Queere Jugendliche in Köln„Ich traue mich nicht mehr, mit einer Regenbogenflagge rumzulaufen“

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Zwei queere Jugendliche an der Bar des Kölner Jugendzentrums „Anyway“. Links mit dem Rücken zur Kamera sitzt Kitti, mit pinken Zöpfen. Daneben sitzt David im karierten Hemd und schaut in die Kamera.

Kitti (links) und David im Jugendzentrum „Anyway“. Kitti möchte unerkannt bleiben.

David und Kitti sind beide 20 Jahre alt und leben in Köln. Und: Sie sind queer. Mit uns haben sie über ihr Coming-out, schlimme Erfahrungen in der Schule und queerfeindliche Angriffe in Köln gesprochen.

David ist in einer ländlichen Region Thüringens aufgewachsen, im Wahlkreis von Björn Höcke. Kitti ist auf eine erzbischöfliche Schule gegangen, umgeben von einem konservativen Wertekosmos. Umstände, die auf Tausende zutreffen, haben auf Davids und Kittis Leben einen stärkeren Einfluss gehabt, als bei vielen andere Menschen in ihrem Alter. Denn: David und Kitti sind queer.

Queer sein in Köln: Jugendliche wurden in der Schule angefeindet

Beide sind 20 Jahre alt, ihre vollständigen Namen nennen wir, aus ihrem eigenen Wunsch und zu ihrem Schutz, nicht. Wir treffen die beiden im queeren Jugendzentrum „Anyway“. David und Kitti studieren und leben in Köln, haben in der queeren Community hier ihre Heimat gefunden. Doch trotz des befreienden Gefühls, endlich einen Ort zu haben, an dem man sein kann, wie man ist: Die sich häufenden Übergriffe auf Menschen der queeren Gemeinschaft hinterlassen auch bei David und Kitti Spuren.

David ist schwul, Kitti ist bisexuell. Dass ihre sexuelle Orientierung anders ist, als das, was ihnen immer als „normal“ vorgegeben wurde, merkten beide schon früh. „In der Grundschule gab es mal einen Praktikanten, den ich als Kind toll fand. Dann habe ich irgendwann gemerkt, dass ich in Filmen immer eher auf den Mann schaue, als auf die Frau“, sagt David. „Ich dachte immer, dass das ganz normal wäre. Bis in der Schule Worte wie ‚schwul‘ als Beleidigung benutzt wurden.“

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Selbstzweifel und Mobbing in den Teenager-Jahren

„In meiner Erziehung war das Thema ‚queer sein’ nicht präsent, ich wusste nicht, was das heißt. Ich habe mit elf Jahren das erste Mal gemerkt, dass ich Frauen interessant finde und hatte erste Schwärmereien“, erzählt Kitti. „Aber ich war mir unsicher, ob es auch andere gibt, denen es so geht. Mir wurde immer beigebracht, dass das komisch ist. Ich habe mich in der Zeit sehr stark selbst hinterfragt.“ Zu den Selbstzweifeln in der Vorpubertät kommen mit der Zeit auch Probleme in der Schule.

„Ich war auf einer erzbischöflichen Schule, jeden Tag wurde vor dem Unterricht gebetet. Viele Kinder haben von zuhause mitbekommen, dass schwul, lesbisch oder queer sein nicht ‚richtig‘ ist. Bei mir fing dann das Mobbing an. Ich wurde beleidigt, ich wurde nicht aus dem Klassenraum gelassen“, sagt Kitti. „Das Krasseste, was mir passiert ist, ist dass mir Leute den Tod gewünscht haben.“ Gerade in einer Zeit, in der man sich selbst noch so in Frage stelle, sei das besonders schwierig gewesen.

Mir haben die Vorbilder gefehlt. Ich kannte niemanden, der so ist wie ich
David

Obwohl Davids Familie bei seinem Coming-out mit 15 gut reagierte, hätte er sich besonders im schulischen Umfeld mehr Unterstützung gewünscht. „In der Schule wurde das Thema in acht Jahren nie richtig angesprochen. Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt“, sagt er heute. „In meiner Gegend haben mir die Vorbilder gefehlt, ich kannte niemanden, der so ist wie ich. Es gab auch keine Anlaufstellen wie das ‚Anyway‘, an die man sich wenden konnte.“

Die Erfahrungen aus ihrer Jugend wirken lange nach. „Eine meiner Mobberinnen hat sich später selbst geoutet. Ich habe sie dann gefragt, warum sie das bei mir gemacht hat, und sie meinte: Ich war neidisch, dass du dich das getraut hast“, sagt Kitti. „Das war für mich ein Armutszeugnis. Ich kann das vergeben, aber nicht vergessen.“ Erst nach der Schule habe sie mit den traumatischen Erlebnissen abschließen können.

Angriffe auf queere Menschen in Köln beschäftigen beide

Gänzlich unbeschwert bewegt sich die 20-Jährige aber auch heute nicht, selbst in Köln. „Man hört von immer mehr Angriffen auf Mitglieder der queeren Community. Auch die Frauenfeindlichkeit hat zugenommen, ich fühle mich auf der Schaafenstraße nicht mehr sicher“, sagt sie. „Ich würde mich vielleicht nicht mehr trauen, mit einer Regenbogenflagge draußen rumzulaufen. Es ist ein Risiko, wenn man sich erkennbar queer präsentiert.“ Beide suchen Antworten darauf, woher die sich häufenden Übergriffe auf queere Menschen rühren.

„Mich treibt es um, was man gegen diesen Rückwärtstrend machen kann. Rechtspopulistische Parteien in Europa sorgen für mehr Hetze“, sagt David. „Aber es gibt auch Vermutungen, dass es nach einer jahrelangen progressiven Bewegung rund um die Ehe für alle für manche Menschen langsam zu viel mit ‚queeren Themen‘ wird. Aber ich denke, wenn man wirklich tolerant ist, stört einen eine Regenbogenflagge doch nicht?“

„Sehe Köln durch eine rosarote Brille“

Köln nimmt David aktuell trotzdem noch durch eine „rosarote Brille“ wahr, wie er sagt. „Ich nehme das erste Mal ein Community-Gefühl wahr, und genieße das. Ich fokussiere mich auf das Positive. Bars zu haben, die ich besuchen kann, das Anyway, mit Regenbogen-Maske durch die Straße laufen zu können.“

Auch Kitti fühlt sich nach den schlimmen Erfahrungen ihrer Schulzeit mittlerweile gefestigt. „Ich weiß, dass ich richtig bin, so wie ich bin. Ich bin mit mir selbst im Reinen.“ Sie studiert, engagiert sich im Jugendzentrum und ist in einer glücklichen Beziehung zu einem Trans-Mann. „Ich will durch meine Geschichte auch anderen Menschen Mut machen, die sich noch nicht geoutet haben“, sagt sie. „Ich bin trotz allem stark geblieben.“


Zur Serie „Junges Köln“

Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.

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