Rammen erlaubtKöln als Gastgeber des wichtigsten Rollstuhl-Rugby-Turniers der Welt

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Die Mannschaften sind offen für Frauen und Männer – eine Szene aus dem Duell der Cologne Alligators gegen die Scorpions aus Schottland.

Die Mannschaften sind offen für Frauen und Männer – eine Szene aus dem Duell der Cologne Alligators gegen die Scorpions aus Schottland.

Für Peter Schreiner war Rollstuhl-Rugby zunächst Mittel zum Zweck. Er wollte selbstständig werden, trotz seiner mit 19 Jahren bei einem Autounfall erlittenen sehr hohen Querschnittslähmung. „Ich wollte unabhängig sein“, sagt Schreiner. Also trainierte er. Machte sich fit fürs Leben – und für den Sport. Heute ist Schreiner 50 Jahre alt, bekommt seinen Alltag ohne Hilfe gestemmt und ist bekannt dafür, einer der weltbesten 0,5er Rollstuhl-Rugby-Spieler gewesen zu sein und der einzige Deutsche, der den Sprung in ein US-Team geschafft hat. 

Peter Schreiner hat seit 19 Jahren kein einziges Turnier verpasst.

Peter Schreiner hat seit 19 Jahren kein einziges Turnier verpasst.

Am Wochenende war Peter Schreiner zu Gast in Köln, zusammen mit rund 250 anderen Rollstuhl-Rugby-Spielern. Zum 19. Mal wurde das Bernd-Best-Turnier ausgetragen, das weltweit größte Turnier in diesem sehr kämpferischen Sport. Es ist nach dem Gründer des ausrichtenden Rollstuhl-Clubs Köln benannt. Schreiner hat bislang kein einziges Turnier verpasst. Selbst in den drei Jahren, in denen er für Tampa in Florida spielte, kam er Jahr für Jahr zum großen Treffen mit Gleichgesinnten nach Köln.

15-Kilo-Rollstühle krachen aneinander

Inzwischen geht es ihm weniger um Leistung und mehr um Geselligkeit. Zu seinen sportlich besten Zeiten hat er das Kölner Turnier viermal gewonnen, heute spielt Schreiner nicht mehr in der Champions League, der höchsten Spielklasse, sondern mit den „Langmann Griffins“ (am Ende Platz zehn) auf dem niedrigsten Level in der sogenannten Basic League.

Aber auch in dieser Klasse geht es ordentlich zur Sache. Am Samstag krachen drinnen in der Sporthalle der Gesamtschule Holweide die massiven, 15 Kilogramm schweren Rollstühle der Spieler aneinander. Draußen brutzeln die Bratwürste, und Sportler und Betreuer treffen sich zwischen ihren Spielen zum lockeren Plausch. Die Rugby-Rollstühle sind teure (rund 10000 Euro) High-Tech-Sportgeräte, auch wenn sie aussehen wie schwer ramponierte Gefährte von der Reste-Rampe.

Vieles ist erlaubt

Ziel des Spiels ist es, wie im Nichtbehinderten-Rugby, den Ball hinter die Linie der gegnerischen Spielfeldhälfte zu bringen. Jeder Spieler muss an mindestens drei Extremitäten beeinträchtigt sein – damit ist Rollstuhl-Rugby für all jene geeignet, deren Behinderung zu schwer ist, um konkurrenzfähig Rollstuhl-Basketball zu spielen. Pro Team sind vier Spieler auf dem Feld, die je nach Schweregrad ihrer Behinderung eine Punktzahl zugeordnet bekommen. Je schwerwiegender die Beeinträchtigungen, desto niedriger die Zahl. Alle Spieler zusammen dürfen nicht mehr als sieben Punkte haben. 

Rebecca Groß (v.l.), Britta Kripke und Madlene Reusch von den „Hot Chicks“

Rebecca Groß (v.l.), Britta Kripke und Madlene Reusch von den „Hot Chicks“

Bei dem Versuch, mit dem Ball hinter die Linie zu gelangen, dürfen die Spieler von den Gegnern attackiert werden. Rammen (nicht von hinten), festhalten (auf den Arm schlagen ist verboten), Weg versperren – das ist alles erlaubt. Peter Schreiner ist ein „Low-Pointer“, also einer, der kaum Punkte zur Gesamtzahl des Teams beisteuert. Sein Behinderungsgrad ist mit 0,5 Punkten klassifiziert, weniger geht nicht. „Low-Pointer“ sind für die Abwehr zuständig, „High-Pointer“ für den Angriff. Heißt: Die „Low-Pointer“ blocken den „High-Pointern“, die den Ball besser fangen, werfen, dribbeln und verteidigen können, so gut es geht den Weg frei. Während Schreiner das am Samstag in Holweide erklärt, scheppert es auf dem Spielfeld nebenan gewaltig. Dann wird ein Spieler der „Fighting Snakes“ aus der Schweiz am Spielfeldrand von einem Betreuer kurzerhand im Stuhl auf den Rücken gekippt. Es wird gehämmert und geruckelt – dann sitzt das abgefallene Rad wieder und es kann weitergehen. 

Erstes reines Frauen-Team dabei

Die Mannschaften sind häufig gemischt, wobei den Frauen ein Punkt (international sind es nur 0,5 Punkte) ihrer eigentlichen Klassifizierung abgezogen wird. Dahinter steckt der Wunsch, mehr Frauen in den von Männern dominierten Sport zu locken. Und so hat sich in Köln in diesem Jahr zum ersten Mal ein reines Frauen-Team zusammengefunden, die „Hot Chicks“. In ihren knall-pinken Trikots lehrten sie die Männer in der Basic-League das Fürchten – und hatten viel Spaß dabei. 

„Bei uns sind alle gleichberechtigt“, erklärt die Hamburger Nationalspielerin Britta Kripke. „Es gibt niemanden, der dominiert und das Sagen hat.“ Spielten sie als Frauen in Männer-Teams, sei das oft anders. „Man weiß ja, dass man den Männern körperlich unterlegen ist“, sagt die Kölnerin Rebecca Groß.

Als Team waren die Frauen alles andere als unterlegen. Sie holten sich beim Sieg der „Aarhus Bournouts“ Platz drei. Und Kripke genoss das Projekt: „Allein um zu sehen, dass sich die Männer noch mehr ärgern als üblich, wenn sie gegen ein reines Frauen-Team verlieren.“  

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