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ZwangsräumungAlleinerziehende soll mit fünf Kindern in Kölner Obdachlosen-Hotel ziehen

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Familie W. steht mit ihren fünf Kindern im Dunkeln vor der Wohnng.

Familie Winands soll künftig in einem Obdachlosenhotel leben.

Das Verwaltungsgericht hat die geplante Unterbringung der Familie für menschenunwürdig erklärt - ein schwerer Tadel für die Stadt Köln. 

Am Tag, bevor sie mit ihren fünf Kindern in eine Obdachlosenunterkunft umziehen soll, sitzt Jacqueline W. in ihrer leer geräumten Wohnung in Porz-Gremberghoven und sagt: „Wir wissen nicht, was morgen wird.“

In den vergangenen Tagen hat die 34-Jährige gepackt. In der geputzten Wohnung steht noch ein rosa Bobbycar im Flur, auf einem Regal liegt gefaltete Wäsche in Körben, auf dem Boden Matratzen, die Betten und die meisten Möbel sind schon weg. Jedes Wort in der leeren Wohnung hallt nach.

Von Köln-Porz ins Obdachlosenhotel in Ehrenfeld - mit fünf Kindern

Gewiss ist nicht was, aber dass etwas geschieht. Am 17. Januar, 8 Uhr, so hat es die Stadt Köln angekündigt, soll die Wohnung zwangsgeräumt werden. „Die Stadt hat mir nur mitgeteilt, dass wir in einem Obdachlosenhotel in Ehrenfeld untergebracht werden.“ Jacqueline W. sitzt mit ihrem Partner Salih im leergeräumten Wohnzimmer, nur ein Tisch, die Couch und der Fernseher sind noch nicht abgebaut. Ein Umzugstransporter ist für morgen bestellt.

Bis es so weit sein könnte, hat die Familie Hoffnung, dass es nicht dazu kommt. Denn das Kölner Verwaltungsgericht hat am Freitag in einem Eilverfahren entschieden, dass die Stadt der Familie eine „angemessene und menschenwürdige Unterkunft“ zur Verfügung stellen müsse – die Obdachlosenunterkunft in Ehrenfeld sei das nicht. Die Stadt habe sich nur um zwei alternative Unterkünfte bemüht. Das sei zu wenig. 

Kölner Verwaltungsgericht tadelt die Stadt Köln nicht nur für die Unterbringung der Großfamilie

Das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts lässt sich als schwerer Tadel für die Stadt Köln lesen. Es wirft grundsätzliche Fragen danach auf, ob die Verwaltung ihrer Aufgabe gerecht wird, Familien vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Der Stadt sei bewusst gewesen, dass die sechsköpfige Familie langfristig eine Bleibe brauche und habe nicht angemessen reagiert. Bei der Kritik im Einzelfall beließ es das Gericht nicht.

Die Richter halten es für unzulässig, dass „die Stadt Köln ihre Praxis bei der Unterbringung Obdachloser auf zwei Maßnahmen“ beschränke, nämlich die „Beschlagnahmung von Wohnungen und die Anmietung von Hotels als Obdachlosenunterkünfte“. Um Obdachlosigkeit zu verhindern, müsse sie auch „die Anmietung von Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt oder auch die Anmietung geeigneter Hotelzimmer in sämtlichen in Betracht kommenden Hotels“ erwägen. Welche Kosten dadurch entstünden, sei „rechtlich unerheblich“.

Die Stadt Köln hat die Situation sehenden Auges eskalieren lassen.
Reentje Streuter, Sozialistische Selbsthilfe Mülheim

„Die Stadt hat die Situation sehenden Auges eskalieren lassen“, sagt Reentje Streuter von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, der Jacqueline W. juristisch beraten hat. „Ihr war schon seit einem Jahr bekannt, dass die Familie in Not geraten wird, aber sie hat trotzdem nicht angemessen reagiert.“ Die Stadt sei rechtlich verpflichtet gewesen, sich um eine vollwertige Ersatzwohnung zu bemühen. „Das hat sie erkennbar nicht getan, sondern die Zeit verstreichen lassen, wie schon im Falle der achtköpfigen Familie Stamm im vergangenen Jahr“.

Seinerzeit war die Wohnung von der Stadt zweimal über sechs Monate beschlagnahmt worden. „Als diese Frist verstrichen war, stand die Stadt mit leeren Händen da und verfrachtete die Familie in zwei Vierbettzimmer in einer Obdachlosenunterkunft, fern von Kita und Schule der Kinder.“ Inzwischen hat die Familie wieder eine Wohnung. Auch im Falle der Familie W. hatte die Stadt die Wohnung zunächst beschlagnahmen lassen, um eine Obdachlosigkeit zu verhindern. Und steht jetzt mit leeren Händen da.

