Statt MuseumsbesuchIm Haus Andreas in Köln-Lindenthal erleben Senioren eine digitale Führung

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Einige ältere Menschen sitzen im Halbkreis in einem großen Saal. Sie betrachten ein Bild, das auf eine Leinwand projiziert wird.

Die Senioren und Seniorinnen betrachten im Gemeinschaftsraum des Haus Andreas ein Bild des Malers Michael Ancher.

Wenn die Menschen nicht ins Museum gehen können, kommt das Museum zu den Menschen: „Dementia und Art“ veranstaltet digitale Führungen in Seniorenheimen.

Der Himmel ist mit bauschigen Wolken verhangen. Schnee bedeckt die Dünen. Einzelne Halme ragen daraus hervor. „Das ist Sandhafer“, weiß Marette Frielingsdorf. Die 86-Jährige ist eine von neun Senioren und Seniorinnen, die das Bild des dänischen Malers Michael Ancher betrachten. Ein Beamer wirft es auf die Leinwand, die vor ihnen steht. Die Gruppe nimmt im Gemeinschaftsraum ihres Wohnortes, dem Haus Andreas in Lindenthal, einem Seniorenheim des Clarenbachwerks, an einem digitalen Museumsbesuch teil. Per Internet zugeschaltet ist Jochen Schmauck-Langer, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens (De)mentia und Art. Er leitet die „Führung“.

Vier Bilder hat er ausgesucht, die er den Besuchern präsentiert. Schmauck stellt viele Fragen, lässt die Senioren erzählen. Was sie auf dem Bild noch sehen, möchte er wissen. Die älteren Menschen, entdecken die stürmische See im Hintergrund, ein Segelboot in Schieflage und reimen sich zusammen, was die Männergruppe im Vordergrund mit dem Boot tut, das einige mit Hilfe von Pferden die Dünen hochziehen: „Das sind Seenotretter“, stellen die Senioren und Seniorinnen gemeinsam fest. „Sie bringen das Rettungsboot zu Wasser.“ Schmauck schildert die Entstehungsgeschichte des Bildes: „Es ist vor rund 100 Jahren gemalt worden“, sagt er. Ancher lebte in Skagen, wo die Nord- und die Ostsee aufeinandertreffen. Dort ist das Meer oft sehr stürmisch und viele Schiffe gerieten in Seenot.

Bilder sind auf Sehgewohnheiten älterer Menschen abgestimmt

Bei Schmaucks digitalen „Museumsbesuchen“ geht es weniger um Kunstgeschichte, Farbauftrag oder die Qualität des jeweiligen Kunstwerks, sondern um die Geschichte, die es erzählt. „Ich moderiere ein Entdecken des Werks“, sagt Schmauck. „Ich mache auf Details aufmerksam und versuche die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was auf dem Bild geschieht.“ Die Teilnehmer sollen sich beteiligen, ihre Eindrücke schildern. In Seniorenheimen, in denen viele Menschen mit Demenz leben, zeigt er eher ältere Bilder, solche, die vor 100 Jahren populär waren, die ihren Sehgewohnheiten entsprechen und an ihre Erinnerungen anknüpfen.

„Wir haben das Format während der Pandemie entwickelt“, sagt Schmauck, „als kein Museumsbesuch mehr möglich war.“ Danach habe sich gezeigt, dass es weiterhin einen großen Bedarf an solchen Veranstaltungen gibt. Denn die „analoge“ Version, das heißt ein echter Museumsbesuch, bedeutet einen großen Aufwand, die Anfahrt mit einem Transporter zum Ausstellungsort und einen Gang durchs Museum. Gerade für Menschen im Rollstuhl ist das mühsam, aber auch für andere wenig mobile ältere Menschen. Die digitale Führung vor Ort ist hingegen leicht machbar.

Marette Frielingsdorf ist jedenfalls begeistert dabei. Die Bilder von der Küste Dänemarks erinnern sie an das Dorf in Schleswig- Holstein, wo sie aufwuchs, nachdem sie mit ihrer Familie 1945 aus Ostpreußen geflohen war. Christa Hassler wird gesprächig, als Schmauck ein 200 Jahre altes Gemälde zeigt, auf dem der Rhein bei Koblenz zu sehen ist, ein riesiges Holzfloß – und vor allem Frauen die Wäsche im Fluss waschen. „Meine Mutter hat auch immer die Laken auf der Wiese ausgebreitet, damit sie schön wurden erzählt sie.“ Irgendwann habe ihr Vater dann eine Waschmaschine gekauft, aus Holz, die die Kinder mit der Hand drehen mussten. „Erst danach durften wir spielen.“ Sie erinnert sich genau. Die Führung hat sie ihr Alter vergessen lassen: „Ich bin dreißig Jahre alt“, beteuert die 80-Jährige auf mehrfache Nachfrage.

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