Vom Glauben geprägte WerkeSo schuf Prager Künstler Čestmír Janošek im Kölner Exil

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„Licht“, 1976

„Licht“, 1976

Köln/Prag – Es war an einem Wintertag um das Jahr 1960. Čestmír Janošek, Student der Kunstakademie, fuhr in einer kalten Straßenbahn durch Prag. Da wurde er auf die Eisblumen am Fenster aufmerksam und staunte über ihre Schönheit. Wäre es möglich, sie auf Bildern festzuhalten? Zuhause experimentierte er herum. Bald hatte er ein Verfahren gefunden, mit dem sich die Gebilde auf Papier fixieren ließen. „Nachdem ich die Technologie entwickelt hatte, fing ich bald an, die Eisstrukturen in verschiedenster Art zu beeinflussen“, notierte er später. „Da sah ich, dass ich mich in dieser Technik ähnlich äußern konnte wie zum Beispiel in der traditionellen Malerei; nur in einer neuen Bildsprache.“

Im Laufe seines Lebens schuf Janošek unzählige „Givragen“. So nannte er die Bilder nach dem französischen Wort für „Vereisungen“, Bilder, deren Strukturen er malend überarbeitete. Der einzige Mensch, den er in das Verfahren einweihte, ist seine Frau Irmgard Kaiser-Janošek. Das war kurz vor seinem Tod im Dezember 2019.

Groß wie ein Baum

Im Nachruf der Kirchenzeitung des Erzbistums wird er beschrieben als ein „Mann, der groß wie ein Baum war, einen dichten Vollbart trug und dessen Augen eine große Güte ausstrahlten“. 1935 wurde er in Prag geboren. Seine Mutter war Sudetendeutsche, der Vater stammte aus Mähren. Als der Krieg begann, zog die Familie in das Dorf Hořesedly. Dort hatten die Eltern der Mutter einen Bauernhof, den nun der Vater führte. Nebenher beschäftigte er sich mit Astrologie, und er malte gern – so wie auch sein Sohn, der eine deutsche Schule besuchte. Als 1945 die Kommunisten an die Macht kamen, wurde die Familie enteignet. Die Eltern zogen mit ihrem Kind zurück nach Prag. Die Mutter wurde Referentin in einem Ministerium, der Vater Kranführer in einer Fabrik.

Givrage (Eiskristallbild), 1971

Givrage (Eiskristallbild), 1971

Nach dem Besuch der Höheren Schule für Kunstgewerbe bewarb Janošek sich bei der Akademie der Bildenden Künste – mit Erfolg. Sechs Jahre dauerte das Studium, bis 1962. Der sozialistischen Ideologie entsprechend war der Realismus oberste Doktrin; abstrakte Kunst galt als kapitalistisch. Janošek wandte sich ihr trotzdem zu. Zu Hause arbeitete er mit Strukturen, verwendete dabei unter anderem Ruß- und eben Eiskristalle.

Neugier auf die verpönte Kunst

Auch die Kommilitonen waren neugierig auf die verpönte Kunst. „Wir waren besser informiert als ihr hier im Westen“, sagte Janošek dem Journalisten Jürgen Schön im Kölner Exil. „Wir wollten zeitgenössische Künstler sein, nicht westliche, nicht sozialistisch-realistische“. Zwar schätzte Janošek manche Professoren, doch er zog das Fazit: „Ich habe auf der Akademie nichts gelernt. Ich war die Ausnahme und hasste Kollektiv-Malen. Ich war immer zu Hause oder in der Natur.“

Nachrufe

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder ksta-koeln@dumont.de.

Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Doch auch andere junge Künstler wichen von der Norm ab; rund zehn schlossen sich locker zu einer Gruppe zusammen. Mit ihren Arbeiten wagten sie sich 1965 in der Ausstellung „D“ an die Öffentlichkeit; Anerkennung und Aufregung waren die Folge. Janošek war mit dem Zyklus „Zentrales Prinzip“ vertreten, einer Serie abstrakter Reliefs.

