Videodreh in Köln„Leute waren froh, dass es mal wieder nach Club-Toilette riecht“

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Die Band Fortuna Ehrenfeld

  • Wir haben mit Fortuna Ehrenfeld-Sänger Martin Bechler über die neue Single, den Videodreh in Corona-Zeiten und die Gründung eines eigenen Labels gesprochen.

Köln – Gerade ist mit „Das Imperium rudert zurück“ bereits die zweite Fortuna Ehrenfeld-Single in kurzer Zeit erschienen. Das neue Album „Die Rückkehr zur Normalität“ wird aber erst am 28. Mai veröffentlicht. Wie kommt’s?  Bis dahin werden wir noch zwei weitere Singles herausbringen. Das muss man so machen, weil Spotify sonst nicht mitspielt. Das ist krass, wie die den Markt formen, weil man sonst nicht auf deren Playlists kommt. Und ohne die kommst du nicht voran, deswegen halten sich alle an diese Taktung. Früher war das umgekehrt. Da kam erst das Album, das hat man dann durch Single-VÖs befeuert.

Wolfgang Niedecken hat mir neulich im Interview gesagt, ein Album zu machen sei im guten Sinne Old School.

Der Markt war immer im Wandel. Nimm das Ruhrgebiet, was da für ein strukturelle Wandel stattgefunden hat. Immer wenn solche tektonischen Verschiebungen stattfinden, überleben das die Smarten. Es macht keinen Sinn, sich hinzusetzten und zu sagen: Früher war alles besser. Früher nicht alles besser. Im Gegenteil: der Monopolismus war viel schlimmer. Da gab es die großen Plattenfirmen und fünf Radiostationen. Die haben das bestimmt. Insofern haben wir heute eigentlich eine größere Freiheit. Es gilt, sich dieser Herausforderung zu stellen. Für mich ist das ein Gedankenspiel. Ein Gedankenspiel, das Spaß macht. Wie bedient man diese neuen Medien? Die bekommst du ja nicht mehr weg.

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Die Leute, die heute mp.3 verteufeln, die sind früher mit dem Walkman rumgelaufen. Der hat geeiert und nach ‘ner halben Stunde, wenn die Batterie leer war, nur noch uuuuollppp gemacht, es hat gerauscht wie Sau. Also beschissener hat in der Musikgeschichte noch nie was geklungen als ein Walkman. Und die Leute, die damals damit auf dem Skateboard durch die Stadt gefahren sind und „Verdamp lang her“ gegrölt haben, die sagen heute: „Mp.3 klingt aber Scheiße.“ Das ist doch Quatsch. Wir müssen uns der Aufgabe stellen. Wir sind ja nicht nur Künstler, sondern auch Unternehmer.

Deshalb hast Du jetzt ein eigenes Label gegründet.

Genau. Ohne Corona wäre ich auf diese Idee nicht gekommen. Corona hat –und das gilt für alle Branchen – vieles oder gar alles durcheinander geworfen. Als uns klar wurde, dass das länger dauert, stand am Ende die Erkenntnis, dass es für die Zukunft sinnvoll ist, auf kürzesten Dienstwegen sehr schnelle und sehr flexible Entscheidungen treffen zu können. Ohne durch einen großen Verteiler zu müssen. Der positive Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war Rainald Grebe. Ich habe dessen letztes Album produziert, wir kennen uns schon lange. Als der von unserer Idee Wind bekam, hat er direkt gesagt: Habt ihr nicht Lust, meine Platte mit zu machen? Mit der Katalognummer 000 so einen tollen und renommierten Kollegen zu veröffentlichen, hat mir dann den letzten Kick gegeben. Wir haben es gemacht. Und fortan sah ich die Sonne nicht mehr (lacht).

Heißt…?

Arbeit ohne Ende. Überleg mal, das ist ein Start-Up in Zeiten von Corona. Das heißt A) Alle Meetings unter Corona-Bedingungen; B) Du musst gegen einen Markt im Tiefschlaf arbeiten. Eine sehr, sehr schöne Aufgabe, aber da sind zwei graue Haare dazu gekommen.

Gibt es weitere Künstler?

Nein, das Label „Tonproduktion Records“ ist erstmal eine seriöse Hülle, um Fortuna Ehrenfeld zu beherbergen. Das mit Grebe war ein zufälliger Glücksfall. Ich habe derzeit weder Zeit noch Muße, mich auf die Suche nach großen kölschen Talenten zu machen. Die nächte Katalognummer ist unser Kinderbuch „Nach Diktat verreist“, in dem Helen Karl zu Textfragmenten aus meinen Songs wunderbare Bilder gezeichnet hat.

Wie kommt es, dass du ein Kinderbuch gemacht hast?

