Kölner in Sorge„Ukraine-Krieg lenkt von anderen dringlichen Problemen ab“

Charalambos Ganotis
Copyright: Susanne Hengesbach
- Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?
- Dieser Frage geht Susanne Hengesbach regelmäßig nach. Heute spricht sie mit einem in Köln lebenden Griechen.
- Charalambos Ganotis über die Einschränkungen durch Corona und neue Möglichkeiten des Zusammenlebens.
Köln – Zwei Jahre ist es her, seitdem ich zum letzten Mal am Eigelstein das nette Cáfe „Jlöcklich“ aufgesucht habe, wo ich auf den Architekten Wilfried Euskirchen gestoßen bin, der den heruntergekommenen Zustand der Hohe Straße beklagte. Heute treffe ich direkt an der Eigelsteintorburg auf Charalambos Ganotis. Er fällt mir als erstes durch seinen ungewöhnlichen Hut und als zweites durch sein freundliches Lächeln auf. Der 55-Jährige stammt aus dem nordgriechischen Katerini und kam bereits als Kleinkind mit seinen Eltern nach Deutschland. Ursprünglich hatte die Familie geplant, irgendwann wieder in die Heimat zurückzukehren. Aber daraus wurde nichts, sie blieben in Hamburg.
Nach Nordrhein-Westfalen habe es ihn erst vor sieben Jahren verschlagen, als er „in einer Phase des Umbruchs“ steckte und sich auch beruflich neu orientierte. Zuvor sei er überwiegend als Künstler unterwegs gewesen, habe als Musiker viel im Bereich alternative Musik und Performance gemacht und nebenher als Übersetzer gearbeitet. Heute ist er für eine Gewerkschaft tätig und vertritt – wie ich erfahre – auch meine Interessen bzw. die meiner Kollegen.
Schleichende Gentrifizierung am Eigelstein
Er habe zunächst im Belgischen Viertel gewohnt und sei dann ins Kunibertsviertel gezogen und beobachte nun „die schleichende Gentrifizierung am Eigelstein mit dem hinteren, vielleicht noch immer als etwas anrüchig geltenden Teil, wo man auf Sexarbeiterinnen stoße und den neu errichteten Boardinghouses und noblen Gästeunterkünften.“
Er müsse allerdings zugeben, dass er nach wie vor „noch nicht so recht angekommen“ oder Teil des Kölner Stadtlebens geworden sei. Das klingt ein bisschen so, als würde das hier nicht Ihre Stadt?“, stelle ich fest. Ganotis lächelt, und auf einmal sind wir mitten in einem langen Gespräch über die Auswirkungen und Folgen von Corona sowie über andere einschneidende Ereignisse, die gerade unser aller Leben beeinflussen.
Die Pandemie sei in vielerlei Hinsicht ein Verstärker gewesen; „ein Verstärker von Zuständen, aber auch von Entscheidungen, wie wir leben möchten“. Corona habe viele Menschen in die Isolation getrieben; auch er habe die Zeit als schwierig empfunden, „obwohl ich zu den glücklichen gehörte, die von zuhause aus arbeiten konnten“. Dennoch sei das soziale Leben ja total eingeschränkt gewesen, „und die Isolation fand ja auch im Geiste statt“.
Neuer Blick auf die Möglichkeiten unseres Zusammenlebens
„Glauben Sie, dass sich dieses Gefühl des Isoliertseins wieder ganz aufheben wird?“ – Er hoffe, dass uns die Pandemie „einen neuen Blick auf die Möglichkeiten unseres Zusammenlebens“ eröffnet habe, entgegnet Ganotis. Ich frage, an welche Möglichkeiten er denke, und er sagt: „Dass Geld noch immer das Bestimmende ist, woran wir gemessen werden, das ist doch krank!“ Wichtiger als sich auf materielle Anhäufungen zu fokussieren, ist es in seinen Augen, „mein Leben so zu gestalten, dass es mich erfüllt. Mich mit Dingen zu beschäftigen, die mir Freude geben.“
„Was könnte das sein?“, frage ich. Zeit mit Freunden verbringen, Lesen, sich bilden, in der Natur sein. Und immer weiter lernen. Das ist so entscheidend fürs Leben!“ Der 55-Jährige bedauert es sehr, dass „erst ein Krieg in Europa kommen musste, um Interessenlagen zu verändern und in manchen Dingen auch ein radikales Umdenken zu bewirken – wie etwa im Zusammenhang mit dem Thema erneuerbare Energien.
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Auf der anderen Seite lenke der Krieg in der Ukraine aber auch den Blick von anderen dringlichen Problemen ab. Zum Beispiel davon, dass außerhalb ukrainischen Kriegsgebiets ebenfalls Menschen umgebracht werden. Anders könne man das sogenannte „pushback“, das hundertfach von den Küstenwachen praktizierte Zurückschicken von Flüchtlingen an südeuropäischen Küsten doch kaum nennen. Der Fokus müsse im Moment eigentlich ganz woanders liegen, meint mein Gegenüber. „Es geht um den Zustand unseres Planten und der ganzen Welt. Es geht um das Überleben der gesamten Menschheit. Aber das interessiert einige mächtige Männer nicht.“