Meistgelesen 2022Höhner überraschen in Wacken die Fans und nehmen mit Metal-Hit Revanche

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Henning Krautmacher, Sänger der Höhner, steht beim Wacken Open Air Festival auf der Bühne.

Henning Krautmacher, Sänger der Höhner, steht beim Wacken Open Air Festival auf der Bühne.

  • Dieser Text ist zuerst am 8. August 2022 erschienen.

Ab 11.11 Uhr nimmt der Wahnsinn seinen Lauf. „Jetzt geht’s los“, schmettern die Höhner der tobenden Menge entgegen. Und Wacken ist nicht mehr aufzuhalten. Henning Krautmacher wird eine Stunde später mit glänzenden Augen sagen, dass er so etwas noch nicht erlebt habe.

Er ist nicht der einzige. Die Reise der kölschen Band zum Hardrock-Festival in Schleswig-Holstein mutiert zu einem ungeahnten Triumphzug. Einen, für den die erfolgsverwöhnten Musiker auch auf der Rückfahrt nach Köln noch die passenden Worten suchen.

Höhner erstmals beim Wacken Open Air

Das Wacken Open Air ist nach Veranstalterangaben mit 85.000 Besucherinnen und Besuchern ausverkauft. Zur Eröffnung am Donnerstag spielte die Hardrock-Legende Judas Priest; auf dem Programm stehen Szene-Größen wie Slipknot, Powerwolf, In Extremo oder New Model Army.

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Und zu furchteinflößenden Namen wie Rauhbein, Typhus, Pestilence und Hämaton gesellt sich in diesem Jahr das lustige Federvieh „vun Kölle am Rhing“: die Höhner. Eine Band, die mit Heavy Metal so viel zu tun hat, wie Dieter Bohlen mit Atomphysik.

Höhner: Vom beschaulichen Münsterland direkt ab nach Wacken

Am Vorabend ist die Höhner-Welt noch eine andere. Eine, die Henning Krautmacher und Co. kennen und gewohnt sind: Aufritt vor gut bürgerlichem Publikum, diesmal im Münsterland. Umgeben von einer traumhafter Kulisse, spielt die Band samt klassischem Orchester am Wasserschloss in Raesfeld.

Natürlich ist die Open-Air-Veranstaltung bestuhlt. Das Publikum geht mit, feiert den „kölschen Pass“, „Anna Havanna“ und mehr. So kennen es die Musiker. Da ist Wacken noch in weiter Ferne und für die Höhner unvorstellbar, dass selbst ihre brandneue Single „Prinzessin“ zur Mittagszeit von schätzungsweise 20.000 Hard `n Heavy-Fans mitgesungen wird.

Mit dem Nightliner in den Norden: „Ach, geh doch pennen“

Während das Band-Equipment von den Technikern in einem Transporter verstaut wird, steigen die Musiker in den bestens ausgestatteten Nightliner. Ein Reisebus mit Schlafkojen, zwei Lounges und Siggi, der den Riesen durch die Nacht fahren wird. Zuvor werden noch Getränke an Bord geschafft: Kiste Früh-Kölsch, Kiste Limonade. „Könnste mischen“, sagt Siggi in breitem Sächsisch. Und dass der Elbtunnel zu sei.

Vorher wird im Bus jede Menge Quatsch gemacht. An Schlaf ist erst mal nicht zu denken. „Sag mal, trinkt ihr nichts? Dann könnt ihr sofort aussteigen!“, blafft Keyboarder Micki Schläger einen Techniker an und lacht. Höhner-Bassist Freddi Lubitz hat extra eine Wacken-Playlist erstellt und spielt über sein iPhone alte Rockklassiker ab, wie „La Grange“ von ZZ Top. „Ey, mach das mal leiser“, kommt von hinten aus dem Bus. Von vorne folgt der Konter: „Ach, geh doch pennen.“

Höhner über gute und schlechte Musik

Wer noch wach bleibt, sinniert über das, was die Kölner erwarten wird. Sound-Mann Thomas Brück, der schon für Elton John oder Celine Dion für den guten Ton sorgte, ist sich sicher, dass Heavy Metal-Fans tolerant und liberal sind – auch einer Band gegenüber, die außerhalb des Rheinlands gerne auf Karneval reduziert wird. „Ich verstehe nicht, warum in Deutschland der Begriff Volksmusik negativ besetzt ist. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Punkt.“

Um 1.30 Uhr steuert Siggi den Rastplatz Dammer Berge an. Endlich Zeit für eine Bockwurst, die Micki Schläger eigentlich schon in Raesfeld haben wollte. Zurück im Bus wird weiter über Musik gefachsimpelt und wieder Quatsch gemacht – bis irgendwann auch der Gast vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ was auf die Finger bekommt: „Hörens, das schreibst Du aber nicht. Jetzt ist auch mal gut!“ Wird gemacht, Jungs.

Vor dem Auftritt der Höhner in Wacken gibt es reichlich Kaffee

Gegen 6.15 Uhr erreicht der Bus die knapp 2000 Einwohner zählende Gemeinde in Schleswig-Holstein, die inzwischen jeder Hardrock-Fan in Europa kennt. Müde schält sich die Gruppe aus den Schlafkojen, Siggi erklärt die Bedienung der Kaffeemaschine, der neben zig anderen Nightlinern auf dem riesigen Areal geparkt hat.

