Innatura in Köln-PorzWeniger Müll dank gezielter Weiterleitung

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Innatura-Gründerin Juliane Kronen (2. v. r.) informiert MdB Katharina Dröge, Robert Schallehn (l.) und Thomas Ehses über  die Spendenverteilung.

Innatura-Gründerin Juliane Kronen (2. v. r.) informiert MdB Katharina Dröge, Robert Schallehn (l.) und Thomas Ehses über  die Spendenverteilung.

Ensen-Westhoven – Tausende Shampoo-Flaschen, die wegen eines Fehlers in der Abfüllanlage ein paar Milliliter zu wenig Shampoo enthalten. Das hieß für die produzierenden Unternehmen bisher: ab auf den Müll. Zigtausend Babywindeln, die nach Ablauf einer Werbeaktion in diesem Design nicht mehr in den Drogeriemärkten landen sollen: ab auf den Müll. Zehntausende hochwertige Bleistifte, auf denen durch ein Versehen der Härtegrad nicht richtig angegeben wurde:  ab auf den Müll.

Vor sechs Jahren gegründet

So war das, ehe die Kölnerin Juliane Kronen vor sechs Jahren die gemeinnützige Gesellschaft Innatura gründete. Innatura vermittelt neuwertige Sachspenden an gemeinnützige Organisationen und sammelt dafür bei Herstellern und Händlern einwandfreie Ware ein. Im großen Lager auf dem früheren Citroën-Gelände in Westhoven informierten sich jetzt Besucher von den Grünen über das Konzept und die Arbeit der Gesellschaft und sprachen mit Innatura-Gründerin Kronen über die Spendensammlung und bedarfsgerechte Verteilung.  Kronen hat die zündende Idee zur Verteilung gespendeter Waren gehabt und umgesetzt, als sie bei ihrer Arbeit als Unternehmensberaterin einmal von 200000 Flaschen Markenshampoo  hörte, die weggeworfen werden sollten. „Diese Masse innerhalb von zwei Tagen zu verteilen, damit das Unternehmen Platz im Lager hatte, war mir damals nicht möglich – das Shampoo wurde vernichtet“, erinnert sich Kronen.

Startinvestition von einer Million Euro

Sie  hatte sich schon zuvor sehr darüber geärgert, dass deutschlandweit jährlich neuwertige Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro weggeworfen werden. Nach dem Shampoo-Problem gründete sie mit Mitstreitern die Gesellschaft Innatura  – mit einer Startinvestition von einer Million Euro und mit großem unternehmerischem Engagement fürs Ehrenamt. Dafür gab die promovierte Unternehmensberaterin ihren Job als Partnerin bei der Boston Consulting Group auf. „Ich hatte viel Glück im Leben und will der Gesellschaft etwas zurückgeben“, begründet sie ihren Entschluss.

Weiterverkauf ist nicht gestattet

Die gemeinnützige Plattform Innatura bietet seit 2013 den Empfängerorganisationen etwa  aus der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenhilfe, der Seniorenhilfe, Wohnungslosen- und Flüchtlingshilfe an,  online Waren im Katalog auszusuchen, zu bestellen und so ihr Budget zu schonen. Die inzwischen 1500 Bestellerorganisationen kommen aus ganz Deutschland, zuweilen gehen Waren auch zu Hilfsprojekten im Ausland.

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Für die einwandfreien Waren – darunter Produkte von Procter&Gamble, Beiersdorf, Amazon und dm – zahlen die sozialen Einrichtungen nur eine Vermittlungsgebühr in Höhe von fünf bis höchstens 20 Prozent des Marktwertes und Versandkosten. Die Vermittlungsgebühr ist so gering bemessen, dass sie gerade eben die Lager-, Verwaltungs- und Personalkosten der gemeinnützigen Gesellschaft decken kann.  Organisationen aus Köln und Umgebung können die Versandgebühren sparen, wenn sie die Waren im Lager an der André-Citroën-Straße  selbst abholen. Bedingung für den Einkauf bei Innatura ist, dass die Organisationen die Waren für ihre Klientel einsetzen; ein Weiterverkauf ist nicht gestattet.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge, sowie Thomas Ehses (Vorstandsmitglied  Grüne Porz) und Robert Schallehn (Grünen Ratsfraktion) zeigten sich beeindruckt von der Idee und der Professionalität des gemeinnützigen Unternehmens. „Eine großartige Sache , von der so viele profitieren“, sagte Dröge. Für die  bestellenden Einrichtungen ist  nach den Worten von Juliane Kronen jeder eingesetzte Euro soviel wert wie sechs Euro im normalen Handel. Mit dem gesparten Geld können die Einrichtungen ihre Arbeit absichern oder zusätzliche Angebote für die von ihnen betreuten Menschen machen.

Umwelt profitiert

Bisher wurden über die Plattform Waren im Wert von mehr als 15 Millionen Euro über die Organisationen an mehr als eine halbe Million Menschen verteilt. Das bedeutet für die Innatura-Nutzer Einsparungen im Wert von fast 14 Millionen Euro. Abgesehen vom sozialen Nutzen profitiert auch die Umwelt: mehr als 2000 Tonnen Abfall wurden vermieden. Und die spendenden Unternehmen tun Gutes, indem sie Waren nicht einfach entsorgen.

