Zwei Studentinnen bringen nierenkranke Kinder im Rahmen eines Pilotprojekts in Bewegung. In der Kinder-Dialyse der Uniklinik hofft man auf eine Fortsetzung des Bewegungsprogramms.
Sport in der Kölner Kinder-DialyseGoran jagt Dinos und vergisst die Schläuche an seinem Arm

Mit seinen Füßen steuert Dialysepatient Goran ein Computerspiel, Marleen Kerstin (Mitte) und Lene Stegelmann von der Sporthochschule feuern ihn an und achten auf die richtige Körperhaltung.
Copyright: Michael Bause
Goran jagt Dinos. Die dunklen Augen des Neunjährigen sind hochkonzentriert auf den Bildschirm vor ihm gerichtet. Seine Beine bewegen die Platte unter seinen Füßen gekonnt und in rasantem Tempo. „Komm, komm, komm! Spitze Goran!“, ruft Lene Stegelmann, die neben ihm auf dem Boden sitzt. Genauso wie Marleen Kerstin, die den Jungen regelmäßig erinnert: „Gerade sitzen, Goran!“
14 Dinos fängt der Neunjährige in diesem Durchgang mit dem bewegungsgesteuerten Computerspiel. Als es geschafft ist, lächelt er. Die blutgefüllten Schläuche an seinem linken Arm hat er kurz vergessen.
Dreimal pro Woche wird Gorans Blut vier Stunden lang aus seinem Körper geleitet und in einer Maschine gereinigt, bevor es wieder in seine Adern zurückfließt. Diese Prozedur ist nötig, weil die Nieren des Neunjährigen nicht mehr funktionieren. Goran kam im Irak zur Welt und litt dort als Baby an einer Infektion mit E.-Coli-Bakterien. Daraus entwickelte sich ein Hämolytisch-Urämisches Syndrom, eine sehr seltene Nebenwirkung einer solchen Infektion.
Kinder warten zwei bis vier Jahre auf eine Spenderniere
Vor anderthalb Jahren kam Gorans Familie nach Deutschland, damit der Junge medizinisch besser versorgt werden kann. Seitdem ist er Dialysepatient an der Kölner Uniklinik und muss auf eine Spenderniere hoffen. Die durchschnittliche Wartezeit von Kindern liegt bei zwei bis vier Jahren. Erwachsene müssen bis zu acht Jahre auf eine Spenderniere warten.

Goran jagt virtuelle Dinos.
Copyright: Michael Bause
Lene Stegelmann und Marleen Kerstin, in der Kinder-Dialyse der Uniklinik Köln gern „die Mädels“ genannt, sind Sportstudentinnen. Ihre Abschlussarbeiten im Masterstudiengang Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln haben sie zu den kleinen Dialysepatienten geführt. Stegelmann und Kerstin haben, unterstützt von den Spoho-Professoren Thomas Schmidt und Klara Brixius, ein Pilotprojekt mit einem Bewegungsprogramm für die Kinder-Dialyse entwickelt und durchgeführt. Es soll zeigen, dass die Kinder nicht zwangsläufig dreimal pro Woche während der Dialyse vier Stunden lang liegen oder sitzen müssen, sondern dass ihnen Bewegung ermöglicht werden – und sogar Spaß machen kann.
Die Elterninitiative Nephrokids hat sich ein Bewegungsprogramm für die Kinder-Dialyse gewünscht
Oliver Peer von der Elterninitiative Nephrokids war mit dem Wunsch nach einem solchen Programm an die Sporthochschule herangetreten. „Den Kindern geht durch die Dialyse an drei Nachmittagen ja sehr viel Freizeit verloren“, sagt er: „Und damit die Zeit für Sport.“ Aber was tun? Das Platzangebot ist sehr begrenzt zwischen all denn Betten und Maschinen in der Kinder-Dialyse. Und die Bewegungsfreiheit der jungen Patienten ist durch die Schläuche an ihren Armen eingeschränkt.
In der Literatur zum Thema hätten sie Bewegungsprojekte für Dialyse-Kinder mit Fahrradergometern gefunden, erzählen Stegelmann und Kerstin. Da sei die Drop-out-Quote aber immer sehr hoch gewesen. Die Kinder hatten schnell keine Lust mehr. Wer strampelt auch schon gern indoor? Noch dazu als Neunjähriger?
Es brauchte daher mehr als ein Fahrradergometer, um die Dialyse-Kids zu motivieren
Außerdem: „Dialyse ist anstrengend, das ist kein Wellnessprogramm“, sagt Kerstin. Es brauchte daher mehr als ein Fahrradergometer, um die Kids zu motivieren. Deshalb fiel die Wahl auf ein Bewegungsprogramm mit Gaming-Ansatz, genannt Exergaming. Die bayrische Firma Icaros, spezialisiert auf körperliche Bewegung verbunden mit Gamification, entwickelte den Studentinnen für ihr Projekt extra den Prototyp eines neuen Trainingsgeräts. Ende des Jahres soll der „Icaros Seated Trainer“ sogar auf den Markt kommen.
Dabei handelt es sich um eine Platte auf einer Art halbrundem Ball, an der ein I-Pad befestigt wird. Die Kinder bewegen die Kinder im Sitzen mit den Füßen diese Platte und spielen so ein auf einen größeren Bildschirm übertragenes Computerspiel. Dinos jagen zum Beispiel. Oder Kugeln an Hindernissen vorbei lenken. Oder ein Flugobjekt durch eine Schlucht steuern.
Dafür müssen die kleinen Patienten aus ihrem Bett auf einen Stuhl klettern, was mit all den Schläuchen ungewohnt und gar nicht so einfach ist. Dann müssen sie zusätzlich zur Beinbewegung auf eine aufrechte Haltung achten. Und wenn „die Mädels“ von der Spoho es ihnen besonders schwer machen wollen, bekommen sie noch ein Gummiband um die Knie, das ihnen mehr Muskeleinsatz abverlangt. Acht Wochen lang haben Stegelmann und Kerstin das Projekt in Köln und in der Kinder- und Jugenddialyse in Bonn durchgeführt und dabei allerlei Daten erhoben. Die Auswertung läuft aktuell.

