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NachrufJunger Kölner wurde Opfer eines betrunkenen Rasers in Südtirol

Lesezeit 11 Minuten
julius uhlig

Julius Uhlig aus Köln wurde am 5. Januar 2020 das Opfer eines Rasers in Südtirol. 

  • Der 22-jährige Julius Uhlig aus Köln wurde am 5. Januar 2020 das Opfer eines Rasers in Südtirol. Der stark betrunkene Mann tötete sieben deutsche Urlauber, die in Luttach nachts einen Zebrastreifen überquerten.
  • Zu seiner Beerdigung kamen Hunderte. Seit inzwischen zwei Jahren muss seine Familie mit dem Schmerz leben.
  • Aus Anlass des zweiten Todestages publizieren wir den Nachruf, der erstmals am 17. Januar 2021 anlässlich des ersten Todestages erschienen ist, erneut.

Ein offenbar stark betrunkener Autofahrer ist in eine Gruppe deutscher Skitouristen in Südtirol gerast und hat sechs junge Menschen im Alter um die 20 Jahre getötet. Ein Polizeisprecher in Bozen sagte, ein erster Test habe mehr als 1,9 Promille ergeben. (KSTA vom 6. Januar 2020)

„Der Fußweg vom Hotel zum Krankenhaus in Bruneck waren die schwersten 500 Meter meines Lebens“, sagt Jochen, der Vater von Julius Uhlig, „aber es war so wichtig, diesen kalten, geschundenen Körper anzufassen.“ Seit etwa 24 Stunden wussten die Eltern, dass ihr ältester Sohn von einem sturzbetrunkenen Autofahrer totgefahren worden ist. Und mit ihm sechs andere junge Menschen, elf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Ein Alptraum, der sich in diesem Moment manifestiert hat. Der keine Story mehr ist, keine Nachricht im Radio, sondern greifbare Wirklichkeit. Der eine Wunde schlägt, für immer.

Die Welt des Todes war eingebrochen in die Alpenidylle

Die Eltern Jochen und Bettina, die mit den Kindern Dominik und Meta sowie Bettinas Schwester nach Südtirol gereist waren, wurden von Seelsorgern betreut, von der Presse abgeschirmt. Mit Polizeischutz fuhren sie zur Unfallstelle. „Man hat sich sehr gut um uns gekümmert“, erinnert sich Jochen. Das Ahrntal nahm Anteil, wildfremde Leute sprachen ihr Beileid aus. Mehr als  70 Retter waren im Einsatz, der Unfall ein großes Thema. Die Welt des Todes war eingebrochen – in die Alpenidylle und in das Leben der Familie.

Die fuhr nochmal in die Berge, machte einen Spaziergang im Schnee. „Ein kleiner Aufschub“, sagt Bettina. „Zu sehen, was Julius zuletzt gesehen hat, war tröstlich für uns, denn wir wussten, wenn wir zurück nach Köln kommen, ist die Welt nicht mehr in Ordnung.“

Was in Deutschland los war, habe man erst viel später mitbekommen. Als sie von einer spontanen Gedenkfeier in der Weißer St. Georgs-Kirche hörten, „dämmerte uns, welch wichtige Rolle Julius gespielt hat in bestimmten Kreisen,“ erzählt der Vater.  „Dass er eine herausragende Figur war. Vernünftig, freundlich, klug, eine Art Vorbild, zu dem man aufgeschaut hat.“ Auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn Julius war  2,06 Meter groß. Zur Beerdigung kommen Hunderte.

Der Kölner Architekturstudent hatte mehrere Freundeskreise

Im Sommer nach dem Unglück, kurz vor Julius’ 23. Geburtstag, organisieren die Uhligs einen Tag der offenen Tür für Freunde und Familie. Aber wen einladen? „Wir kannten ja gar nicht alle“, sagen die Eltern. Julius hatte mehrere Freundeskreise: es gab den an der TH Deutz, wo er Architektur studierte; den der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) in Weiß; einen um Julius’ Ex-Freundin Laura, mit der er, seit er 16 war, vier Jahre zusammen war; und einen beim Studentenlokal „Hellers“, wo er als Köbes jobbte. Die engsten Freunde kümmern sich um die Einladungen und  sammeln in einem Album Bilder und Geschichten rund um Julius. „Das Album ist ein Schatz für uns“, sagt die Mutter. Am Geburtstag selbst fahren Bettina und Jochen nochmal zur Unfallstelle.

