Expertin für kölsche MundartPaula Hiertz wird 90 Jahre alt

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bei einer Lesung im Neubrücker Jaade.

bei einer Lesung im Neubrücker Jaade.

Neubrück – Ausgerechnet das Kostüm einer Astronautin hatte Paula Hiertz für einen ihrer ersten Auftritte als Expertin in Sachen kölsche Mund- und Lebensart gewählt. Auf einem „Vorstellabend“ sollte sie vor dem Festkomitee eine Büttenrede halten, und die Wahl der Aufmachung darf man im Rückblick durchaus als Ansage werten: Ihre Liebe zu den Traditionen ihrer Geburtsstadt und zum kölschen Jemöt verbindet die rüstige Dame, die morgen ihren 90. Geburtstag feiert, mit einer zuweilen sehr modern anmutenden Schaffenskraft und Selbstgewissheit, um die sie manche Feministin beneiden dürfte.

Führungen „bes nohm Bayeturm“

Paula Hiertz bietet im Frühjahr und Sommer monatlich ein bis zwei Führungen auf Kölsch an. Am Samstag, 10. April, etwa steht „Mer jon der Wall erav vun der Ülepooz bes nohm Bayeturm“ ab 14 Uhr auf dem Programm. Ebenso regelmäßig finden „Kölsche Literaturlesungen en Paulas Jade im Neubrück“ statt. Die nächste ist am Donnerstag, 29. April, um 16 Uhr. Die Personenzahl ist auch wegen Corona begrenzt, eine Anmeldung daher notwendig. Für die Teilnahme wird jeweils ein geringer Beitrag erhoben.

Bei Radio Köln ist Paula Hiertz einmal im Monat am Montagabend zu hören, die nächste Sendung ist am 12. April, 20.04 Uhr, UKW 107,1. Weitere Informationen zu ihren Terminen schickt sie Interessenten gerne zu.

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paula-hiertz@netcologne.de

Auch wenn die „Astronautin“ das Festkomitee seinerzeit nicht von ihrer Eignung überzeugen konnte, ließ sich Paula Hiertz nicht von ihrem Kurs abbringen: „Als Frau kannst du nur Erfolg in der Bütt haben, wenn du unter die Gürtellinie gehst, hatte man mir gesagt“, erzählt sie heute vergnügt, „ich wollte beweisen, dass es auch anders möglich ist.“ Das ist ihr gelungen. Seit 1961, dem Jahr, als das Festkomitee seine Daumen senkte, hat sie 16 Bücher im Eigenverlag veröffentlicht, mehr als 30 Theaterstücke verfasst, dazu knapp 470 Zeitungskolumnen. Sie hat CDs aufgenommen, Radiosendungen moderiert sowie ein Akkordeon-Orchester und eine Theatertruppe ins Leben gerufen und geleitet. Unter anderem.

Sigen und Spielen

Ihren Kontakt mir der Bühne hat sie im Grunde der Ablehnung durch die obersten Jecken der Stadt zu verdanken. Weil auf dem Vorstellabend jemand ihr Talent entdeckte und sie dem Altermarkt-Spielkreis vermittelte, wo sie 16 Jahre lang ihr Talent zum Singen und Spielen ausleben könnte. Und zur kölschen Sproch natürlich. Erste Proben davon hatte sie bereits einige Jahre vorher abgegeben, und zwar in der Zeitschrift „Frau Flöck“, die der Verlag Du Mont Schauberg eigens für seine Zeitungsboten herausgab. Kleine Geschichten und Tipps, etwa wie man säumige Abonnenten zur Zahlung der monatlichen Rechnung bringt, waren darin nachzulesen, zum Teil auf Kölsch verfasst.

Einen Beitrag zur Rettung des Dialekts sah sie darin keineswegs, das schien damals noch nicht notwendig: „Wir kannten nichts anderes als Kölsch“, erklärt sie heute. So hat sie zwar ihre 2015 erschienene Autobiografie auf Hochdeutsch verfasst, lässt ihre Mutter Maria Kohlborn in den wörtlichen Zitaten aber ausschließlich auf Kölsch zu Wort kommen: „Alles andere wäre ein Stilbruch gewesen.“ Ausführlich erzählt Paula Hiertz, wie diese energetische, durchsetzungsstarke Frau, die auch SA-Leuten problemlos die Stirn bot, sie und ihre drei Schwestern heil durch Nazi-Zeit und Weltkrieg brachte.

Bombennächte und Kinderlandverschickungen

Der Vater war Mitglied der KPD, hatte sich ins Saarland abgesetzt und starb früh bei einem Autounfall. Die Schilderung von Bombennächten und Kinderlandverschickungen nehmen viel Raum in ihren Erinnerungen ein. Immerhin lernte das begabte und neugierige Kind dabei so viel, dass es auch ohne den im Zuge der Kriegsereignisse verpassten Schulabschluss später gut zurechtkam. 1951 dann die Heirat mit Hubert Hiertz, der als Schaffner und Busfahrer bei den KVB arbeitete, zwei Söhne wurden geboren, die Mutter verdiente als Zeitungsbotin, später als Buchhalterin im Vertrieb von DuMont Schauberg dazu.

Dann 1969 die Erfüllung eines Traums und gleichzeitig ein Bruch: Die vierköpfige Familie bezieht ein eigenes Haus – aber das liegt in Neubrück, ganz weit weg vom gewohnten Milljöh um Fleischmengergasse, Greechemaat und Südstadt. Nicht nur geografisch: In den neuen Stadtteil zogen zahlreiche Aussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, für eine „kölsche Schnüss“ wie Paula Hiertz war Neubrück Diaspora. Auch Hubert Hiertz hatte damit seine Probleme: „Paula, bau he en Neubrück jet op. He jitt et ja nix“, forderte er seine Frau auf – und die legte los. 1975 hatte sie ihre Neubrücker so weit, erstmals die Karnevalseröffnung An St. Adelheid zu feiern. 1979 gründete sie ein Akkordeon-Orchester, zwei Jahre später rief sie das „Kölsch-Thiater Köln-Neubrück“ ins Leben, das erste Mundart-Theater für Kinder bundesweit. 1987 wurde es um eine Abteilung für „Eraanjewaaßene“ erweitert. Mit dem Thiater inszenierte sie eigene Stücke, in denen es häufig um ausführlich recherchierte Episoden aus der Stadtgeschichte ging: „20 Johr Franzusezick“ etwa, „De Schlaach vun Worringen“ oder „Kölle em Jlanz der Hanse“.

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Als sie vor zehn Jahren 80 wurde, gab Paula Hiertz diese Aktivitäten weitgehend auf, nicht aber ihre Radiosendungen, das Schreiben von „Verzällcher“ für eine Kölner Tageszeitung oder die Führungen zu historischen Themen. Da hat sie, die mittlerweile Witwe ist, noch einiges vor. So soll ihr 90. Geburtstag wegen Corona zwar nur im kleinen Kreis gefeiert werden, das eigentliche Fest plant sie für den Frühherbst: „Dann möchte ich auch den zweiten Teil meiner Autobiografie veröffentlichen.“ Der erste ging ja nur bis 2014.

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