Nach der Arbeit kommt das Abi

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Stefan Koch, der Schulleiter des Abendgymnasiums in der Kölner Innenstadt.

Stefan Koch, der Schulleiter des Abendgymnasiums in der Kölner Innenstadt.

Innenstadt –  Wenn Melanie Korz um 17 Uhr ihren Arbeitstag beendet, ist die Visagistin noch lange nicht im Feierabend angekommen. Eine halbe Stunde bleibt der 28-Jährigen dann, um zum Abendgymnasium in der Innenstadt zu fahren, wo sie noch für mehrere Stunden die Schulbank drückt. Denn nach zehn Jahren im Beruf bekam Korz noch einmal Lust aufs Lernen. „Ich habe mich immer wieder gefragt, warum ich nach meinem Realschulabschluss nicht das Abitur in Angriff genommen habe“, so Korz. Also nahm die junge Frau ihren Mut zusammen und besuchte einen der Infoabende des Abendgymnasiums in der Gereonsmühlengasse. „Jetzt bin ich seit eineinhalb Jahren dabei und komme fast jeden Abend nach der Arbeit zum Unterricht“, so die Studierende. „Die Belastung ist groß, aber es macht Spaß und ich bin ehrgeizig, das Abitur zu nachzuholen.“

Bereits seit 70 Jahren bietet das Abendgymnasium berufstätigen und älteren Menschen kostenlos die Möglichkeit, das Abitur nachzuholen. Gegründet wurde die Abendschule am 1. Oktober 1949 – ursprünglich noch in Nippes, wo es bis 1989 im Gymnasium des Stadtteils mit untergebracht war. Erst dann zog es an seinen heutigen Standort in der Innenstadt. Dort teilt sich das Abendgymnasium aktuell mit seinen rund 600 Schülern aufgrund von Sanierungsarbeiten (siehe Kasten) mit dem Hansa-Gymnasium Schulhof und Klassenräume.

Unterschiede zwischen dem Abitur an gewöhnlichen Gymnasien und am Abendgymnasium gibt es nicht – nur der Tagesablauf, die Atmosphäre und das Alter der Studierenden sind anders. So finden die Unterrichtsstunden erst am Abend statt und starten um 17.30 Uhr. „Nur so haben Berufstätige die Möglichkeit, am Unterricht teilzunehmen“, erklärt Schulleiter Stefan Koch. „Und die machen die größte Anzahl unserer Schüler aus. Viele kommen direkt vom Job zu unserer Schule und besuchen dann den Unterricht bis 21.30 Uhr.“ Mittlerweile federn auch Online-Kurse die langen Abendstunden ab und ermöglichen das Lernen von zu Hause aus.

Sozialpädagogin Michel

Sozialpädagogin Michel

Ein weiterer Unterschied: Die Studierenden entscheiden sich freiwillig dafür, noch einmal die Schulbank zu drücken. Das bleibt nicht ohne Folgen: „Dadurch sind ihre Motivation und Einstellung im Unterricht ganz anders“, erklärt Koch. „Alle sind maximal konzentriert und wollen den Lernstoff schnell durcharbeiten, um schnell nach Hause zu kommen.“ Außerdem arbeiten die Besucher des Abendgymnasiums insgesamt mit einer größeren Eigenverantwortung – der pädagogische Aspekt trete daher in den Hintergrund. Das sorgt aber zugleich für Probleme. Gerade die Doppelbelastung durch Arbeit und Schule sei für viele eine Herausforderung. In solchen Fällen ist Sozialpädagogin Diane Michel seit elf Jahren die richtige Ansprechpartnerin an der Schule. „Ich stehe beratend zur Seite, wenn die Studierenden in den Prüfungsphasen der Stress übermannt, sie Konzentrationsschwächen beim Lernen haben oder ihnen die richtige Struktur zum Lernen fehlt“, so Michel. Gründe dafür könnten zum Beispiel familiäre und gesundheitliche Probleme oder psychische Traumata sein. „In intensiven Gesprächen schauen wir gemeinsam, wo der Schuh drückt und üben Entspannungsübungen ein“, ergänzt sie.

Manchen Schülern genüge dafür ein kurzes Gespräch. Andere begleite sie während ihrer gesamten Studienzeit, so die Sozialpädagogin. Auch die Vielseitigkeit an Persönlichkeiten, die das Abendgymnasium vereine, sei groß. „In Spitzenzeiten hatten wir hier 50 Nationalitäten unter einem Dach – auch aus Kriegsgebieten und Krisenregionen. Beeindruckend ist, mit welcher Energie diese Menschen ihre Bildung aktiv vorantreiben wollen – und wie viel Kraft sie dafür haben, trotz ihrer Erlebnisse“, erklärt Michel. „Meine Tür steht immer offen. Nur eine Anmeldung ist sinnvoll, damit für das Problem auch genug Zeit gegeben ist.“

Melanie Korz musste dieses Angebot noch nicht in Anspruch nehmen – bei ihr lief bisher alles reibungslos. Beim nächsten Jubiläum der Schule in fünf Jahren möchte sie bereits weitergezogen sein. „Da sollte ich mein Abi schon lange in der Tasche haben. Vielleicht hänge ich dann noch ein Studium dran – Germanistik oder Philosophie würden mich reizen.“ Mehr Informationen zum Angebot des Abendgymnasiums:http://abendgymnasium-koeln.de/joomla3

BILDUNGSLANDSCHAFT

Das Abendgymnasium ist Teil der Bildungslandschaft Altstadt-Nord, die rund um den Klingelpützpark entsteht. Ins-gesamt gehören sieben Bildungs-Einrichtungen mit insgesamt etwa 2000 Kindern dazu, darunter das Hansa-Gymnasium, die Freinet-Grundschule und die Realschule am Rhein. Im Rahmen der Bauarbeiten wird unter anderem das Hansa-Gymnasium saniert und eine Zentralmensa errichtet. Die Stadt Köln investiert etwa 116 Millionen Euro in das Projekt. (ksta)

Melanie Korz

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