Reiche BürgerinFygen Lutzenkirchen war Kölns Karrierefrau des Mittelalters

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Der Rat­hau­sturm in Köln mit Heinrich Agrippa von Net­tes­heim, Fygen Lut­zen­kir­chen, Ulrich Zell, Heinrich von Beeck und Stephan Lochner 

  • In der Serie „Frauen voran“ stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Frauen vor, die in der Geschichte der Stadt eine besondere Rolle gespielt haben.
  • Viele von ihnen sind heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl sie zu ihrer Zeit Pionierarbeit geleistet haben.
  • Diesmal geht es um Fygen Lutzenkirchen. Sie war Seidenweberin, Unternehmerin und einer der reichsten Bürgerinnen der Handelsmetropole Köln.

Köln – „Fygen eilte zurück in ihr Kontor. Die Arbeit drängte, und die Zeit war knapp, denn heute nach dem Mittagsmahl würde sie zum ersten Mal als Zunftmeisterin an einer Vorstandssitzung des Seidamtes teilnehmen. Vor wenigen Tagen waren sie und eine weitere Frau für ein Jahr zu Zunftmeisterinnen (...) gewählt worden. Es war eine große Ehre für sie, und Fygen war gespannt auf die Aufgaben, die sie in diesem Amt erwarteten.“ Mit diesen Worten beschreibt die Autorin Ursula Niehaus den Aufstieg einer der erfolgreichsten Geschäftsfrauen des Spätmittelalters.

In ihrem historischen Roman „Die Seidenweberin“ hat sie der Kölner Seidmacherin Fygen Lutzenkirchen ein Denkmal gesetzt und zugleich einen absoluten Sonderfall in der europäischen Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters zum Erzählstoff gemacht: die Kölner Frauenzünfte. Denn in keiner anderen Stadt des Mittelalters – mit Ausnahme von Paris – gab es solche fast ausschließlich aus Frauen bestehenden Zünfte.

Kölner Fygen und Peter Lutzenkirchen arbeiteten zusammen

Fygen Lutzenkirchen (auch Lützenkirchen) wurde um 1450 geboren und starb nach 1515, das genaue Todesdatum ist nicht überliefert. 1474 wurde sie als Hauptseidmacherin, also als Meisterin, zugelassen und bildete in den folgenden zwei Jahrzehnten 25 Lehrtöchter aus. Verheiratet war sie mit dem Kaufmann und Ratsherrn Peter Lutzenkirchen, abwechselnd saß das Ehepaar fast 20 Jahre im Vorstand des Seidamtes, wie die Zunft in Köln genannt wurde.

Die Verflechtung von Handel und Gewerbe sei eine gängige Arbeitsteilung in den damaligen Familienbetrieben gewesen, so die Historikerin Margret Wensky, Honorarprofessorin an der Uni Bonn, die die Kölner Frauenzünfte erforscht hat. „Die Frau übernahm dabei als eingeschriebenes Zunftmitglied die Rolle des Produzenten, während der Ehemann als Kaufmann für die Rohstoffbeschaffung und den Handel zuständig war.“ Neben ihrer Gewerbetätigkeit war sie aber auch an den Handelsgeschäften ihres Mannes beteiligt. „Das Ehepaar Lutzenkirchen steht beispielhaft für eine Reihe von Kölner Ehepaaren der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, bei denen sich die Gewerbetätigkeit eines der Partner mit der Handelstätigkeit des anderen auf das Vorteilhafteste ergänzte“, schreibt Wensky in einem Porträt der Seidenunternehmerin für das Internetportal Rheinische Geschichte.

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Ein Erfolgsmodell also, was auch darin seinen Ausdruck fand, dass das Paar mehrere Häuser in der Stadt besaß, darunter auch das alte Anwesen Wolkenburg, das sich an der Straße Wollküche 1-3 in der Nähe der Pfarre von St. Peter befand. Am Ende ihres Lebens zählte Fygen Lutzenkirchen zu den reichsten Kölnern.

Dass sie, wie auch andere Unternehmerinnen ihrer Zeit, zur Meisterin aufsteigen und eine derartige Rolle im Wirtschaftsleben spielen konnte, lag an den besonders weitreichenden Rechten, die zumindest Frauen der Ober- oder Mittelschicht, zu der die Seidenmacherinnen teilweise gehörten, in Köln zugestanden wurden. Der Historiker und Journalist Carl Dietmar hebt in dem von ihm mitverfassten Werk „Köln im Spätmittelalter“ die besondere Stellung der Frau in Köln hervor. So konnten Frauen selbstständig Häuser und Verkaufsstellen mieten oder pachten, sie durften die Vormundschaft über eigene und fremde Kinder ausüben und konnten vor Gericht zur Aussage unter Eid aufgefordert werden, dem sogenannten Frauenzeugnis. Es war auch durchaus üblich, dass Töchter aus höheren Kreisen zur Schule gingen, wo sie lesen, schreiben und rechnen lernten und so auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet wurden.

Köln war ein Global Player im Fernhandel

Das markanteste Zeugnis für den hohen Anteil von Frauen am Wirtschaftsleben war allerdings die Existenz nahezu reiner Frauenzünfte. Es gab die Zunft der Goldspinnerinnen, der Garnmacherinnen und der Seidenspinnerinnen. Die älteste und bedeutendste aber war die Korporation der 1437 gegründeten Seidenweberinnen (Seidmacherinnen). Bis 1504 haben hier 116 Seidmacherinnen einen Betrieb unterhalten und 765 Lehrtöchter aufgenommen. Einige waren dabei so erfolgreich, dass sie pro Jahr mehrere Tausend Pfund Rohseide aufkauften und verarbeiten ließen.

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Köln mit seinen um 1500 rund 40.000 Einwohnern war ein Global Player im Fernhandel, und die Erzeugnisse des Seidengewerbes nahmen dabei den ersten Rang ein. Vor allem im Tuchhandel mit England galt die Kölner Seide als begehrte Tauschware. Dass dieses bedeutende Exportgewerbe fast ausschließlich von Frauen geführt wurde, stieß bei den Kaufleuten andernorts offenbar nicht selten auf Befremden. Davon zeugt ein Schreiben Kölns von 1498, aus dem die Historikern Margret Wensky zitiert. Darin musste der Stadt Antwerpen erklärt werden, „dat dat sidemakerampt bi uns ... durch die frauwespersonen gemeinliken und ser weinich durch manspersonen verhantiert und verhandelt wirt und darumb denselven frauwespersonen van dem handel und koupmanschapalletijd langer und forder kundich is dan den manspersonen“.

Fygen Lutzenkirchen als Prototyp der Seidmacherinnen wurde 1992 – auf Betreiben des Kölner Frauengeschichtsvereins – in das Figurenprogramm für den Rathausturm aufgenommen. Ebenfalls auf Initiative des Vereins wurde die Straße „Unter Seidmacher“ 1986 in „Seidmacherinnengäßchen“ umbenannt.

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