Politische Unterstützung gefragt

Genau an dieser Stelle wünscht sich die Innatura-Geschäftsführerin politische Unterstützung. Denn viele Unternehmen, die eigentlich gern ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden wollen, scheuen den Schritt zur Spende aus Kostengründen. Wie Kronen sagt, sind Sachspenden wegen der steuerlichen Behandlung für die Unternehmen weit teurer als die Entsorgung.

Diese Ungleichbehandlung müsse beseitigt werden – nicht nur für Retouren, sondern für gespendete Produkte aus der gesamten Wertschöpfungskette von Herstellern, Händlern und Dienstleistern. „Unternehmen sollte das Spenden so einfach wie möglich gemacht werden“, spricht sich Kronen dafür aus. Katharina Dröge sicherte zu die Forderung, Produktspenden von der Umsatzsteuer zu befreien und  Spenden  analog zur Entsorgung zu behandeln, wohlwollend  in Gesprächen mit dem Bundesfinanzministerium zu behandeln.

Spenden im Wert von zwei Millionen Euro lagern in Westhoven und werden  an Empfängerorganisationen verteilt.

Spenden im Wert von zwei Millionen Euro lagern in Westhoven und werden  an Empfängerorganisationen verteilt.

Wie Juliane Kronen berichtet, konnte Innatura schon zahlreiche große und kleine Unternehmen als Spender gewinnen. Wasch- und Reinigungsmittel, Hygieneprodukte, Spielwaren, Stifte, Bekleidung, Haus- und Elektrogeräte – alles, was aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zum Verkauf gelangt.  Die Waren sind in riesigen Hochregalen   untergebracht; die Verteilung erfordert besonderes logistisches Geschick.

Große und kleine Chargen unterschiedlichster Waren im Wert von zwei Millionen Euro lagern in der Halle.  Palettenweise Windeln aus Überproduktion, in kleinen Stückzahlen Markenrucksäcke  mit dem Design des Vorjahres, Dutzende Verkaufsdisplays mit  Pflegeprodukten von einer Palette, deren Plastikhülle einen Riss hatte – solche Sachen werden gerade verteilt.

Freiraum für andere Pläne

Ein Mitarbeiter einer Flüchtlingseinrichtung holt eine Ladung Waschpulver und Zahncreme ab. Ein Angestellter im Lager packt sortierte Heftpflaster-Tütchen zusammen, die an eine ehrenamtliche Organisation zur krankenscheinlosen ärztlichen Hilfe für Obdachlose geht. Der Förderverein einer Jugendeinrichtung hat ein Sortiment Buntstifte und Malblocks bestellt. Die Empfängerorganisationen sind sehr glücklich über die Möglichkeit, bei Innatura günstig zu bestellen. „Das schafft Freiraum für Pläne, die das Budget nicht abdeckt“, hat Kronen aus zahlreichen Gesprächen erfahren.

Zu Beginn der Innatura-Aktivitäten sei manche Organisation  skeptisch gewesen, ob bei dieser Form der Verteilung wohl alles mit rechten Dingen zuginge, erinnert sich die Gründerin mit einem Lachen. „Da berichteten etwa unsere Spenden-Partner von Procter&Gamble oder von Staedtler, sie hätten Anrufe bekommen, ihre Hygieneartikel oder Schreibwerkzeuge würden auf der Plattform zu einer so geringen Gebühr  angeboten – ob das  seriös sein könne?“

Inzwischen ist der Innatura-Onlinekatalog so bekannt, dass solche Zweifel keinen Platz mehr haben. „Was gibt es Nachhaltigeres, als bereits vorhandene, überschüssige Waren vor dem Wegwerfen zu bewahren und an Organisationen zu geben, die sie brauchen“, fragt Kronen  und hofft auf zahlreiche weitere Spender, auf ehrenamtliche Unterstützer – und jede Menge zufriedener Abnehmer für die Dinge, die sonst im Müll gelandet wären.

Tag der offenen Tür in Westhoven

Bei der Organisation von Innatura (so benannt nach der Absicht, in Naturalien zu spenden) haben sich Juliane Kronen und ihr Team am Vorbild der britischen Organisation In-Kind-Direct  orientiert; Innatura gehört der Dachorganisation In-Kind-Direct-Global-Network an,  Schirmherr ist der britische Thronfolger Prince Charles.   An Sachspenden wird „fast alles“ gern genommen – außer Lebensmittel, für die es andere Logistikwege gibt. Den Statuten der britischen Dachorganisation zufolge ist  Alkohol als Spende nicht willkommen.   Für ihre Arbeit ist die gemeinnützige Gesellschaft Innatura schon mehrfach ausgezeichnet worden – unter anderem als „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ oder in diesem Jahr mit dem Preis Zeit-Wissen – Mut zur Nachhaltigkeit. Vertreter sozialer Organisationen sind für Donnerstag, 19. September, 14 bis 17  Uhr,  zum Tag der offenen Tür im Westhovener Sachspendenlager willkommen. Sie können sich über die große Produktpalette informieren und das Team kennenlernen. Anmeldungen sind   online  oder unter Tel. 0221/4069975 erwünscht.  (bl) team@innatura.org www.innatura.org

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