehrer: „Herr Schaumester, use Wilfried kann kein Hochdütsch, Wat mach wi nu?“ (übersetzt: „Herr Lehrer, unser Wilfried kann kein Hochdeutsch, was machen wir nun?“ ) Die Antwort: „Leve Schmidts-Oma, dat maket nix, dat Hochdüütsche lernt hei bi üs inne Schaule“.

Der plattdeutsche Gesprächskreis hat sich in der Kölner Diaspora zur Aufgabe gemacht, die Sprache zu konservieren. Der Grund ist mehr als Nostalgie. Sie hat ihren eigenen Charme, ihre ganz eigene Art, Dinge in Worte zu fassen. „He hett een von över de Elv“. Das sagte Karin Howeyhes Schwiegermutter, als sie ihren Mann Edgar kennenlernte. „Er hat eine von über die Elbe“. 30 Kilometer trennten die Geburtsorte von Karin und Edgar. Lüneburg in Niedersachsen und Geesthacht in Schleswig Holstein – und der große Fluss, die Elbe.

Jenseits und diesseits, das waren zwei unterschiedliche Welten: Diesseits der Weser, in der Nähe von Vechta, wuchs Johan Kranz auf. Jenseits der Weser war auch für ihn die Fremde, das war „güntsiet“ – jenseits.

Die Teilnehmer des Gesprächskreises sprechen je nach Herkunft sehr unterschiedliche Dialekte. Sie haben eine CD mit einem Gedicht von Siegfried Lenz aufgenommen, das ein Schriftsteller ins Plattdeutsche übersetzt hat, und das sie in ihrem jeweiligen Dialekt lesen. Es ist ein bleibender Beweis der Existenz dieser Dialekte, für die es teilweise keine geschriebenen Worte gibt.

„Wie will man diese Vokale, die eine Mischform aus o und a sind, denn auch in hochdeutsch wiedergeben?“, fragt Ludolf Schein. Mit Jan Kranz hat er den plattdeutschen Gesprächskreis vor genau zehn Jahren gegründet. Per Zeitungsannoncen haben sie 15 andere Klönsnacker gefunden, die in Köln heimisch geworden sind. Mit der Kölner Mentalität haben die norddeutschen Imis wenig Probleme. „Ich habe die Kölschen als aufgeschlossen, tolerant und weltoffen erlebt“, so Wilfrid Darlath. „Zuweilen wäre aber eine selbstkritischere Einstellung angebracht. Zu häufig ist der Kölner zu selbstverliebt.“ Da hilft seiner Ansicht nach ein norddeutscher Ausspruch: „Nu lat üs man up’n Teppich blieven“, nun lass uns mal auf dem Teppich bleiben.

Der norddeutsche Singsang ist selbst bei Ute Meurer zu hören, die in Cuxhaven aufwuchs und deren Eltern mit ihr nur Hochdeutsch sprachen. Plattdeutsch sprechen kann sie nicht. Ute Meurer nimmt am Gesprächskreis teil, um es wieder zu hören. „Je älter ich werde, desto mehr kehre ich zu meinen Wurzeln zurück“, sagt sie. Sie sehnt sich nach der Sprache ihrer Kindertage und nach dem obligatorischen „Moin moin“ zu jeder Tageszeit.

Interessierte, die am Klönsnack teilnehmen möchten, können sich bei Ludolf Schein melden. Er hat dieTelefonnummer 0221/46 72 24.

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