Keine Zukunft mehr in der Tschechoslowakei

Später kam die Sammelbezeichnung „tschechisches Informel“ auf. Janošek hat das Wort nie gebraucht. Den Charakter seiner Werke jener Jahre auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist nicht möglich, so verschieden sind die Arbeiten, von Collagen über Assemblagen und Grafiken bis zu Objekten, nicht zu vergessen die „Vereisungen“. Um Einordnung bemüht, schreibt der Kunstkritiker Jan Křiž von „postabstrakten Assemblagen“, „surrealistischem Neobarock“, „kubofuturistischen Bildern“ und „halb mystischer, halb grotesker Pop-Art“. In jedem Fall kann man ihm zustimmen, wenn er von „Experimentierfreudigkeit“ spricht. Vom Verkauf seiner Bilder konnte Janošek nicht leben. Das Geld verdiente er mit Kunst am Bau.

Als 1968 der Prager Frühling von Truppen des Warschauer Pakts niedergeschlagen war, sah Janošek keine Zukunft mehr in der Tschechoslowakei. Er ließ ein Konvolut von Bildern bei einem Freund auf dem Speicher und emigrierte mit seiner Frau Eva und seiner Tochter Anna. Nur zwei Koffer hatten sie bei sich. In einem Dorf bei Kiel konnten sie nicht heimisch werden. Nach Köln kam der Künstler durch einen Prager Freund, der die Stadt zum Ort seines Exils gemacht hatte.

Ein Unbekannter in Köln

Auf der Durchfahrt nach Paris hatte Janošek schon einen Eindruck von Köln gewonnen; vom Dom war er, wie er sagte, „total begeistert“. Mit Frau und Tochter zog er nach Heimersdorf. Einen Arbeitsraum fand er im Atelierhaus in Volkhoven, einer ehemaligen Grundschule. Auch Eva Janošková, die Grafikerin war, bekam dort ein Atelier. Anfangs begegnete ihnen eine Welle der Sympathie. „Ein tschechischer Emigrant – das machte sich gut“, sagte Janošek im Rückblick. Doch Prälat Ludwig Schöller, von 1991 bis 2007 Seelsorger der Künstler-Union-Köln (KUK), schreibt: „In Prag gehörte Janošek zur künstlerischen Avantgarde. Dort war er wer.

Janošek im Jahr 1962

Janošek im Jahr 1962

In Köln war er ein Unbekannter. Die Avantgarde arbeitete hier ähnlich wie er. Aber der Zug war besetzt. Es war kein Abteil für ihn frei.“ Mit weiteren Givragen knüpfte Janošek an sein Schaffen in Prag an. Neu waren Reliefs aus Polystyrene mit Formen, die Gegenstände in dem schmelzenden Kunststoff hinterlassen hatten. Und er schuf ein paar Großskulpturen aus Stahl, darunter die Plastik „Ein auf den Flug konzentrierter Vogel“, die heute im Forstbotanischen Garten steht. Von 1971 bis 1975 veranstaltete er in sakralen und profanen Räumen „Lichtmeditationen“; sie ließen die Besucher in eine Aura eintreten, die spirituelle Empfindungen weckte.

Glaube als ein „fester Punkt, ein Mittelpunkt“

Dann zerbrach die Ehe, Janošek versank in einer tiefen Depression. In dieser Zeit besuchte ihn Pfarrer Gerhard Dane im Atelier. Als junger Kaplan hatte er eine Lichtmeditation im Gürzenich miterlebt. Nun bat er den Künstler, in St. Agnes mit Licht zu arbeiten. So geschah es. Dane habe Janošek „wieder auf die Beine geholfen“, schreibt Schöller. In Köln habe der Prager, den er „Theist unter den Atheisten“ nennt, zum Glauben an Christus gefunden.

Schon in seiner Heimatstadt habe er „um einen festen Punkt, einen Mittelpunkt“ gewusst. Janošek kehrte zu den Farben, zur Malerei zurück und beschäftigte sich intensiv mit dem Licht. Dessen Existenz war ihm laut Schöller „ein Beweis für Gott“. Exemplarisch dafür steht das Großbild „Licht“, das der Künstler 1976 der Kirche St. Pankratius in Worringen widmete. Schöller: „Die Überwindung seiner Lebenskrise hat Janošek hier gemalt. Die Worringer Lichtepiphanie ist das Bild seiner eigenen Auferstehung.“

Intensive Faszination für Licht

Das Fasziniertsein vom Licht verband sich mit der Bewunderung des Doms, den der Künstler in Serien, zu unterschiedlichen Tageszeiten und mit verschiedenen Techniken darstellte. Mal habe ihr Mann das Bauwerk vom Dach des Kurienhauses, mal von der anderen Rheinseite aus studiert, sagt Irmgard Kaiser-Janošek.