Für zumutbar hielt es die Stadt offenbar, dass die alleinerziehende Mutter ihre fünf Kinder künftig jeden Morgen von Ehrenfeld nach Porz in Schule und Kita bringt. „Ich dachte, ich höre nicht richtig, als ich davon erfahren habe“, sagt die 34-jährige Kölnerin. „Mein ältester Sohn hat das Aspergersyndrom, er gilt als schwerbehindert. Schon deshalb ist es unzumutbar, dass wir aus unserer gewohnten Umgebung rausgerissen und auf der anderen Seite der Stadt untergebracht werden sollen. Der Stadt ist das bekannt. Und dann auch noch in einer Obdachlosenunterkunft?“

Die Stadt Köln sagt, die Unterkunft sei größer als gesetzlich vorgeschrieben

Mit Fragen zu dem Fall konfrontiert, teilt die Stadt mit, dass durch die Fachstelle Wohnen „leider auf dem öffentlich geförderten Wohnungsmarkt kein Vermieter gewonnen werden konnte, der bereit gewesen wäre, mit Familie W. einen Mietvertrag abzuschließen“. Eine eigene Wohnungssuche der Mutter würde „selbstverständlich mit allen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln gefördert“. Ein Wohnberechtigungsschein sei ausgestellt worden, „andere Anträge liegen noch nicht vor“.

Das Obdachlosenhotel in Ehrenfeld biete der Familie „eine abgeschlossene Wohneinheit mit einer Wohnfläche von rund 85  Quadratmetern, bestehend aus zwei Zimmern, eigener Küche und eigenem Bad. In diesem Objekt werden nur Familien untergebracht, um deren besonderen Belangen besser gerecht zu werden“. Das Angebot gehe von der Größe her weit über das richterlich geforderte Maß von neun Quadratmeter pro Person, die älter als sechs Jahre ist, hinaus.

Urteil des Verwaltungsgerichts setzt Stadt Köln unter Zugzwang

Wohnen ist ein Menschenrecht. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat schon vor vielen Jahren festgestellt, dass Eltern eigene Räume zu gewähren seien, jedes Familienmitglied müsse sich zurückziehen können, Kita und Schule müssten in angemessener Entfernung liegen, um besucht werden können. „In Köln wurde dieses Urteil unter dem Blickwinkel: Keine/r ist gezwungen, auf der Straße zu schlafen, bislang ignoriert“, sagt Reentje Streuter. „Das ist nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln jetzt vorbei.“

Solange nicht genug Sozialwohnungen gebaut würden, sei die Stadt nun angehalten, „im Einzelfall Wohnungen anzumieten“. Der Stadtrat müsse nun endlich tätig werden, fordert Streuter. Zu bauen sei langfristig viel billiger, als für wohnungslose Menschen Hotels zu mieten. Ein Bett in einem Vierbettzimmer koste die Stadt fast 40 Euro pro Nacht – ein Vierbettzimmer demnach 4800 Euro pro Monat.

Jacqueline W. hofft, dass „wir, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit in das Obdachlosenhotel müssen“. Die vergangenen Monate hätten sie erschöpft. „Ich kann einfach nicht mehr.“ Die Mutter berichtet von Schikanen aus der Nachbarschaft. Ständig sei geschimpft worden, ihre Kinder seien zu laut. Sie und ihre Familie seien auch rassistisch beleidigt worden – ihr Freund sei türkischer Herkunft. Dass immer wieder Beschwerden ans Jugendamt gegangen seien, sogar, dass „die Kinder um Hilfe geschrien hätten“, bezeichnet sie als „Schikane. Man wollte uns hier weghaben. Uns ist auch mehrfach ohne Ankündigung das warme Wasser abgestellt worden“.

Die Stadt teilt mit, dass es weitaus schwieriger sei, einen drohenden Wohnungsverlust zu verhindern, wenn er „auf mietvertragswidrigem Verhalten“ basiere, als wenn lediglich Mieten nicht gezahlt würden.

Demonstration vor dem Haus der Familie in Köln am Dienstagmorgen

Die Hintergründe der Bezichtigungen und Interventionen von Ämtern lassen sich an dieser Stelle nicht klären. Die Rechtslage hat das Verwaltungsgericht geklärt. Die Stadt hätte eine angemessene, andere Wohnung zur Verfügung stellen müssen – und habe es nicht getan.

Die SSM und das „Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung“ werden am Dienstagmorgen vor dem Haus der Familie W. gegen die Zwangsräumung demonstrieren.

Hinweis: In der ursprünglichen Version des Texts war der Name der Familie ausgeschrieben. Die Redaktion hat sich im Verlaufe der öffentlichen Diskussion über die Umstände der Zwangsräumung entschieden, den Namen nicht mehr zu veröffentlichen.

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