Wir haben extrem viele hochattraktive, junge Eltern auf den Fortuna-Konzerten. Das sind oft Studenten, die Twenty- und Thirty-Somethings. Und wenn es die Uhrzeit erlaubt, kommen sehr viele Kinder mit auf die Konzerte. Die sind ein ganz tolles Publikum. Man sagt immer, meine Texte wären so schräg: Das stimmt ja gar nicht. Und wo sich manch Erwachsener schwertut mit „Glitzerschweinen“ oder „Pizzablitzen“, die durch meine Lieder rauschen, haben die Kids da kein Problem. Die quieken vor Glück. Wir wissen, dass wir ein großes Kinderpublikum haben, und die waren jetzt mal dran.

Das neue Video „Das Imperium rudert zurück“ würde ich mal so interpretieren: Es ist Licht am Ende des Tunnels.

Der Song ist ein antizipierter Schrei, diese ganze Corona-Kacke endlich über den Sommer loszuwerden. Im besten Falle spekulieren wir damit auf Right Place, Right Time, dass wir vielleicht im Sommer ein bisschen mehr dürfen: endlich wieder Arschbombe vom Zehner.

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Im Text heißt es: „Buon Giorno, wildes Leben / ich halt das nicht mehr aus / im Kopf so viele Ideen,/ und die müssen halt jetzt raus./ Der Wille der Natur ist Disco, Disco,/ der Wille der Natur ist sanft und klar,/ Lüneburger Heide, San Francisco/ Shake your Booty, Booty,/ Shake your Booty down.“ Musikalisch geht die Post ab.

Buon Giorno gilt bei meinen Punker-Freunden auf St. Pauli so ein bisschen als der Bohème-Guten-Morgen-Gruß, wenn man sich um halb drei nachmittags zum ersten Prosecco im Straßencafé trifft. „Buon Giorno, wildes Leben“ ist die Aufforderung, in ein achtsames, wildes Leben zu schlittern.

Wenn man das Video sieht, spürt man deutlich die Lust auf Party.

Ich kann dir sagen, wir sind da ja alle dicht aufeinander. Natürlich waren alle getestet. Niemand musste Regie führen, weil die Leute, die mitgemacht haben, froh waren, dass es mal wieder nach abgestandener Club-Toilette riecht. Das sieht man denen an. Lichterflackern, Schweißgeruch, Nebel, die Situation ist aus sich heraus eskaliert. Endlich mal wieder Tanzen, da war eine Stimmung im Raum, da hatten alle Pipi in den Augen. Da sieht man, was uns so dramatisch fehlt. Der Song soll schon mal die Landebahn ebnen für wenn wir wieder dürfen.

Wo habt ihr gedreht?

Im Gebäude 9. Vielen Dank an die Leute dort, die haben uns das quasi geschenkt. Sie waren so froh, dass endlich mal wieder was brennt. Die werden die Pandemie Gott sei Dank überstehen, aber die schieben da ja auch gerade die Kisten von links nach rechts und warten auf den Weihnachtsmann. Alle waren sehr erleichtert, dass es mal wieder gescheppert hat.

Das Video hört bezeichnenderweise mit einem glücklichen Lachen auf.

Die berühmte Lache von Jenny Thiele. Gut, bis es soweit ist mit der nächsten Party, müssen die Leute das halt vom Balkon schreien. Aber wir wollten da schon mal vorgreifen – das Ende ist in Sicht.

Worum geht es bei „Panamoralische Liebe“?

Das ist eigentlich selbsterklärend. Wir haben im Moment sehr viele Leute an der Straßenecke stehen, die sich immer nur beschweren, die hinter allem einen Verrat vermuten und die vor allem immer jemand anders für die momentane Situation verantwortlich machen und darauf warten, dass jemand anders irgendwelche Maßnahmen ergreift. Der liebe Gott? Die Regierung? Der heilige Bimm-Bamm? So eine Krise ist, und da werde ich bewusst romantisch, ein Appell an unsere Kreativität, aber auch an unsere Liebe und Fürsorge füreinander. Nur gemeinsam kommst du aus so einer Scheiße raus. Der Song skizziert die ewigen Beschwerdeführer, die uns gerade keinen Millimeter weiter helfen, eher im Gegenteil. Und wir wollten eine Armee der guten Laune dagegen setzen, ein Ministerium für Ausrasten und Achtsamkeit. Weil nur mit Positivismus können wir hier irgendwas bewegen. Wenn ich mich dazustelle und alles Kacke finde, kommen wir keinen Millimeter weiter. Diese Beschwerde-, Jammer- und Forderungskultur einer Institution gegenüber, die es nicht gibt – niemand außer dir selber kann dich schützen vor diesem Virus –, die geht mir auf den Sack.

Vor fast genau einem Jahr haben wir schon einmal gesprochen. Auch über eine Frankreich-Tour und andere Pläne.

Meine Meinung hat sich nicht einen Millimeter geändert seitdem. Sie ist noch positiver geworden. Deswegen haben wir auch immer weiter gearbeitet. Geduld, Geduld. Für Frankreich gibt es die Option, mit einem in Frankreich sehr bekannten Künstler als Vorgruppe auf Tour zu gehen. Dann wären wir aus dem Risiko und haben Publikum. Dann wollen wir doch mal sehen. Da wird sicherlich die eine oder andere Tomate fliegen, aber genau das wollen wir.

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