Für andere Bilder verwendete er eine alte Zeichnung der Westfassade, die ihm Dombaumeister Arnold Wolff zur Verfügung gestellt hatte. Janošek habe die „Lichtmetaphysik der Gotik aufzuspüren gesucht“, schrieb Friedhelm Hofmann, damals Dompfarrer und vor Schöller Künstlerseelsorger der KUK, zum 50. Geburtstag des Künstlers. Křiž erkannte bei seinem tschechischen Landsmann eine „mythisierende Beziehung“ zu Köln und bemerkte: „Der dortige Dom wurde mit der Zeit zu einem Gleichnis für die Prager Burg.“

Inspiration aus dem Süden

Oft besuchte Janošek, der jeden Morgen in der Bibel las, die Messe, die Hofmann in der Sakramentskapelle der Kathedrale zelebrierte. 1983 heiratete Janošek im Dom seine zweite Frau. Drei Jahre zuvor hatten sie sich kennengelernt, bei einer Ausstellung im Krankenhaus St. Agatha. Irmgard Kaiser-Janošek war 30 und noch Studentin. „Das muss ich haben“, sagte sie sich beim Anblick eines Licht-Bildes und sprach Janošek an. Beide waren mit anderen Partnern liiert, doch schnell wurden sie ein Paar.

Sie zogen in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Lindenthal – groß genug für sie beide, sagt Irmgard Kaiser-Janošek, denn ihr Mann habe den ganzen Tag im Atelier gearbeitet und sie in der Musikschule in Brühl, wo sie 40 Jahre lang Fachleiterin für Klavier war. Viel Zeit verbrachten sie im Süden, wo Janošek das Licht begeisterte und viel malte. Sie machten Urlaub am Mittelmeer, lebten in Spanien und auf dem Peloponnes.

Grenzöffnung beeinflusst Werke

Nachdem 1989 die Mauer gefallen war, fuhr das Ehepaar häufig nach Tschechien, wo Janošeks Werk mit Ausstellungen gewürdigt wurde. Dauerhaft Platz fanden manche seiner Arbeiten in der Nationalgalerie, in der Galerie der Hauptstadt Prag und im Technischen Museum der Bildenden Künste. Die Jahrzehnte des Exils hatten eine gewisse Fremdheit entstehen lassen. „Man steigt niemals in denselben Bach“, sagte Janošek dazu, wie er die alte Heimat erlebte. Die Grenzöffnung schlug sich in seinem Schaffen nieder. Motive des historischen Köln verbanden sich mit Motiven des historischen Prag. Und er wandte sich wieder stärker den Givragen zu.

Selbstbildnis

Selbstbildnis

Betrachtet man diese Bilder, staunt man über die fein verzweigten, pflanzlich anmutenden Strukturen. Stellt das „Wunder der Natur“ in seiner absichtslosen Schönheit den künstlerischen Gestaltungswillen in den Schatten? Triumphiert der Zufall? „Die Frage nach der Zufälligkeit einer Anordnung der Kristalle auf meinen Blättern habe ich mir nie gestellt, weil ich letztlich an ein höheren Sinn allen Geschehens glaube“, sagte Janošek. „Für den Gläubigen gibt es keinen Zufall. Warum sollen meine Eiskristallbilder Zufall sein?“ Zumal er die Entstehung der filigranen Gebilde mit seiner Methode beeinflusste.

Von Natur zu Kultur

Friedhelm Hofmann: „Die Übernahme naturhafter, kristalliner Strukturen in die ordnende, überordnende künstlerische Handschrift vermochte den Überstieg von Natur zu Kultur, vielleicht sogar von Hauch zur Beseelung zu visualisieren“. Janošek formulierte es so: „Ich ahme die Natur nicht nach. Ich demonstriere vielmehr ihre bildnerische Begabung.“

In seinen letzten 13 Jahren war er auf die Dialyse angewiesen. Schließlich saß er im Rollstuhl, dann war er bettlägerig. Bis zum Schluss malte er weiter, schuf Bilder in kleinem Format. „Physisch und künstlerisch bin ich im Atelier vielleicht schwach geworden. Geblieben aber ist mir die Kraft zu lieben und zu glauben“, sagte er zu seinem 80. Geburtstag. Beigesetzt worden ist die Urne mit seiner Asche im Kolumbarium in St. Bartholomäus in Bickendorf. Die Todesanzeige der Familie zitiert Psalm 36: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht.“

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