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„Schock für alle“Totenschädel eines australischen Ureinwohners an der Uni Köln gestohlen

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Yarra Dryden / Dja Dja Wurrung Community / Victoria, Ray Ahmat / Dja Dja Wurrung Community / Victoria, David Doble / A/g Assistant Secretary First Nations Policy and Regional Arts Branch. Repatriierung Schädel, Delegation Australien, Foto: Jana Bauch

Zeremonie an der Medizinischen Fakultät der Uni Köln: Zwei Schädel wurden an Vertreter der indigenen Community Australiens zurückgegeben. Ein Schädel wurde zuvor gestohlen.

Bei einer Zeremonie übergab die Uni Köln zwei Schädel an Vertreter der indigenen Community. Der dritte fehlte. Die Kölner Polizei ermittelt.

Es sollte ein Anlass zur Freude, eine Zeremonie in Würde sein. Doch die Übergabe dreier Schädel von indigenen Australiern an staatliche Repräsentanten Australiens und Nachfahren einer indigenen Community an der Medizinischen Fakultät der Uni Köln wurde am Donnerstag von einem Diebstahl überschattet. Einer der drei Schädel wurde aus dem Anatomie-Institut an der Joseph-Stelzmann-Straße entwendet und durch einen Gips-Schädel ersetzt. Die Vertreter können also nur zwei der drei versprochenen Schädel in ihre Heimat bringen.

Das teilte die Uni Köln mit. Sie hat das Verschwinden bei der Kölner Polizei angezeigt. Die Ermittlungen laufen, das bestätigte eine Polizeisprecherin auf Anfrage. Einen ähnlichen Fall habe es in den vergangenen Jahren nicht gegeben. Zu einem möglichen Motiv könne man noch nichts sagen, so die Sprecherin. Erkenntnisse über einen Schwarzmarkt habe die Polizei nicht; doch eine Recherche des ARD-Politikmagazins Panorama aus dem Jahr 2024 zeigt: Mit Überresten, die mutmaßlich dem Kolonialkontext entstammen, lässt sich Geld machen. Händler verlangen mitunter Tausende Euro für Schädel.

Schädel an der Uni Köln im Institut für Anatomie verpackt

Aufgefallen war der Diebstahl am Mittwoch. Seit dem 10. Oktober lagerten die verpackten Schädel, bereit zur Rückführung, im sogenannten Präparatorenlabor des Anatomie-Instituts. Insgesamt arbeiten 71 Menschen am und in direkter Nähe zum Zentrum Anatomie. 59 Personen haben einen sogenannten Transponder für die Labortür, neun davon aus dem Institut, teilt Uni-Sprecherin Elisabeth Hoffmann dieser Zeitung mit. Eine Videoüberwachung gebe es nicht. „Wir können nur sagen, dass der Raum verschlossen ist. Wie wir ihn künftig besser sichern können, werden wir mit der Polizei beraten.“

Das ganze Institut habe sich dafür eingesetzt, dass die Schädel zu ihrem Ursprung zurückkehren, so Hoffmann. Dazu beauftragte die Uni Köln eine externe Spedition, um die Schädel angemessen zu verpacken. Sie seien am besagten 10. Oktober in Anwesenheit des zuständigen Anatoms genau vermessen, fotografiert und schließlich in einer extra angefertigten Schatulle eingeschlossen worden.

Die Uni Köln habe die gesamte Prozedur auf Bildern dokumentiert: Auch wo die verpackten Schädel im Raum platziert waren, sollen Fotos zeigen. Diese Bilder möchte die Uni Köln jedoch aus Respekt vor den Angehörigen nicht veröffentlichen, so die Uni-Sprecherin. Am Mittwoch dann die böse Überraschung: Als alles nochmal auf Richtigkeit überprüft wurde, fiel auf, dass es sich in einer Schatulle um einen Gips-Nachbildung handelte. Die Nachbildung stammt aus dem Bestand des Anatomie-Zentrums, wie Hoffmann bestätigt. 

Bei der Zeremonie dabei war Natsha Smith, Botschafterin Australiens in Deutschland, Beatrix Busse, Prorektorin für Lehre und Studium, Ray Ahmat, Dja Dja Wurrung Community, Victoria, Yarra Dryden, Dja Dja Wurrung Community Victoria,

Bei der Zeremonie dabei: Natasha Smith (von links), Botschafterin Australiens in Deutschland, Beatrix Busse, Prorektorin für Lehre und Studium, Ray Ahmat und Yarra Dryden, Dja Dja Wurrung Community, Victoria

„Das war für alle Beteiligten ein Schock“, sagt Hoffmann. Die am Mittwoch angereisten Vertreter der indigenen Community haben laut Hoffmann „gefasst“ reagiert und die Entschuldigung von Prorektorin Beatrix Busse angenommen. Ein Bild über ihren Gemütszustand konnte sich der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht selbst machen, diese auch nicht dazu befragen. Denn die Uni Köln sagte dieser Zeitung Mittwochvormittag kurzfristig ab und begründete den Schritt damit, dass man das Thema Rückführung von Überresten nochmal im Rahmen einer eigenen Veranstaltung thematisieren wolle. Mehrere Stunden später teilte die Pressestelle schließlich mit, dass ein Kopf verschwunden sei.

