Wiederaufbau in KölnDie Wunden der Stadt von Innen nach Außen heilen

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Von der Kuppel des Deutzer Bahnhofs war nur noch das Gerüst vorhanden.

Von der Kuppel des Deutzer Bahnhofs war nur noch das Gerüst vorhanden.

Köln – Für Rudolf Schwarz hätte das nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte Köln wie ein Paradies sein können. Dem Stadtplaner bot sich die einmalige Gelegenheit, eine ganz neue Stadt zu erschaffen und zu bauen, als der Stadtrat ihn im Dezember 1946 zum Generalplaner und Leiter der Wiederaufbau-GmbH ernannte. Der damals 49 Jahre alte Architekt und Kirchenbauer erkannte schnell, dass es so einfach nicht funktionieren konnte. „Um eine Stadt zu bauen, muss man über den Baugrund verfügen können – das ist bei uns nicht der Fall“ hielt er in seiner Schrift „Das neue Köln – ein Vorentwurf“ aus dem Jahr 1950 fest. Die Ruinenfelder seien parzelliert gewesen und hätten zahllosen Besitzern gehört. Da ein Gesetz fehlte, das den zerstückelten Besitz der Allgemeinheit hätte zusprechen können, sei ein völliger Neubau der Stadt nicht möglich gewesen. Darüber hinaus habe es am nötigen Geld für eine Umsetzung gemangelt.

Schwarz konzentrierte sich also auf all jenes, das unter den Trümmern noch vorhandenen war und griff im Großen und Ganzen auf das alte Straßennetz zurück. „Man musste sich zurücknehmen mit seiner Fantasie und schauen, was noch da ist“, sagt seine Witwe Maria Schwarz, die 1949 als Mitarbeiterin ihres späteren Ehemanns nach Köln kam. Die heute 93 Jahre alte Architektin erinnert sich daran, dass Rudolf Schwarz eine neue Stadt in der alten entstehen lassen wollte. „Er erkannte, dass Köln in der Innenstadt aus einer Addition von Vierteln besteht, in deren Zentrum sich jeweils eine romanische Kirche befindet“, sagt Maria Schwarz. Die Kirchen St. Kunibert, St. Ursula, St. Gereon, St. Aposteln, St. Mauritius, St. Pantaleon und St. Severin bilden entlang eines sechs Kilometer langen kulturellen Pilgerpfads, den Schwarz Via Sacra nannte, einen Halbkreis, der jeweils am Rheinufer endet. Diese für die Stadt typischen Veedel mit ihren Kirchen und Schulen sollten als Gerüst für den Wiederaufbau dienen. „Die Viertel bildeten für Rudolf Schwarz das Herz der Stadt“, erinnert sich der 93 Jahre alte Walter Boese, damals Mitarbeiter in der Wiederaufbau-GmbH.

Architekt Christian Schaller, dessen Vater Fritz Schaller ebenfalls für die Wiederaufbau-GmbH arbeitete und später die Domplatte konzipierte, hält die Grundidee der starken Viertel bis heute für eine einzigartige Stärke Kölns. „Es ist eine große Chance, dass sich die Quartiere unzeitgemäß erhalten haben“, sagt er. Aus diesen Inseln und vergessenen Ecken würden bis heute neue Entwicklungen entstehen, die ansonsten überhaupt nicht denkbar wären.

Schwarz betrachtete den Bereich rund um den Dom und Teile der Altstadt bis zu St. Maria im Kapitol als Hochstadt, die das kulturelle Zentrum bilden sollte. Deshalb sollten dort die großen Museen sowie am neuen Offenbach-Platz eine Spielstätte für Oper und Theater angesiedelt werden. „Der Rudolfplatz, an dem das alte Opernhaus stand, war nicht mehr zentral genug“, sagt Walter Boese. Laut Maria Schwarz wollte ihr man die Wunden der Stadt von Innen nach Außen heilen.

