Die Friseurinnen Karin Profft (von links) und Linda Urso sind die Hüterinnen des Nikuta-Rots im Salon Mike Engels.
Copyright: Stefan Worring Lizenz
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Mauenheim – Braun, beige, grün. Kein rot weit und breit. Auf keinem Haus, keinem Baum, keinem Menschen. Nicht dieses eine. Bis sie vor ihre Haustür tritt: Marie-Luise Nikuta mit ihrer unverkennbaren Haarfarbe. Hier wohnt sie, im Gudrunhof in Mauenheim. Hier sammelt sie Eulen und Karnevalsorden, hier zieht sie Sonnenblumen vor, die ihr später im Garten über den Kopf wachsen. Hier macht sie sich jährlich ihren Reim auf das Karnevals-Motto. Aber nicht nur.
Erst wohnte sie in der Hildebrandstraße, dann im Artushof. Dann fühlten sie und ihr Mann sich 1980 reif fürs Eigentum. „Unsere Tochter war eingeschult, hatte ihre Freunde hier und so wollten wir bleiben“, erinnert sich die Wahl-Mauenheimerin. „Da habe ich in der Zeitung unter Chiffre dieses Haus entdeckt. Wir haben uns direkt verliebt.“ Damit dem Paar kein anderer Bewerber zuvor kam, „haben wir der Frau gleich 10 000 Mark in bar angezahlt“.
Inzwischen sind viele Nachbarn aus der Zeit verstorben, erzählt Nikuta ein bisschen traurig. In der Siedlung findet ein Generationenwechsel statt. Tochter Andrea hätte sogar das Haus neben ihr haben können. „Aber Jung und Alt gehört nicht zusammen“, meint die 74-Jährige. „Das weiß ich von meiner Mutter.“
Ruhig ist es im Mauenheim der Motto-Königin – abgesehen vom Bus, der über die Hubbel der Nibelungenstraße donnert, die eigentlich für Verkehrsberuhigung vorgesehen sind. „Es ist schön, hier zu wohnen“, sagt die Sängerin und Komponistin. Doch so recht warm geworden ist sie mit den Mauenheimern, abgesehen von ihren unmittelbaren Nachbarn, bis heute nicht. „Ich bin ja ein Nippeser Mädchen. Und die Mauenheimer, das ist ein Völkchen für sich.“
Nippes sei ein bisschen großzügiger in allem. Nikuta gefällt außerdem die bunte Mischung an Menschen, die dort wohnt, und deren Toleranz. „Und dann die vielen tollen Ecken mit den alten Häusern“, schwärmt sie. Doch obwohl in der Turmstraße geboren, zieht es Marie-Luise Nikuta nicht mehr oft in die alte Heimat Nippes. „Diese Billiggeschäft überall auf der Neusser Straße. Das ist doch entsetzlich.“ Lieber erinnert sie sich da an vergangene Blütezeiten und deren Lieder wie „Loss mer jet noh Nippes jonn“ von Rolf-Dietmar Schuster. „Das finde ich sehr schön.“
Wenige Geschäfte in Mauenheim
Ihre Einkäufe erledigt „die Nikuta“ heute in der „neuen Heimat“. „Entweder im kleinen Rewe auf der Merheimer Straße – da gehe ich fast jeden Tag hin – oder dem großen, der hieß früher Globus. Die haben eine tolle Fleischtheke. Das ist aber schon Weidenpesch.“ Die Geschäfte, die tatsächlich auf Mauenheimer Gebiet liegen, sind rar, erst recht die Wirtschaften. „Der Siegfriedhof ist die einzige Gaststätte. Da fühle ich mich sehr wohl. Da gibt es einen klasse Biergarten und man kann auch leckere Kleinigkeiten essen. Da geh ich schon mal mit Bekannten hin, weil ich da meine Ruhe hab.“
Vorbei an der Grundschule Nibelungenstraße, wo die Tochter zur Schule ging, fällt der Blick auf die Mauer des Nordfriedhofs gegenüber. Ein Sechser-Urnengrab habe ihre Schwester dort damals gekauft, als ihr Mann starb. Dann verwitwete auch Marie-Luise Nikuta vor viereinhalb Jahren. Ihr Mann fand hier ebenfalls seine letzte Ruhe. „Und wir können da auch mal rein“, sagt sie salopp. Einmal die Woche komme sie her, mit ihrer 80-jährigen Schwester. Die lebe in der Seniorenresidenz Christian Runkel, im betreuten Wohnen.
