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Bruder-Klaus-Siedlung in KölnWoelki auf den Spuren seiner Kindheit

Lesezeit 3 Minuten

In der Kirche St. Bruder Klaus war Rainer Woelki Messdiener. Hier und feierte 1985 seine Primiz, die erste Messe nach der Priesterweihe. Bild: Rakoczy

Köln – Alles Schnee von gestern, sagt Kardinal Rainer Woelki und winkt ab. Wie ein Nachfolger halt tunlichst reagiert, um unliebsamen Fragen nach dem Wirken seines Vorgängers auszuweichen. „Ich bin mehr ein Mann von heute und morgen.“ Doch dann stutzt der künftige Kölner Erzbischof. So ganz stimme das Bild ja nicht, „weil der Schnee von gestern das Wasser von heute ist, von dem wir auch leben“. Die Kritik an Kardinal Joachim Meisner, die ihm in einer Pressekonferenz drei Tage vor der Amtseinführung vorgehalten wird, lässt Woelki unkommentiert. Er verspricht allen Menschen „guten Willens“ den Dialog und die Bereitschaft, Unterschiede auszuhalten, ja sogar den Versuch, „die Ränder zusammenzuführen“.

Am Samstag wird Rainer Maria Kardinal Woelki als Erzbischof von Köln eingeführt. Die Messe im Dom beginnt um 10.30 Uhr und wird auch auf eine Großleinwand auf dem Roncalliplatz übertragen.

Dort findet nach dem Pontifikalamt eine Begegnung mit dem neuen Erzbischof statt. (map)

Ob sich da eine Schönwetterperiode im Erzbistum ankündigt? Im Augenblick jedenfalls steht das katholische Barometer klar auf Tauwetter: Frauen in Führungsfunktionen, Toleranz für Homosexuelle, Verständnis für Jugendliche aus kirchenfernen Lebenswelten, ein schlichter Lebensstil im Alltag zwischen Spül- und Waschmaschine, was es „mir ein bisschen einfacher macht, Verständnis für Menschen zu haben, die sagen, »ich hab’s mit den vier Kindern nicht hingekriegt, morgens auch noch zu beten«“ – mit all diesen Äußerungen skizziert Woelki sein Bild kirchlicher Führung.

Genau genommen, hat er an diesem sonnigen Nachmittag allerdings auch selbst die Kanone mit dem „Schnee von gestern“ angeworfen und lässt mächtig die Flocken rieseln. In der Mülheimer Bruder-Klaus-Siedlung, wo er die Kindheit und Jugend verbracht hat, schwelgt Woelki in Erinnerungen an eine „geschlossene, heile katholische Welt“. Eine Welt kleiner Leute („Mein Vater war auf Montage, um das Geld heranzubringen, mit dem wir unser Häuschen zahlen konnten“), Zeltlager-Romantik, Jugendgruppen-Flair.

Es ist, als würde der 58 Jahre alte Kirchenführer beim Erzählen selbst noch einmal zum kleinen Messdiener, der lateinische Formeln bimst – immer in Sorge vor einem Betonungsfehler, der die Belohnung für gutes Lernen kosten könnte, den Messdienerkalender aus der Hand der Oberministranten. Woelki lächelt abwechselnd versonnen und spitzbübisch, wenn er berichtet, wie sie als Jungs in eben jenem schmucklosen Pfarrsaal, in den er heute die Medienleute eingeladen hat, damals Sitzfußball gespielt und gleich den Fußboden mitpoliert hätten. Zurufe von Gemeindemitgliedern bringen sein Gedächtnis auf Trab, wenn ihm das eine oder andere Detail nicht gleich einfällt.

Verwurzelung seiner Existenz als Mensch und Priester

Woelkis Botschaft an diesem Tag ist aber keine reaktionäre nach dem Motto, früher war alles besser. Was ihn geprägt und seinem Leben „eine Richtung gegeben“ habe, sei kein Modell mehr, das noch tragfähig wäre“, räumt er ein. Was er zeigen will, ist die Verwurzelung seiner Existenz als Mensch und Priester in einer Kirche, die mitten im Dorf stand, aber nicht mächtig aufragte wie der gotische Dom und auch nicht golden glänzte wie eine barocke Basilika. Rainer Woelkis Kirche, buchstäblich, ist ein kleiner, schlichter Nachkriegsbau, die geistliche Heimat einer Generation von Flüchtlingen.

„Hier komme ich her“, sagt Woelki mit Nachdruck und steckt die Daumen in den Gürtel seiner schwarzen Jeans. So als wollte er sich dieser Herkunft auch selbst noch einmal vergewissert haben, bevor er am Samstag im Dom die Stufen zum Altar hochsteigt und Platz nimmt auf dem Thronsessel des Erzbischofs von Köln.