Immer wieder treffen sie sich mit den Eltern anderer Opfer und merken, dass der Umgang mit dem Verlust ganz unterschiedlich ist. Ein Vater arbeitet sich voller Verve in die Prozessgutachten ein, eine Mutter startet eine Kampagne gegen Alkohol am Steuer (gopinkforlife.de).  Eine andere Mutter erzählt, die verstorbene Tochter stehe ab und an neben ihr und man unterhalte sich. „Wäre schön, klappt aber leider nicht“, sagt Jochen. Ihm sei auch die Bestrafung des Rasers „ziemlich egal.“ Zwölf oder achtzehn Jahre? Anderen ist gerade das wichtig.

Das italienische Recht gestattet dem Unfallverursacher, nicht am Prozess teilnehmen zu müssen. Jetzt streiten sich Gutachter, ob der Audi TT in der geschlossenen Ortschaft knapp über oder knapp unter 100 Stundenkilometer schnell war, als er in die Gruppe raste.  Das hat Auswirkungen aufs Strafmaß.  Mehr als das beschäftigt den Vater die  Abwesenheit von Julius. „Ein Teil meines Wesens ist amputiert, als fehle ein Organ oder ein Körperteil. Das Herz will es einfach nicht wahrhaben.“ Und Bettina ergänzt: „Es gibt immer noch Momente, an denen man glaubt, er kommt gleich zur Tür rein.“

Julius wollte nie im Mittelpunkt stehen

Als Julius im September 2004 in der Albert-Schweitzer-Grundschule in Weiß eingeschult wird, ist Nico sein Sitznachbar. „Seitdem sind wir Freunde“, sagt der junge Mann, der im fünften Semester Förderschullehramt in Frankfurt studiert. „Diese Klasse war sehr besonders – mehr als die Hälfte der Kids sehe ich heute noch wöchentlich.“ Auch nach dem Unterricht habe man viel gemeinsam unternommen. Kunstprojekte, Fußball gespielt oder Badminton. „Julius war immer der Erste, wenn es darum ging, etwas mit anderen zusammen zu machen, er brauchte die sozialen Kontakte.“ Er sei nicht vorangegangen wie ein Klassensprecher, wollte nicht der Leader sein und im Mittelpunkt stehen. „Aber  er hatte für alles eine Idee und einen Weg. Und den sind wir dann mit ihm gegangen.“

Mit neun Jahren zieht es sie gemeinsam zur KjG, der katholischen Jugendgruppe, die fortan einen wichtigen Teil ihrer Freizeit prägt. Alle Jahrgangsgruppen haben hier einen Namen. Julius, Nico, Andy, Martin, Aron, Julius F., Michael, Jan und Sebastian nennen sich „Panzerknacker“.  Sie treffen sich immer freitags, helfen beim Pfarrfest, fahren zu Pfingst- und Sommerlagern, werden später zu Leitern und organisieren alles mit. Julius wird mittlerweile nur noch „der Lange“ genannt. Er hat Job-bedingt keine eigene Gruppe, ist aber trotzdem überall dabei. Er hilft, wo er kann und bringt immer frische Ideen ein. Die kulinarischen Ergebnisse seiner Küchendienste in den Lagern sind bis heute Legende. „Ein Meister der Untertreibung, wenn es um seine eigenen Fähigkeiten ging“, sagt Julius F. „Ein krasser Gruppenmensch“, sagt Andy.

Als Julius stirbt, treffen sich unzählige Kinder und Jugendliche in der Kirche, stellen Kerzen auf, wollen nicht allein sein mit ihrem Schmerz. Bei einem ersten Gedenken am Montag nach dem Unfall, spontan von Aron und den Panzerknackern organisiert, ist die Kirche überfüllt mit Menschen aller Generationen. Ein ganzes Dorf trauert. Die Jugendlichen kommen eine Woche lang jeden Tag, trösten sich gegenseitig. Der Diakon schließt ihnen die Kirche auf, redet mit ihnen, löscht abends das Meer von Kerzen und zündet es  morgens wieder an. 