Die drei Schädel hatte die Uni Köln 1955 von einem Händler erworben, um ihre im Zweiten Weltkrieg zerstörte anatomische Sammlung wieder aufzubauen. Insgesamt befanden sich bis Dienstag noch 18 Präparate im Besitz des Anatomie-Instituts, jetzt sind es noch 15. Sie stammen aus unterschiedlichen Kontinenten. Unter welchen Umständen sie in den Besitz der Händler und nach Europa kamen, könne man nach Angaben der Uni Köln nicht mehr nachvollziehen.

Nach Erwerb dienten sie im Unterricht der Anschauung. „Sie sind nie beforscht worden und werden seit 2021 ausschließlich zur Provenienzforschung genutzt.“ Der Prozess der sogenannten Repatriierung dauert oft Jahre. Die Uni Köln hat ihre Sammlung 2021 bei der deutschlandweit zuständigen und von den Ländern finanzierten „Kontaktstelle für Kulturgüter und menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten“ sowie den zuständigen Stellen in Australien und anderen Ländern angemeldet. Bevor die Überreste zurückkommen, müssen die Nachfahren aus derselben indigenen Community ermittelt werden. Nicht immer sei das möglich.

Kritische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in Museen und Unis

„Da steckt viel sorgsame Recherche dahinter, sowohl von der australischen Seite als auch von der Uni“, so Hoffmann. Dass Museen und Universitäten ihre Sammlungen menschlicher Überreste kritisch durchleuchten, ist ein relativ neues Phänomen. Vorangegangen war eine Debatte über die europäischen Kolonialverbrechen, im Zuge derer vor allem vom 17. bis 19. Jahrhundert nicht nur menschliche Überreste, sondern auch Objekte nach Europa gebracht wurden. Diese werden heute noch in zahlreichen deutschen Museen und Universitätssammlungen ausgestellt und gelagert.

Der Deutsche Museumsbund entwickelte 2013 erstmals einen Leitfaden zum Umgang mit menschlichen Überresten. Später legten Bund und Länder verstärkt Förderprogramme auf und Hochschulen richteten immer öfter Provenienzstellen ein oder haben einen Kolonialismusbeauftragten.

Seit 2020 ist die Provenienzforschung, die sich mit Herkunfts- und Besitzgeschichte befasst, an vielen wissenschaftlichen Einrichtungen etabliert und fester Bestandteil der Museums-, Ethnologie- und Medizingeschichte-Institute. Die Kooperationen mit den Herkunftsgesellschaften werden gepflegt und weiter ausgebaut. Eine Umfrage der Kontaktstelle ergab im Jahr 2023, dass sich in 31 deutschen Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen noch circa 17.000 menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten befinden. Die Mehrheit davon stammt aus Ozeanien (2800) und Afrika (2300). Bei rund 2500 Überresten ist die Herkunft unklar.

Die Rolle der Händler war lange entscheidend. Viele Sammlungen wären ohne sie kleiner. Sie fungierten als Mittler zwischen Kolonialbeamten und wissenschaftlichen Einrichtungen, standardisierten Preise und Lieferwege und hatten nicht selten ganze Serien, hunderte Schädel auf einmal, im Angebot. Man kann sie rückblickend als Kommerzialisierer kolonialer Gewalt sehen: Denn menschliche Überreste wurden vor allem im 19. Jahrhundert im Zuge militärischer Gewalt und Plünderungen nach Massakern entwendet. Zudem grassierte im Wissenschaftsbetrieb der Rassismus. Schädel wurden vermessen, um Rassenhierarchien zu konstruieren. Weiße Europäer verstanden sich in dieser Weltanschauung als Spitze der Zivilisation, während sie nicht-europäische Gesellschaften als primitiv bezeichneten.

Experte aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum: Rückgabe als Teil einer Heilung

Auch im Rautenstrauch-Joest-Museum spielt die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit seit Jahren eine zentrale Rolle in der kuratorischen Arbeit. Oliver Lueb, Leiter der wissenschaftlichen Sammlungen und wissenschaftlicher Referent Ozeanien, sagt: „Die Restitution ist für indigene und diasporische Communitys sehr wichtig, weil damit die Auswirkungen der Gewalt der kolonialen Expansion Europas in Ansätzen geheilt werden kann. Durch die Rückführung wird ein Unrecht anerkannt. Es ist ein erster Schritt in der Aufarbeitung der Kolonialzeit und zeigt den Wunsch, auf eine gleichwertige Beziehungsebene zu kommen“, so der Kurator. Die menschlichen Überreste seien Teil ihrer kulturellen Identität. „Auch bei uns wäre es doch so: Wenn ich wüsste, dass mein Großvater aus dem Grab gestohlen worden wäre, wäre es für seine Totenruhe und mein Seelenheil wichtig, wenn dessen Überreste zurückgebracht werden.“

Lueb hatte 2018 im RJM die Rückgabe eines Totenschädels an eine Maori-Community Neuseelands begleitet. „Ich habe hier erlebt, dass mit der Zeremonie der Urahne wieder angesprochen wurde. Die Nachfahren traten wieder in Kontakt mit ihm. Vorher war der Ahne ein Sammlungsobjekt in einer Forschungseinrichtung, durch die Rückgabe wurde er wieder zum Menschen. Es geht hier um Respekt und Heilung, um das Recht auf eine würdevolle Behandlung.“