„Man muss besessen sein von seiner Idee“So kam der Circus Roncalli nach Köln

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Bernhard Paul Roncalli

Bernhard Paul in seiner Rolle als Clown Zippo.

Köln – „Ich bin einer von den Unkaputtbaren“, sagt Bernhard Paul, Gründungsdirektor des Zirkus Roncalli, der an diesem Freitag, 20.Mai, 75 Jahre alt wird. „Kreativität und Kunst kennen kein Alter. Picasso malte noch mit 90 Jahren und unser Schutzheiliger Charlie Chaplin machte noch mit weit über 80 Jahren Filme. Udo Lindenberg und der Rolling Stones Gitarrist Ron Wood sind so alt sind wie ich und auch noch schwer aktiv. Uns alle beflügelt halt dieser Rock’n’Roll des Lebens“, sagt der seit vielen Jahren in Köln ansässige Wiener, der den Tag mit seiner Frau Eliana und den drei Kindern Vivi, Adrian und Lili im Winterquartier in Mülheim verbringen wird.

Der Besuch im Rathaus – Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte Paul zu dessen Geburtstag eingeladen, auch, um über die Zukunft des Zirkusmuseums in Mülheim zu sprechen – ist aus Termingründen auf kommende Woche verschoben. Und am Abend geht’s dann auf den Neumarkt zur Vorstellung ins Zirkuszelt, das wie an so vielen Tagen ausverkauft sein wird. Die Kölner lieben „ihren“ Circus Roncalli, auch wenn sie auf Clown Zippo in der Manege verzichten müssen, „a bisserl“ ruhiger ist Unruhegeist Paul dann doch mittlerweile.

So kam der Circus Roncalli nach Köln

Aber wie sind Bernhard Paul und sein Circus Roncalli überhaupt nach Köln gekommen? „Bernhard Paul ist 30 Jahre alt – und sein gesamter Besitz passt in eine Reisetasche. Es ist ein feuchtkühler Frühlingstag, als er im April 1978 mit kleinem Gepäck in Köln eintrifft. Müde. Deprimiert. Abgebrannt. Der Mann in der abgewetzten Lederjacke hat einen schlechten Winter hinter sich.

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Seine Schulden in Österreich übersteigen die Millionengrenze, der Circus Roncalli ist verloren. Paul hat die komplette Anlage nach einer letzten zermürbenden Tournee in Wien vor dem Donauzentrum stehengelassen. Wagen, Chapiteau, Sitztribüne. Einer der Zirkuswagen ist inzwischen ausgebrannt, ein zweiter gestohlen. Über alles, was nicht niet- und nagelfest ist, haben sich die Wiener Schrebergärtner hergemacht, dem Rest droht die Zwangsversteigerung. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. „Nun also Köln!“ So hat es Petra Pluwatsch aufgeschrieben, früher Redakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“, für das Buch „Circus Roncalli – Geschichte einer Legende“. Das „poetische Theater“ war zuvor nicht zuletzt am Streit mit André Heller zerbrochen.

„Das ist ein richtiger Bruch in meiner Biographie“

Zwar hatte Roncalli 1976 höchst erfolgreich in Köln gastiert, aber Bernhard Paul weiß wenig von der Stadt am Rhein. Sein einziger Kontakt ist Landsmann Harry Owens, der beruflich Flohmärkte und historische Spektakel organisierte und viele Jahre später mit dem „Traumtheater Salomé“ reüssierte und in diesem Zusammenhang auch die heute am Gertrudenplätzchen sitzende Willy-Millowitsch-Bronze stiftete. Owens engagiert Bernhard Paul, der auf dem damals besetzten Stollwerck-Gelände in einem Campingwagen unterkommt und mit einem „Roncalli Panoptikum“, untergebracht in zwei Zirkuswagen, erste pekuniäre Erfolge feiert. Den Jazzmusiker Frank Köllges schickt Paul mit Musikstudenten in bunten Kostümen als „Das verrückte Circus-Orchester“ auf Partys und Firmenfeste. Regelmäßige Einkünfte, „das ist ein richtiger Bruch in meiner Biographie.“