Sechs Wochen später ist Karneval. Erst zum zweiten Mal will die KjG  im Weißer Zoch mitgehen. Julius war Teil des Orga-Teams. „Er hat bestimmt 80 Prozent der Arbeit gemacht“, erinnert sich Martin. Im Keller der Uhligs, wo Julius  auch seine Architekturmodelle bastelte, lagern die Kamelle. „Er liebte den Karneval und hätte auf keinen Fall gewollt, dass wir wegen seines Unfalls nicht mitgehen.“

Die Gruppe plant neu. Alle verkleiden sich als Zwerge. „Das war sein liebstes Kostüm. So ging Julius  jedes Jahr mindestens einmal.  „Der Lange als Zwerg, das fand er lustig.“ Auf einem Banner am Bagagewagen steht in großen Lettern: „Et Hätz schleiht bei dir, Julius.“ Der Lange ist immer dabei, und sei es als Profilbild in unzähligen Facebook- und Instagram-Accounts. Im ersten Sommerlager der Weißer KjG ohne Julius in Österreich passiert ein schwerer Unfall, der glimpflich ausgeht. Eine Leiterin sagt unter Tränen: „Das war Julius, der hat als Schutzengel gut aufgepasst.“ 

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Julius (Rodenkirchen) und Nico (Irmgardis) gehen zwar nicht ins selbe Gymnasium, fahren aber ab der 8. Klasse im Sommer zu zweit weg: auf eine Sprachreise nach Malta, später nach Usedom, nach Holland. „In 15 Jahren haben wir uns nicht einmal gestritten.“ Zu Hause hängen sie täglich gemeinsam ab, „immer von 16 bis 20 Uhr, nach der Schule“, sagt Nico. Andy ist dann auch meist  dabei. Neben Sport und KjG gucken sie Filme, „gefühlt immer dieselben, Mr. and  Mrs. Smith, Fast and Furious , Taxi-Filme.“ Autos spielen eine große Rolle, zur IAA oder anderen Automessen fährt man jetzt jedes Jahr. „Es gab nichts, wofür man Julius nicht begeistern konnte“, sagt Nico. „Er war wirklich kein Fußballfan, aber wenn wir anderen kicken wollten, hat er halt mitgemacht.“ Auch zum Zocken trifft man sich: nächtliche WLAN-Partys im Uhlig’schen Dachgeschoss sind unvergessen.

Letzter gemeinsamer Urlaub

Im Sommer 2018 fährt eine bunt zusammengewürfelten Gruppe von zehn Leuten zwei Wochen im Haus von Julius Opa in der Toskana. Auch sein Bruder war mit Freunden mit. Obwohl das so gar nicht geplant war, habe man alles gemeinsam gemacht. „Julius hat am Strand eine stabile Hütte gebaut – aus Treibholz, Tüchern und Laken“, erzählt Nico. „Um uns vor der Sonne zu schützen. Eine total schöne Erinnerung.“ Julius war auch der Chefkoch. „Er hat total kreativ mit Gewürzen experimentiert und die beste Bolognese meines Lebens gemacht.“ Es war ihr letzter gemeinsamer Urlaub. Die Zeichnung einer Teekanne und einer Kerze, die Julius in der Toskana gemacht hat, haben dessen Eltern Nico später geschenkt. „Ich denke täglich an ihn“, sagt Nico. „Er ist nach wie vor sehr präsent, und das wird immer so sein.“

Dreier-WG in Ehrenfeld               

Nach einem freiwilligen sozialen Jahr in der Denkmalpflege studierte Julius  Architektur an der FH in Deutz. „Er ist darin aufgegangen“, sagt Vater Jochen. Wenn man den Kumpels, mit denen man normalerweise Bier trinkt und Karneval feiert, bei einem Amsterdam-Ausflug einen Vortrag über Baustile halte, sei das zumindest „ungewöhnlich“. Zusammen mit Julius F. und Jona wohnt der Lange jetzt in einer Dreier-WG in Ehrenfeld.

Das Leben in der ersten eigenen Wohnung wird ausgekostet: Leute einladen, Partys feiern, Darts gucken und spielen, kochen, FIFA zocken, Quatsch machen. „Perfekter hätte es nicht sein können“, sagte Julius F., der Sportjournalismus und -marketing studiert. „Für die erste Wohnung überragend. Sein All-time-favourite beim Essen waren Salzstangen“, erzählt er. „Drei Pakete waren das erste, was er bei jedem Supermarktbesuch in den Wagen getan hat.“ In der Red Fox Bar um die Ecke haben die drei in einer Skeeball-Liga mitgemischt. Julius liebte kölsche Musik, hörte Seeed oder Tretmann, ging aber auch mal auf Konzerte ins Bootshaus mit. „Eigentlich war egal, was kam“, sagt Julius F., „er hat es immer gebührend gefeiert, wenn einer aufgelegt hat.“ Im Club wie im Sommerlager.

