„Das ist wie Köln ohne Dom“Kölner Kult-Geschäft schließt nach 40 Jahren

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Ein Mann mit Hut und buntem Hemd steht vor einem Regal mit Weinflaschen.

Jörg Thunemann vor seiner Schatzkammer, in der unzählige Weine lagern.

Jörg Thunemanns Laden gilt als gefragte Adresse für Weine und Spirituosen in Mülheim. Zum Jahresende will der 69-Jährige Schluss machen.

Manche seiner Gäste sagen: „Mülheim ohne Jörg, das ist wie Köln ohne Dom.“ „Jörg's Weinshop“ und vor allem sein Inhaber sind ein Urgestein im Veedel. Seit 40 Jahren verkauft Jörg Thunemann mit seiner Frau Margot hier Weine, Whiskeys und Liköre. Nun schwört er dem Alkohol ab, zumindest beruflich. Der 69-Jährige will spätestens zum Jahresende in Rente gehen.

Die Arbeit, sagt er, falle ihm von Woche zu Woche schwerer. „Ich möchte das nicht machen, bis ich umkippe. Manchmal arbeite ich an sieben Tagen die Woche und 14 Stunden am Tag, wir machen ja auch Wein-Seminare und Whiskey-Tastings.“

Jörg Thunemann schließt seinen Weinshop nach 40 Jahren

Ob sein Weinshop im kommenden Jahr noch weiter besteht, ist unklar, denn Thunemann hat hohe Ansprüche an einen möglichen Nachfolger. „Es soll niemand sein, der von Wein keine Ahnung hat“, sagt er.

Vor 40 Jahren begann Thunemann an gleicher Stelle als Obst- und Gemüsehändler. „Es war das erste Kaufhaus, das nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Alles kostete 50 Pfennig“, so Thunemann. Er machte sich einen Namen, in dem er Kölner Gastronominnen und Gastronomen ausgefallene Früchte aus aller Welt anbot.

Gefäße mit bunten Flüssigkeiten darin stehen in einem Regal.

In diesen Gefäßen lagert der Whiskey.

Und später, 25 Jahre ist das nun her, die besten Weine, die er kriegen konnte. Er beriet Kandidaten und Produzenten von TV-Shows wie „Das perfekte Dinner“, damit die den passenden Wein kredenzten. So wurde aus dem einstigen Lebensmittelladen „Jörg's Weinshop“. Der Apostroph an falscher Stelle ist ihm wohl nie aufgefallen.

Köln-Mülheim: In „Jörg's Weinshop“ gibt es auch selbst kreierte Spirituosen

Viele der Spirituosen kreierte Thunemann selbst. Etwa den Papstwein anlässlich des Weltjugendtags 2005. Zwei Jahre vorher begann er mit der Entwicklung. Oder den „Mülheimer Brückenschluck“. Um den Sinn dahinter zu verstehen, muss man mit Thunemann in die Geschichte des Stadtteils eintauchen: „Um 1912 war die Mülheimer Brücke noch eine Ponton-Brücke, die für die Schifffahrt von Arbeitern geöffnet und geschlossen wurde. Während die Schiffe durchfuhren, hatten die Zeit, sich einen Schluck zu genehmigen.“

Gemälde, die noch älter sind als diese Geschichte, hängen im „Weinshop“. Ob es wirklich dieselbe Mische ist, die Thunemann in seinem Laden verkauft, weiß wohl nur er selbst. Beliebt ist außerdem der „Chili-Willy“: Ein Orangenlikör mit Chili. In einem Whiskeyfass lässt er Grappa aus der Toskana reifen. „Zehn Jahre dauert es, bis er gut ist“, weiß Thunemann.

„Probieren tu ich alles in meinem Laden, aber trinken tu ich nur Wein“

Im Angebot hat er ansonsten noch „Nix“. Darin: Absinth, Pastis und Gin, 47 Prozent hat das Teufelszeug. „Es heißt Nix, damit man sagen kann: ‚Ich hab Nix getrunken‘“, ulkt Thunemann. „Probieren tu ich alles in meinem Laden, aber trinken tu ich nur Wein – und tagsüber gar nicht“, beteuert er.

Nebenher bot er jahrelang Stadtführungen durch Köln an, mit optionaler Einkehr in den Laden. Den Gewinn spendete er für soziale Zwecke. Hier galt folgendes Motto: „Ich möch zo Fooss durch Kölle jonn, späder in Jörg sinem Winglade stonn. He jit et jet zu müffele un och noch jet zu süffele.“

Ein Mann mit Hut und buntem Hemd steht vor einem Geschäft mit gelbem Eingang.

Jörg Thunemann vor seinem Weinshop an der Frankfurter Straße

„Die Menschen, die in meinen Laden gekommen sind, waren keine Kunden, sondern Gäste“, bekräftigt er. „Das Marketing läuft über diejenigen, die zu Besuch waren und anderen davon erzählen.“ Aus aller Welt seien seine Gäste gekommen.

Auch die Polizei zählt zur Kundschaft von „Jörg's Weinshop“ in Köln-Mülheim

Und auch die Polizei zählte zu seiner Stammkundschaft. „Jedes Mal, bevor die GSG9 auf einen Auslandseinsatz geschickt wurde, kam die Truppe hier zum Ausstand zusammen. Dasselbe, wenn sie zurückkam.“

Andere Frage: Wie denkt jemand, der sein Leben lang alkoholische Getränke verkauft hat, über den Rausch? Wein, antwortet Thunemann, sei ein Genussmittel. „Für Genuss braucht es Zeit, im Glas entsteht eine Symbiose.“ Der Wein müsse die richtige Temperatur haben, um seine darin enthaltenen Aromen richtig entfalten zu können.

Da halte er es wie Goethe, der einst verlautbarte: „Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend.“ Weinkenner Thunemann setzt noch einen drauf: „Der Geschmack entfaltet sich im Kopf – er ist nichts anderes als Erinnerung.“

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