Bernhard Paul weiß mittlerweile, dass manche gute Idee ohne bodenständige Zähigkeit und einen eisernen Wille zum Scheitern verurteilt ist: „Man muss besessen sein von seiner Idee, seinen Visionen, seinen Wünschen. Vor allem aber muss man lieben, was man tut.“ Dann kann man, wie einst die New York Times befand, den „schönsten Circus der Welt“ erfinden und bis heute erfolgreich führen. Die kreative Südstadt-Szene war das richtige Umfeld für ihn. Menschen wie Ingo Kümmel, Galerist und Enfant terrible der Kölner Kunstszene, der sein „Büro“ im „Schröders“ in der Alteburger Straße hatte, helfen mit ihren Kontakten. „Beim Böll muss man frühstücken“, weiß Paul schnell – gemeint ist Clemens Bölls „Chlodwigeck“, bei dem man Wolfgang Niedecken, Klaus den Geiger oder Jürgen Zeltinger trifft. Oder Kölns heimlichen Kulturchef, den damaligen SPD-Fraktionschef Günther Herterich. Man kennt sich, man hilft sich.

Der Traum von der Wiedergeburt des Circus Roncalli wird realer. Paul steckt jeden Pfennig in die Restaurierung von alten Zirkuswagen. Die junge Spanierin Maria Lucas schneidert fantasievolle Kostüme (was sie für Roncalli übrigens bis heute tut): Ein Schmetterlingskostüm mit Flügeln aus 5000 schillernd-blauen Pfauenfedern oder das Kostüm eines Weißclowns, bestickt mit tausenden von Pailletten, die im Scheinwerferlicht funkeln wie der Sternenhimmel über dem Mittelmeer. Erste Kontakte zu Artisten werden geknüpft. John Ak, der Froschkönig, steht vor dem Wohnwagen und will dabei sein. Oder Clown Pic, der Poet mit den Seifenblasen. Oder Fredi Codrelli, mit dem Paul selbst als Clown Zippo auftreten möchte.

Roncalli ist eine Erfolgsgeschichte aus Köln

„Die Reise zum Regenbogen“ bekommt eine zweite Chance 1980. Und Roncalli und sein Direktor Bernhard Paul nutzen sie. „Ein Circus-Theater wie Roncalli nimmt das Kleinkind wie die Urgroßmutter, den Arbeiter wie den Akademiker gleichermaßen mit auf die Reise in die Phantasie“, weiß Paul. Roncalli wird eine Augenweide mit allen den historischen Wagen, die sogar Blattgold tragen. Mit prachtvollen Logen wie aus der Mailänder Scala. Mit großartigen Clowns und Weltklasse-Artisten. In dieser poetischen Wunderwelt vereinen sich längst totgeglaubte wie längst noch nicht vom Zirkus anerkannte Künste und Künstler zu einer Zeitreise zwischen Gestern und Morgen. Vom „Erneuerer der Zirkuskunst“ schwärmte die „Zeit“. Das Publikum ist fassungslos, steht stundenlang Schlange, der Circus gastiert oft monatelang am selben Ort und ist zweimal am Tag ausverkauft.

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Bis heute eine Erfolgsgeschichte aus Köln, die ohne Bernhard Paul nicht denkbar wäre. Als er 1983 die Chance bekommt, das einst als Winterquartier des Circus Williams ausgewiesene Gelände am Neurather Weg in Mülheim zu erwerben, greift er zu. Rund 2,5 Millionen Mark soll er für die 11000 Quadratmeter damals an die Stadt Köln gezahlt haben. Seither wohnen er und sein Zirkus da. Die Straße wurde mittlerweile umbenannt in Circus-Roncalli-Weg. Und er träumt weiter vom eigenen Zirkusmuseum hier, dem „Boulevard of Broken Dreams“. Wie einst der Sohn eines Fabrikarbeiters im kleinen Wilhelmsburg in Niederösterreich vom Zirkus. Seine Träume haben ihn weit gebracht. Kaum vorstellbar, dass die „Reise zum Regenbogen“ schon vorbei ist.

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