Lena und Marie kennen Julius seit der Krabbelgruppe, die drei waren auch im selben Kindergarten im Agnesviertel. Die Kinder und Eltern verstehen sich bestens, unternehmen viel zusammen – Geburtstage, Schlittschuhlaufen, Karneval in Weiß, wohin die Uhligs kurz vor Julius Einschulung gezogen sind.

Gerne denkt Marie an eine gemeinsame Norwegenreise mit Julius. „Er war so  abenteuerlustig.“ Obwohl tiefer Schnee liegt, streunt er ums Haus, erkundet einen Bunker und findet ein Boot, lässt die Gruppe an seinen Entdeckungen teilhaben. Er überredet die anderen, sich vom Balkon in den Tiefschnee fallen zu lassen. Marie sagt: „Julius war eine Konstante in meinem Leben, die immer da war.“

„Julius war ein sehr feinfühliger Mensch“

„Julius war ein sehr aufmerksamer, feinfühliger Mensch“, ergänzt Lena. „Er hatte was sehr Beruhigendes.“ Als Lena  im Lernstress  ist, holt er sie ab, sie setzen sich auf einen Sundowner an den Rhein. Ganz offen erzählt er, wo er sich gerade im Leben befindet. „Er war so unkompliziert“, sagt sie. Und denkt seit jenem Abend  bei jedem Sonnenuntergang an Julius.

Das Trio sieht sich nicht regelmäßig. Aber  wenn, macht es großen Spaß. Einmal kochen Marie und Lena für die WG, schon das Einkaufen mit den Jungs sei ein Ereignis gewesen. „Wir haben was Asiatisches im Wok gemacht, die waren hellauf begeistert“, erinnert sich Lena. „Das war eine Gaudi!“

Bei aller Spontaneität sei er dennoch sehr gewissenhaft und immer verlässlich gewesen. Du musst kurzfristig umziehen? Julius ist dabei. Geburtstage? Hat er nie vergessen. „Der ist schon als kleiner Junge stur bei den Mädchengeburtstagen gewesen“, erinnert sich Marie. „Man konnte ihm sein Seelenleid klagen, er hat dann aber auch ganz offen über sich selbst geredet.“ Ein Mann zum Verlieben? „Eher ein Bruder, den man immer gerne um sich hatte“, sagt Lena.  Und Marie ergänzt: „Er war facettenreich, mit super viel Tiefgang, und trotzdem für jeden Quatsch zu haben. Erinnerst du dich an die grelle Brille in Norwegen?“ Die beiden lachen. Schräge Sonnenbrillen, meist Werbegeschenke, waren Julius Markenzeichen.

Das Drama in Luttach

Als es am Neujahrstag 2020 zum Skifahren ins Südtiroler Ahrntal geht, sind die Freunde Julius F. und Daniel dabei.   Die drei Kölner Jungs kennen sonst niemanden in der Reisegruppe. Sie fahren am Morgen möglichst mit dem ersten Lift auf die Piste und tagsüber hauptsächlich zusammen. In Luttach, wo sie untergebracht sind, ist kein Skigebiet. Mit dem Skibus geht es einen Ort weiter. Hier ist auch die Après-Ski-Hütte „Hexenkessel“, die einen Shuttle-Service für größere Gruppen bietet. „Auf dem Rückweg war die Stimmung super“, erinnert sich Julius F.

„Wir sind ausgestiegen und mussten über einen Zebrastreifen zur Unterkunft. Da ist der in uns reingerast. Etwas schoss einen knappen Meter an mir vorbei, es gab einen Riesenschlag, man hat das gar nicht kapiert. Ich sah nur, wie weiter hinten ein Auto in einen Schneehügel geknallt ist. Dann hab ich mich nur noch um den Langen gekümmert. Es ist viel um mich rum passiert, was ich überhaupt nicht mehr wahrgenommen habe.“ Total unter Schock, Adrenalin, alles ausgeblendet. Schnell war klar, dass „der Lange da nicht durchkommt.“

„Etwas schoss einen knappen Meter an mir vorbei“

Am 6. Januar sind Daniel und Julius F. zurück in Köln. Bei der spontanen Trauerfeier in der Kirche St. Georg bleibt Julius F. draußen. „Ich habe mir das nicht zugetraut mit all den Menschen und bin dann später nur mit den Panzerknackern reingegangen.“ Aber die große Anteilnahme hat ihn sehr berührt. „Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass die Beerdigung noch so hat stattfinden können. Zwei Monate später wäre das so nicht mehr gegangen. Unter den Umständen war das sehr schön, weil auch die Eltern sehen konnten, was der Julius für ein Kerl war. Wie viele Leute ihn gemocht haben.“

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