Köln – Günter Bell ist ein freundlicher Mensch, der die Dinge gern positiv sieht, doch manchmal packt ihn die Wut: Beispielsweise wenn ihm ein Bauherr auf die Frage nach der Barrierefreiheit seines Gebäudes antwortet: „Das brauchen wir nicht, zu uns kommen keine Behinderten.“ Da zieht der neue Behindertenbeauftragte der Stadt die Augenbrauen hoch und fragt spitz: „Ja, warum wohl nicht?“ Seit Oktober vergangenen Jahres ist der promovierte Stadtplaner Leiter der Fachstelle Behindertenpolitik. Dort war er bereits von 2008 bis 2010 für das barrierefreie Planen und Bauen zuständig, bevor er für ein Zwischenspiel ins Stadtplanungsamt ging, um das soeben beschlossene Stadtentwicklungskonzept Wohnen mit zu erarbeiten.
Als Ort für ein Gespräch hat Bell das Bürgerzentrum Deutz gewählt, für ihn ein „rundum gelungenes Beispiel der Integration von Behinderten mitten im Stadtteil“. Das Haus beherbergt ein Café-Restaurant, das als Integrationsbetrieb geführt wird. Überdurchschnittlich viele Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen arbeiten hier als Kellner im Service, in der Küche oder in der Verwaltung. „Die Behinderten sind hier nicht Menschen, denen geholfen werden muss, sondern solche, die sich mit ihrer produktiven Arbeit einbringen“, beschreibt Günter Bell die Leitidee. Ein Gedanke, der ihn auch ganz persönlich umtreibt. Der 48-Jährige ist auf einem Ohr schwerhörig, und er hat eine geistig behinderte Tochter. Er kennt die Probleme und das Unwissen, mit denen Behinderte im Alltag zu kämpfen haben, aus dem eigenen Erleben.
Wieder so ein Erlebnis
Als er kürzlich mit seiner Tochter ein Konzert besuchen wollte, hatte er wieder so ein Erlebnis. Die 14-Jährige hat ein „B“ im Ausweis stehen, was besagt, dass sie von einer Begleitperson unterstützt werden muss. Üblicherweise haben Begleiter freien Eintritt, doch an der Kasse wurden sie abgewiesen mit dem Argument, diese Regelung würde nur für Rollstuhlfahrer gelten. „Das erleben sie landauf, landab“, sagt Bell. „Bei Rollstuhlfahrern ist die Beeinträchtigung für alle offensichtlich und deshalb sofort akzeptiert. Alle anderen sind für die Allgemeinheit irgendwie nicht richtig behindert.“ Doch auch für die Belange von Gehbehinderten sei in Köln noch viel zu tun. Zum Beispiel am Bahnhof Deutz, wo die Gleise nur über Treppen zu erreichen sind. Seit Jahren versuche die Stadt die Deutsche Bahn zu einem Umbau zu bewegen. Das Unternehmen will Deutz zu einem ICE-Bahnhof ausbauen und nichts mehr in die bestehende Substanz investieren.
Dennoch findet Günter Bell, und da kommt wieder seine positive Sicht auf die Dinge zum Vorschein, dass Köln auf einem guten Weg ist. „Die Berücksichtigung dieser Belange ist heute selbstverständlich, darüber muss ich gar nicht mehr diskutieren.“ So würden inzwischen alle städtischen Neubauten behindertengerecht geplant, gerade die Schulen seien hier zu erwähnen. Es gebe eine Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik, in denen die Betroffenen und die Wohlfahrtsverbände das Sagen haben. „Die Behinderten sind die besten Fachleute in eigener Sache“, das ist Bells Überzeugung. In den kommenden Jahren wird ihn das Thema Inklusion an Schulen stark beschäftigen: Bis 2020 sollen 80 Prozent der beeinträchtigten Kinder am Regelunterricht teilnehmen können.
Doch die Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand haben ihre Grenzen, insbesondere auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Wenn Behinderte erwachsen werden, führe der Weg fast immer in die Behindertenwerkstatt, Ausgrenzung statt Teilhabe. „Was die Hardware des Lebens angeht, also Wohnen und Arbeiten, sehe ich noch kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt Bell und sieht in diesem Moment gar nicht mehr so positiv gestimmt aus.
Betroffene können sich bei Problemen an das Bürgertelefon der Fachstelle Behindertenpolitik wenden unter 221-290 98 oder eine E-Mail schreiben.behindertenbeauftragter@stadt-koeln.de