Auf offener Straße angesprochen
Da hält auf Höhe der Kleingartensiedlung unvermittelt ein Auto und eine Frau ruft durch die heruntergelassene Beifahrerscheibe: „Huhu, Marie-Luiiiiise!!!“ Es ist die ehemalige Fahrerin vom „Fussich Julchen“ Marita Köllner. Ob ihr das häufiger passiere, so auf offener Straße angesprochen zu werden? „Ja, ja. Deshalb gehe ich auch nicht gern in die Stadt. Wenn, geh ich ganz früh. Sonst komm’ ich zu nix.“ Leute vor den Kopf stoßen, indem sie einfach weitergehe, könne sie nicht. „Ich bin sehr verbindlich. Ich kann nicht so grob sein.“
Mal frage einer „Mädche, trinkste mit mir ene Kaffee?“ Mal rufe ein anderer: „Hast en schön Leedche jemaat.“ Und immer gibt es zumindest einen kleinen Wortwechsel. Doch kein Spruch reiche an den Satz heran, den Thomas Gottschalk im Backstage-Bereich des Höhner-Jubiläums-Konzerts losgelassen habe. „Der kam auf mich zu und sagte: »Sie sind doch die Marianne Rosenberg von Köln!«“ Dann habe er sich über sie gebeugt und gesagt, sie rieche aber gut. „Da hab ich gesagt. Tja, Herr Gottschalk. Coco Chanel.“ Als sie das ihrer Tochter erzählt habe, hatte die nur eine Antwort: „Mama, eigentlich müsste dir die Firma jetzt haufenweise Parfüm schicken.“
Aber auch an anderen Anekdoten war das „Kind“ beteiligt, erzählt Marie-Luise Nikuta als sie am Café Rademacher an der Friedrich-Karl-Straße vorbeikommt. Hier entstand die Idee zu ihrem Lied „E Grosche för Iis, e Grosche för et Schöckelpäd“, sagt sie. „Es war 1971 und Andrea zweieinhalb. Und da, wo jetzt der türkische Supermarkt ist, war Stüssgen. Und die hatten so ein Pferd für Kinder vor der Tür.“ Da habe sie immer ein „Gröschelchen“ parat haben müssen, weil das Kind entweder ein Eis haben oder auf dem Pferd reiten wollte. So entstehen Hits. Dabei lag das Lied jahrelang in der Schublade. „Ich dachte, das sei für den Karneval zu innig.“ Bis eine Freundin sie ermutigte, es herauszubringen. „Und es kam unheimlich gut an.“ Inzwischen war jedoch nichts mehr für einen Groschen zu kriegen. Die Kugel Eis kostete 30 Pfennig. So wurde aus einem Groschen „ein paar“ in der Liedzeile. „Heute müsste ich »einen Euro« singen...“
Mehr Orden als Eulen
Das Schaukelpferd steht schon lange nicht mehr am besungenen Platz. Die einzigen Tiere in Nikutas Leben sind nunmehr die Eulen, die sie sammelt, „weil die sehr schlau sind“. Ob sie mehr Eulen oder Orden hat? „Orden natürlich“, entgegnet sie etwas entrüstet. Zum Grünen Hof zieht es sie hin, nicht nur, weil auch hier Eulen stehen. Als Skulpturen in dem denkmalgeschützten Karree. „Im Sommer ist es hier herrlich, immer sehr gepflegt.“ Denn sie sei schon pingelig. „Aber nicht pedantisch.“ Eine wirklich grüne Oase tut sich auf. „Und die Leute, die hier wohnen, wollen nicht mehr weg, auch wenn die Wohnungen nicht die modernsten sind.“
Die Kreuzung zur Neusser Straße markiert die Grenze zu Weidenpesch. Doch was die Weltordnung wirklich zusammenhält: Hier, am Anfang der Rennbahnstraße, ist der Friseursalon mit den Hüterinnen des Grals, des Original-Nikuta-Rots, das sie der Bardin des Brauchtums dann und wann auffrischen. Gibt es die Farbe im Katalog? Und wann wird sie vom Hersteller endlich in Nikuta umbenannt? Fragen über Fragen. Linda Urso holt eine Farbpalette hervor und da ist sie tatsächlich. In der sechsten Reihe, im dritten Feld von rechts, hängt die gesuchte Strähne. Gibt es Leute, die speziell danach fragen? „Gab es schon“, plaudert Urso aus dem Farbkästchen. „Die wollen die Strähnchen wie Frau Nikuta.“ Und wie heißt nun der Ton, den ganz Köln kennt?
„Das dürfen wir nicht sagen“, zieren sich die Friseurinnen Karin Profft und Linda Urso. Die Motto-Königin offenbart es selbst: „Indian Fire“ hieß er früher. Inzwischen hat sie die Marke gewechselt. Das Rot trägt nur noch eine schnöde Nummer. Doch die kennt Profft auswendig: 7744 von Wella.
Jetzt ist es raus. Und das ist der Sängerin ein echtes Bedürfnis. In einem Warenhaus habe ihr eine Frau mal ohne Vorwarnung in die Mähne gegriffen, daran gezogen und gesagt, sie „wollte nur mal sehen“, ob sie eine Perücke trage. „Es gibt ja unmögliche Leute“, erzürnt sich Marie-Luise Nikuta heute noch. Das war natürlich in der Innenstadt. In Mauenheim wär das nie passiert.