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Schockanruf in KölnWie ein falscher Arzt einen 73-jährigen Vater in Panik versetzte

5 min
ARCHIV - 09.09.2015, Niedersachsen, Hannover: Ein Mann mit Telefonhörer in der Hand. (zu dpa: «Telefonbetrüger ergaunern Wertgegenstände von Ehepaar») Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Jürgen Hauptmann wurde von einem vermeintlichen Arzt der Uniklinik Köln nahegelegt, ein teures Medikament für seine angeblich sterbenskranke Schwiegertochter zu kaufen.

Jürgen Hauptmann war unter Schock bereits auf dem Weg in die Uniklinik, als er den Betrug bemerkte. 

Jeden Moment könnte es so weit sein: Jürgen Hauptmann und seine Frau werden zum ersten Mal Großeltern. Die Vorfreude ist riesig, jetzt muss nur noch alles glatt gehen im Krankenhaus. Am Vormittag noch hatte Jürgen Hauptmanns Sohn aus dem Severinsklösterchen angerufen, wo die Schwiegertochter in den beginnenden Wehen lag. Alles sei in Ordnung, berichtete der Sohn, man werde gleich damit beginnen, die Geburt einzuleiten.

Nur eine Stunde später klingelt es erneut auf dem Festnetz der Hauptmanns. Unbekannte Nummer. Ein Mann stellt sich als Chefarzt der Uniklinik Köln vor, Abteilung Chirurgie. Er sagt: „Wir haben gerade bei ihrer Tochter Magen- und Darmkrebs im Endstadium festgestellt. Sie müssen bitte sofort herkommen und eine wichtige Entscheidung treffen.“ Im Hintergrund weint eine Frau. Hauptmann ist geschockt.

Köln: Schockanrufer meldet sich als angeblicher Chirurg

„Ich war total überrumpelt“, berichtet der 73-Jährige drei Wochen später im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er sei gleich davon ausgegangen, das Krebsgeschwulst sei wohl beim Kaiserschnitt entdeckt worden. Dass der Arzt aus der Uniklinik anrief, nicht aus dem Klösterchen, habe er sich damit erklärt, dass seine Tochter wohl eilig verlegt wurde. Und schließlich korrigierte er den Chirurgen sogar noch. „Ich sagte zu ihm, dass er bestimmt nicht meine Tochter meint, sondern meine Schwiegertochter“ – was der prompt bejahte.

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Nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor zwei Wochen über Eva Ostmann berichtet hatte, die um ein Haar auf einen Schockanruf hereingefallen wäre, den Betrug aber noch rechtzeitig entlarvte und am Ende der Polizei half, eine der Täterinnen festzunehmen, meldeten sich Leserinnen und Leser in der Redaktion, die ähnliches erlebt haben, so auch Jürgen Hauptmann, der eigentlich anders heißt. Dabei wurde deutlich, dass die Geschichten der Betrüger variieren. Aber alle verfolgen dasselbe Ziel: die Opfer in Panik zu versetzen und sie dazu zu bringen, hohe Geldsummen oder Wertgegenstände herauszugeben.

Ich war dermaßen geschockt und geängstigt, ich habe diesen Unsinn in dem Moment geglaubt
Jürgen Hauptmann, Betrugsopfer

Eva Ostmann wurde von einer angeblichen Polizistin und einem Staatsanwalt kontaktiert, die behaupteten, ihr Sohn habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht, Ostmann sollte nun 65.000 Euro Kaution zahlen, um ihm das Gefängnis zu ersparen. In anderen Fällen melden sich vermeintliche Bankangestellte, die den Opfern die Zugangsdaten zu ihren Konten entlocken wollen.

Eine Masche, die derzeit sehr häufig kursiert, ist die Geschichte vom falschen Chefarzt. Magen- und Darmkrebs im Endstadium. Jürgen Hauptmann setze sich nach dem Anruf sofort ins Auto und brach in Richtung Uniklinik Köln auf. Dort wollte ihn ein Oberarzt angeblich im Foyer abholen. Hauptmanns Frau – so wiesen ihn die Betrüger am Telefon an – sollte indes unbedingt zu Hause bleiben, das Festnetz freihalten und auf weitere Updates aus der Klinik warten. Denn angeblich könne man aus der Uniklinik heraus nicht in Handynetze telefonieren, behauptete der vermeintliche Chirurg. „Ich war dermaßen geschockt und geängstigt, ich habe diesen Unsinn in dem Moment geglaubt – und das, obwohl ich 26 Jahre Manager in der IT war“, sagt Jürgen Hauptmann. Und obwohl der falsche Arzt den 73-Jährigen nur kurz darauf im Auto anrief – auf dem Handy.