Die wichtigste Überlegung in der Anfangszeit war für Schwarz die Lenkung des Verkehrs. Er stellte sich die Stadtteile im Idealfall als Bereiche mit umrandenden Schnellstraßen sowie einer ruhigen Mitte mit Kaufstraßen vor, die maßgeblich den Fußgängern vorbehalten sein sollten. In die Innenstadt gehörte seiner Ansicht nach nur der Verkehr, der „dort quillt oder mündet“. Schwarz entwickelte die heute als Nord-Süd-Fahrt bekannte Nord-Südstraße, um den Verkehr aus der Innenstadt heraus zu halten. Diese Idee wurde jedoch von den späteren Verantwortlichen im Sinne einer autogerechten Stadt ganz anders umgesetzt als die ursprüngliche Planung es vorsah. „Die Straße sollte nur 18 Meter breit sein und nicht 32 Meter“, sagt Maria Schwarz. Eine geschlängelte und gewinkelte Führung sollte dafür sorgen, dass die Nord-Südstraße nicht zur Ausweichroute für die Ringe und die neue Innere Kanalstraße wird. Laubengänge sollten die Ränder säumen und viel Raum für Fußgänger bieten. „Die Straße muss durch eine Profilierung für den Durchgangsverkehr unappetitlich gemacht werden“, sagte Rudolf Schwarz. Aufgrund der späteren Umsetzung durch die Stadtverwaltung trat das Gegenteil ein. Die Innenstadt wird bis heute von der Nord-Süd-Fahrt in zwei Teile zerschnitten.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Wie Schwarz die Ringe entwickeln wollte.

Die Ringe wollte Schwarz wieder zu einer prächtigen Hauptstraße entwickeln, indem der große Verkehr über die neu zu bauende Innere Kanalstraße geführt werden sollte. Er wollte außerdem verhindern, dass die Autos am Rand parken dürfen. Schwarz bedauerte, dass eine Verbreiterung wegen der zu hohen Kosten nicht möglich war. Er hätte ansonsten eine Promenade nach dem Vorbild der Pariser Boulevards realisieren wollen. „Es ist möglich, dass Köln wieder einmal im Begriff steht, eine städtebauliche Chance zu versäumen“, schrieb Schwarz 1950 und sollte einmal mehr mit seiner Einschätzung richtig liegen.

Der Wiederaufbau der Brücken hatte ebenfalls eine zentrale Bedeutung bei der Verkehrsplanung. Schwarz favorisierte eine Verlegung der zerstörten Hindenburgbrücke am Heumarkt, um den Platzcharakter im Bereich der Brückenrampe wiederherzustellen. Da die Pfeiler jedoch noch weitgehend intakt waren und ihr Neubau einen Großteil der Kosten verursacht hätten, wurde die neue Deutzer Brücke an selber Stelle errichtet. Schwarz konnte auch die Idee eines eigenen Promenadendecks für Fußgänger nicht realisieren, da die 1945 begonnenen Planungen schon zu weit vorangeschritten waren. Schwarz legte großen Wert darauf, dass das linksrheinische und das rechtsrheinische Köln mit mehr Brücken als vor dem Krieg verbunden werden sollten. „Die Verkehrsbedeutung dieser Brücken wird ähnlich gestuft sein wie der großen Straßen“, sagte er.

In der Nachkriegszeit war es zunächst Konsens, den Hauptbahnhof an eine andere Stelle zu verlegen. Als alternative Standorte kamen unter anderem der Aachener Weiher und der Stadtgarten infrage. Schwarz setzte sich für einen Neubau am Güterbahnhof Gereon ein, der jedoch in den 80ern Jahren dem Mediapark weichen sollte. Der Bahn und der Stadt war die Verlegung schließlich zu teuer, und der Hauptbahnhof neben dem Dom blieb bestehen.

Schwarz hatte eine klare Haltung zum Bau neuer Gebäude. Einer Willkür sollten zwar Grenzen gesetzt werden, trotzdem wollte er nicht alles vorschreiben, um eine Langeweile in der Architektur vorzubeugen. Die Kölner bauten nach dem Krieg ohnehin in der Regel ohne eine Baugenehmigung, und die Mitarbeiter der Stadt schauten weg, da sie auf die private Initiative angewiesen waren, um den Wiederaufbau der Häuser und Geschäfte voranzubringen. Schwarz beendete seine Arbeit als Generalplaner bereits 1952. „In der kurzen Zeit von nur sechs Jahren hat er Köln bis heute sehr geprägt, obwohl viele seiner Ideen später verworfen wurden“, resümiert Christian Schaller.

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