Aufs Land ziehen ist keine Lösung„Köln bietet so viel – es hinter mir lassen? Niemals!“

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Auf einer Herz-Ass-Karte sind der Dom und ein Baum abgebildet.

Aufs Land ziehen wegen der Wohnungsknappheit in Köln ist keine Lösung.

Rausziehen aus Köln kommt für die Autorin nicht in Frage. Fürs Bleiben sprechen nicht nur Familienfreundlichkeit und Umweltschutz, sondern auch die große Freiheit der vielen kurzen Wege.

Die Bundesbauministerin Klara Geywitz riet angesichts der Wohnungsnot in der Stadt unlängst dazu, aufs Land zu ziehen. Claudia Lehnen schreibt hier ein Plädoyer für das Bleiben in Köln. Kollege Hendrik Geisler ist dagegen schon dabei, seine Sachen zu packen und ins Grüne zu ziehen.

Als ich 16 Jahre alt war, verliebte ich mich in einen sehr schönen Jungen, der in einem anderen Dorf wohnte als ich. Die Distanz betrug fünfzehn Kilometer. Lächerliche Strecke, ich weiß. Aber damals habe ich lange überlegt, ob es die Sache wert wäre, mit dem Rad bis zu ihm zu fahren und wieder zurück. Waldstücke, abgelegene Feldwege, mahnende Worte der Eltern. Öffentlicher Nahverkehr war keine Alternative. Außer dem Schulbus fuhr da nichts.

Das Thema Distanzen-Überwinden war in meiner Jugend ein sehr beschwerliches. Ständig ging es darum: Wie kommen wir dahin? Wie zurück? Wer kann uns fahren? Am Ende abholen? Wer schon einmal mit 16 Jahren als Einzige von seinem Vater um Punkt Mitternacht an einem angesagten Club in der Großstadt abgeholt wurde, weiß: Es ist ein entwürdigendes Gefühl.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Köln bietet dagegen: Kurze Wege und ein Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln. Es entfacht in mir noch heute ein großes Freiheitsgefühl zu wissen: Ich kann jederzeit vom Dom nach Raderthal gondeln. Ganz Köln lädt mich ein, jede seiner Ecken zu besuchen. Denn ein Blick auf das Bus- und Bahnnetz zeigt: Irgendeine Verbindung gibt es immer. Und vielleicht ist Heimat ja auch einfach das: Sehr viele, sehr kurze Verbindungen zwischen sehr vielen, sehr unterschiedlichen Menschen, die sich ineinander verflechten zu einem weichen Teppich. Schon Kinder wachsen hier damit auf, diese Stadt jederzeit selbstständig erobern zu können. Sie dann einfach verlassen? Niemals.

Wohnen in der Stadt ist die umweltfreundlichere Alternative

Dazu ist Wohnen in der Stadt die umweltfreundlichere Alternative. Eigene Autos sind verzichtbar und auch in puncto Bodenversiegelung sind die 80-Quadratmeter-zweiter-Stock in Ehrenfeld dem 200-Quadratmeter-Haus in Immekeppel vorzuziehen. Wenn wir alle aufs Land ziehen, dann fällt uns am Ende übrigens wahrscheinlich auf, dass wir dort mehr Arbeitsplätze brauchen, mehr Industrie, mehr Straßen. Und wenn wir dann das Bergische schön dicht zugebaut haben und die Mieten auch dort ins Unbezahlbare steigen, ziehen unsere Kinder ins Grüne ins Sauerland und machen da weiter mit dem Beton-auf-Wiesen-Kippen.

Ja, die Mieten in Köln sind für viele unerschwinglich. Jetzt aber alle, die es sich halt nicht mehr leisten können, aufs Land ziehen zu lassen, ist keine Lösung. Schon gar nicht für Familien. Der Spagat zwischen Beruf und Kinderbetreuung wird bei einem zusätzlichen Pendelweg zu einem Ding der Unmöglichkeit. Mehr Sozialwohnungen müssen her. Städtebaulich kreative Lösungen wie Baulücken mit Tiny-Houses schließen, schnelle Häuser aus Holzmodulen montieren, Zusatzetagen auf bestehende Wohnblockriegel setzen.

Sparsamkeit im Lebensstil wäre eine wirksame Maßnahme

Und vielleicht wäre auch Sparsamkeit im Lebensstil eine Maßnahme. 46,5 Quadratmeter Wohnraum hat jeder Deutsche im Schnitt zur Verfügung. In den 80er Jahren kamen wir noch mit einem Drittel weniger Fläche aus. Immer mehr Platz für jeden von uns? Vielleicht brauchen wir das gar nicht. Vielleicht stände uns Zusammenrücken und damit verbundenes Üben im Sozialverhalten ganz gut zu Gesicht. Wer in der Südstadt zu viert in einer Drei-Zimmer-Wohnung wohnt, den schrecken auch die Quadratmeterpreise etwas weniger.

Ich hab mich damals übrigens für die Strampelei entschieden. Es war ein sehr netter Junge. Zurück kutschierte mich – weil es spät wurde – dann allerdings dessen Vater mit dem Auto. Das Rad im Kofferraum. Was mir bis heute sehr peinlich ist.

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