Köln: Telefonbetrüger forderten 150.000 Euro

Wo er denn bleibe, wie lange er noch brauche, wollte der Chirurg wissen. Und: Es gebe genau eine Möglichkeit, seine Schwiegertochter vielleicht noch zu retten. Ein Medikament aus der Schweiz. „Das koste allerdings 150.000 Euro, und die müssten sofort bezahlt werden, damit das Medikament per Kurier geliefert werden und morgen schon mit der Therapie begonnen werden könnte“, berichtet Hauptmann.

Zeitgleich meldete sich ein weiterer Täter auf dem Festnetz bei seiner Frau, fragte sie nach den Vermögensverhältnissen aus, erkundigte sich nach Bargeld, Wertpapieren oder Gold. „Die haben uns parallel auf zwei Leitungen Druck gemacht“, erzählt Hauptmann. Für die Polizei ist das kein unbekanntes Vorgehen: So sind die Leitungen besetzt, niemand anderes kann das Gespräch von außen stören.

Köln: Täter setzten Opfer und seine Frau auf zwei Telefonleitungen gleichzeitig unter Druck

Und dennoch, in dem Moment, als der Arzt das teure Medikament ins Spiel brachte, sei bei ihm der Groschen gefallen, sagt Hauptmann. „An diesem Punkt ist mir das Licht aufgegangen, ich bin aus dem Schockmodus heraus und habe noch aus dem Auto die Polizei angerufen.“ Die wies ihn an, sofort nach Hause zurückzufahren.

Auch Hauptmanns Frau war bereits misstrauisch geworden und schickte ihrem Mann beunruhigende Nachrichten aufs Handy: Da stimme etwas nicht. „Ich vermute, die wollten mich aus dem Haus locken und dann bei meiner Frau Geld und Wertsachen abholen“, sagt Jürgen Hauptmann heute. Als er nach Hause kam, war die Polizei schon da und nahm die Anzeige auf.

Ob die Täter wussten, dass die Schwiegertochter der Hauptmanns tatsächlich wegen der bevorstehenden Geburt im Krankenhaus lag oder ob das schlicht Zufall war, bleibt unklar, denn die Betrüger wurden nicht gefasst. Fest steht: Ihre potenziellen Opfer suchen sich die Täter meistens über Telefonverzeichnisse im Internet – bevorzugt werden Personen mit altmodisch klingenden Vornamen.

Die Polizei empfiehlt, sich bei Anrufen dieser Art nicht unter Druck setzen zu lassen. „Beenden Sie die Gespräche und kontaktieren Sie persönlich die Person, die angeblich verletzt sein oder einen Unfall verursacht haben soll.“ Im Zweifel solle der Notruf 110 kontaktiert werden. Und das Wichtigste: „Übergeben Sie niemals Bargeld oder Wertgegenstände an Fremde.“

Uniklinik Köln warnt und gibt Tipps zum Schutz vor den Betrügern

Auch in der Kölner Uniklinik ist die Masche vom falschen Chefarzt bekannt. Sprecher Mirko Ristau betont: „Wir würden Nachrichten zu schweren Diagnosen grundsätzlich nicht am Telefon überbringen, sondern die Angehörigen – bei Einverständnis der Patienten – bitten, für ein persönliches Gespräch vorbeizukommen.“

In Ausnahmefällen würde man den Patienten bitten, das Gespräch zu initiieren, bevor ein Arzt oder eine Ärztin das Gespräch dann übernimmt. Auch fordere die Uniklinik Köln nicht per Telefon zur Zahlung von Behandlungen auf, „schon gar nicht in dieser Höhe und zur Übergabe in bar“, stellt Ristau klar und empfiehlt: „Falls Sie einen seltsamen Anruf von einem angeblichen Arzt der Uniklinik Köln erhalten, lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, fragen Sie nach dem Namen und der Station, legen Sie auf und rufen Sie dann in der Telefonzentrale der Uniklinik Köln unter 0221-478-0 oder in dem jeweiligen Fachbereich an und lassen sich verbinden.“

Für die Hauptmanns nahm der anfängliche Alptraum noch ein versöhnliches Ende: Tags darauf kam ihre Enkeltochter gesund zur Welt.