Ein Polizist ist im letzten Moment einem Falschfahrer auf der A555 ausgewichen.
72 Sekunden LebensgefahrWarum Menschen zu Geisterfahrern werden – Vorfall in Köln endet glimpflich

An einer Autobahn stehen Warnschilder für einen eventuellen Geisterfahrer.
Copyright: imago images/Fotostand
Ein früher Sonntagmorgen Mitte Oktober, 5.30 Uhr. Ein 21 Jahre alter Bundespolizist ist auf dem Weg zur Arbeit. Er fährt über die Autobahn 555 Richtung Köln, als ihn plötzlich frontal zwei weiße Scheinwerfer anstrahlen. Ein Geisterfahrer. Reflexhaft wechselt der Beamte die Spur und verhindert gerade noch einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Peugeot.
Er hält auf dem Seitenstreifen und wählt die 110. Polizisten der Autobahnwache Frechen erkennen den Peugeot wenig später am Autobahnkreuz Süd auf dem Standstreifen. Die Beamten testen den Fahrer auf Alkohol und Drogen – beides positiv. Der 25-Jährige muss mit zur Wache, sein Auto wird abgeschleppt. „In einer ersten Befragung gab er an, dass er aus Versehen die falsche Auffahrt genommen hätte“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.
Etwa alle vier Tage eine Geisterfahrt auf einer Kölner Autobahn
Es ist der jüngste Fall einer Falschfahrt auf einer Kölner Autobahn – und er ging zum Glück glimpflich aus. Insgesamt 75-mal sind Polizisten in Köln dieses Jahr schon alarmiert worden, weil Zeugen einen Geisterfahrer gemeldet hatten, 17-mal zogen die Beamten einen Verdächtigen aus dem Verkehr. Im Vorjahr waren es insgesamt 85 Meldungen und sieben gestoppte Fahrer.
Seit 2016 erfasst das Statistische Bundesamt Daten zu Falschfahrten zentral. Jährlich gibt es deutschlandweit rund 2000, vergleichsweise selten kommt es dabei zu Unfällen. Nur etwa jeder 200. Unfall auf einer Autobahn wird von einem Falschfahrer verursacht. Aber die Tendenz ist seit Jahren steigend. Und wenn es kracht, dann oft mit schlimmen Folgen. Etwa jeder vierzehnte Unfalltote auf Deutschlands Autobahnen ist auf eine Falschfahrt zurückzuführen.
Der Gesamtverband der Versicherer hat das Phänomen 2023 in einer großen Studie untersucht – und festgestellt: Fast die Hälfte (46 Prozent) war bewusst in falscher Richtung unterwegs. Ursachen war demnach suizidale Absicht, eine Flucht vor der Polizei oder schlicht das Unterschätzen der Gefahren. Immer wieder erlebt auch die Polizei, dass Autofahrer auf der Autobahn „nur mal eben“ wenden wollten, zum Beispiel, um einem Stau zu entgehen.

Ein Geisterfahrer auf der A 8 kurz hinter dem Voralpenkreuz
Copyright: IMAGO/Frank Sorge
Laut der Studie war der Fahrer in einem Drittel aller 224 untersuchten Fälle dement oder verwirrt. Knapp die Hälfte aller Falschfahrerinnen und -fahrer war älter als 65 Jahre, vier von fünf männlich. Vor allem bei jüngeren Fahrern und Fahrerinnen spielten Alkohol und Drogen eine Rolle. In Köln-Longerich stoppte die Polizei kurz vor Weihnachten im Vorjahr einen 23-jährigen mutmaßlichen Falschfahrer, der auf der A57 beinahe einen Zusammenstoß verursacht hatte. Zur Erklärung gab der Mann an, seiner Handy-Navigationssoftware gefolgt zu sein.
Nicht nur für die übrigen Verkehrsteilnehmer, auch für die Polizei, die einen Geisterfahrer im Zweifel mitten auf der Autobahn stoppen muss, sind solche Situationen brenzlig. „Angesichts des erheblichen Gefahrenpotenzials ist ein sofortiges und abgestimmtes Handeln erforderlich“, sagt Polizeisprecher Benno Groß. Zuerst werden Anschlussstellen im Umfeld gesperrt, um den nachfolgenden Verkehr zu blockieren. Ein Beamter der Autobahnwache berichtet, mehrere Streifenwagen erzeugten einen künstlichen Stau, um den Verkehr auszubremsen. Manchmal fahre ein Streifenwagen parallel auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite neben dem Falschfahrer her, die Besatzung gebe ihm mit Blaulicht, Martinshorn und Handzeichen Signale, dass er anhalten soll.
Die Versicherer haben auch untersucht, wie lang eine „Geisterfahrt“ in der Regel dauert. Demnach führen immerhin 18 Prozent aller Falschfahrten über eine Strecke von mehr als zehn Kilometern. Mehr als die Hälfte endet nach weniger als zwei Kilometern, dauert also bei angenommenen hundert Kilometern pro Stunde im Schnitt gerade einmal 72 Sekunden – das ist zu kurz, um andere Verkehrsteilnehmer rechtzeitig mit einer Meldung im Radio warnen zu können.
Daher schlagen die Studienautoren neben dem klassischen Verkehrsfunk noch weitere Schutzmaßnahmen vor. Etwa deutlichere Beschilderungen und Fahrbahnmarkierungen an Raststätten und Auffahrten. Außerdem technische Lösungen wie Apps, die die Fahrtrichtung aller Fahrzeuge in der Nähe scannen, sie per GPS mit der vorgeschriebenen Richtung abgleichen und bei Abweichungen eine Warnmeldung versenden. Und die sogenannte Car-to-Car-Technik (oder Car2X-Technik), die dank zahlreicher Sensoren im Auto Gefahren im Umkreis von hunderten Metern erkennt und dies auch an andere Fahrzeuge kommuniziert.
Der mutmaßliche Geisterfahrer vom Autobahnkreuz Süd muss sich jetzt wegen Gefährdung des Straßenverkehrs verantworten. Sollten Polizei und Staatsanwaltschaft zum Schluss kommen, dass er „grob verkehrswidrig und rücksichtlos“ gehandelt und das Leben anderer gefährdet hat, drohen ihm eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Gefängnis.
Was tun, wenn ein Falschfahrer entgegenkommt?
Laut der Studie der Versicherer sind die bisherigen Empfehlungen richtig. Demnach sollte man äußerst rechts fahren und nicht überholen, wenn ein Falschfahrer auf der Strecke gemeldet wird. Experten empfehlen, zusätzlich das Warnblinklicht einzuschalten und nicht schneller als Tempo 80 fahren. Wer versehentlich in falscher Richtung unterwegs ist, sollte möglichst sofort auf den Standstreifen lenken, das Auto stoppen und Hilfe rufen.