Was die Organisatoren für die Künstler aufgefahren haben, beeindruckt die Kölner Delegation. Duschen, moderne Toiletten, sogar mit beheizten Klobrillen, ein großes Zelt mit einer riesigen Frühstücks-Auswahl, überall Sitzlounges, hochwertige Deko-Möbel. All das hätten die Musiker niemals gedacht, als sie am 7. Mai dieses Jahres in einer Hotelbar in Bad Segeberg von einem Typen angesprochen wurden.

„Reine Schnapsidee“ – Wie die Höhner in Wacken landeten

„Moin, ich bin der Holgi“, erinnert sich Henning Krautmacher an den Mann, der den Höhnern eine Runde Kümmelschnaps spendierte. Dann noch eine und noch eine. Irgendwann habe er sich als einer der Mitveranstalter des Wacken-Festivals ausgegeben und gefragt, ob die Kölner dort auftreten würden. „Es war also eine reine Schnapsidee“, blickt Krautmacher zurück, die mit der siebten Runde besiegelt wurde.

„Eine Band, die 50 Jahre existiert - das ist länger, als es das Festival gibt, das habt ihr euch verdient. Wir wollen euer Lebenswerk hören“, habe Holgi gesagt. Dass es schon beim Soundcheck gegen 10 Uhr Tausende sind, lässt Sänger Patrick Lück innerlich jubeln: „Ich bin schon jetzt so voller Adrenalin, Hammer...“

Um 11.11 Uhr nimmt der Wahnsinn seinen Lauf

Immer wieder stimmt die Menge „Viva Colonia“ an. Nicht wenige haben FC- oder Haie-Trikots an und rasten vollends aus, als der musikalische Frühschoppen um 11.11 Uhr beginnt. Die Höhner haben schwarze Pappnasen im Publikum verteilt, das selbst zu Hits wie „Schenk mir Dein Herz“ nahezu pausenlos die zwei Finger in die Höhe reckt - die so genannte „Pommesgabel“.

„Wackööön“, ruft Patrick Lück in die Menge und initiiert „La Ola“. Die Welle macht auch Gitarrist Edin Colić, als er die Höhner-Antwort auf Metallica mit einem Solo einleitet: Die weltbekannte Speedmetal-Band hatte bekanntlich bei ihrem Auftritt 2019 im Rhein-Energie-Stadion „Viva Colonia“ angestimmt. Die „Revanche“ der Höhner wird frenetisch gefeiert: „Nothing else matters“ op kölsche Art. „Alles andere zällt nit“, heißt die Version.

Höhner spielen „Nothing else matters“ op kölsch

„Die Metallica-Junge / Han in Kölle jesunge / Unsere kölsche Welt-Hit Alles andere zällt nit! /Do simme dobei / Et wor nit janz einwandfrei / Houpsaach is doch: mer mäht et / Alles andere zällt nit!“ Viva Colonia und Viva Metallica - die 20.000 finden „dat es prima“.

Psychologen an der Universität von Queensland wollen herausgefunden haben, dass Heavy-Metal-Fans netter, ruhiger und friedlicher seien, als die Anhänger anderer Musikgattungen. 

„Alle Ergebnisse weisen darauf hin, dass Hörer von extremer Musik diese nutzen, um positive Gefühle zu erleben“, heißt es in der Studie. Da kritische Zeitgeister durchaus auch kölsche Tön als extreme Musikgattung ansehen, die das Volk an Karneval oder auf beim Après-Ski eskalieren lassen, gibt der Höhner-Besuch in Wacken den Forschen recht.

Besucher kommen voll auf ihre Kosten

Einst Auftritte bei Carmen Nebel, dann Florian Silbereisen und jetzt Wacken: Gegensätzlicher könnte es kaum sein. „Nimm mich so wie ich bin“ - der bekannte Songtitel der Höhner ist das Motto auf und vor der Bühne. Wie sehr die Kölner an diesem Wochenende gewonnen haben, zeigt sich nach dem Konzert. Henning Krautmacher will der DKMS einen Besuch abstatten.

Seit 29 Jahren ist er Botschafter im Kampf gegen Blutkrebs, aber bis er den Stand erreicht, wo sich Hunderte Festival-Besucher typisieren lassen, muss er viele Hände schütteln und zahlreiche Fotos mit glücklichen Festival-Besuchern machen. „Ihr habt echt gerockt“ - „eine geile Show“ heißt es von allen Seiten. Auch bei einer folgenden Autogrammstunde gibt es nur Komplimente. „Ich war der, der vor der Bühne links mit den Gladbach-Fans verhandelt hat“, sagt ein Mann im FC-Trikot. „Die haben mir später sogar ein Bier ausgegeben.“

Das gönnen sich einige der Höhner auch, als es am frühen Nachmittag wieder zum Bus geht. Siggi ist ausgeschlafen und steuert den Nightliner sicher über die Autobahn. „Von Erfolg spricht man nicht, wenn Erwartungen erfüllt werden, sondern wenn sie übertroffen werden. Unsere Vorstellungen wurden voll und ganz übertroffen“, bilanziert Henning Krautmacher. Ende des Jahres verabschiedet er sich in den Ruhestand. Keine Frage, dass der jüngste Auftritt einer der beeindruckendsten in der Karriere des 65-Jährigen war.

„Warum haben wir nicht früher schon in Wacken gespielt?“ fragt er in die Runde, die mit zunehmenden Kilometern kleiner wird. Das Adrenalin hat sich gelegt, der Körper meldet erheblichen Schlafbedarf an. Nach und nach verschwinden immer mehr Höhner in ihre Kojen. Schon morgen geht es zum Nürburgring zu den ADAC GT Masters. Erneut ein Kontrastprogramm. 

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