Wünschen sich eine Fortführung des Bewegungsprojekts: Psychologin Luisa Klein, Oliver Peer von der Elterninitiative Nephrokids und Dialyseärztin Christina Taylan.
Copyright: Michael Bause
So viel verrät Thomas Schmidt vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Spoho aber schon: „Die ersten Erfahrungen waren sehr positiv. Es gibt viel Potenzial, sodass die Therapie auf jeden Fall fortgeführt und weiterentwickelt werden soll.“ In der Kinder-Dialyse der Kölner Uniklinik wäre man sehr glücklich darüber. Luisa Klein, Psychologin in der Kinder-Nephrologie, hat die Hilfe und den neuen Input von außen genossen: „Wir haben hier schon den Stempel, dass alles, was wir anbieten, langweilig ist.“ Da hätten die Sportstudentinnen eine ganz andere Wirkung auf die Kinder gehabt.
Dialyseärztin Christina Taylan sagt über das Projekt: „Unbedingt weitermachen!“ Aus medizinischer Sicht sei das „absolut super“. Es bekämen heute ja nicht nur chronisch kranke Kinder zu wenig Bewegung, bei ihnen könne der Bewegungsmangel zusätzlich zu den ohnehin gegebenen Problemen aber schnell gefährlich werden. Sie sei überrascht gewesen, wie viele Muskelgruppen durch das Exergaming-Programm angesprochen wurden und hoffe, dass das die Kinder motiviert hat, sich auch zu Hause mehr zu bewegen.

Julia hat das Bewegungsprogramm mit Lene Stegelmann (r.) und Marleen Kerstin zu schätzen gelernt.
Copyright: Michael Bause
„Durch das Bewegungsprogramm bei der Dialyse haben die Kinder erfahren, dass sie etwas leisten können“, sagt Taylan. In ihrem Schulalltag seien sie meistens die Kleinen, Langsamen, da eine schwere Nierenerkrankung bei Kindern immer mit einem Wachstumsdefizit einhergehe. Bei Dialysepatientin Julia etwa kommt noch hinzu, dass sie im Rollstuhl sitzt. Sie kam mit einem offenen Rücken zur Welt, ihre unteren Extremitäten sind kaum mit Nerven versorgt und ihre Niere versagte nach und nach. Seit knapp drei Jahren ist die 18-Jährige nun Dialysepatientin und wartet auf ein Spenderorgan.
Am Bewegungsprogramm der Sportstudentinnen wollte sie zunächst nicht teilnehmen. Aber irgendwann traute sie sich doch. Sie ließ sich von „den Mädels“ aus dem Bett in den Stuhl helfen. Jagte Dinos und steuerte Raumschiffe. Sie kann auf ihren Beinen nicht stehen, aber das geht. „Das ist schon anstrengend“, sagt Julia: „Aber man gewöhnt sich dran.“