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Kommentar

Wofür ich Köln liebe
Die Geister, die die Stadt heraufbeschwört

Ein Kommentar von
3 min
Jugendliche feiern am Sonntagmorgen in der Disco Rose Club in Köln.

Einer der Orte, die zu Geistern der Stadtgeschichte wurden: Der Rose Club, ein Foto aus dem Jahr 2007.

Wenn unser Autor heute durch die Straßen von Köln geht, spuken ihm noch immer die Orte von damals durch den Kopf.

Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte. Ist nicht von mir, der Satz steht in einem Brief des amerikanischen Autors David Foster Wallace, ohne weitere Erklärungen. Ich verstehe ihn so: Wer über Geliebte oder Geliebtes schreibt, wird unweigerlich von den Menschen oder Dingen, die er da in Abwesenheit heraufbeschworen hat, heimgesucht.

So geht es mir mit Köln. Je länger ich in der Stadt wohne, desto mehr wird sie für mich zur Geisterstadt. Desto dichter überlagern die Schemen der Vergangenheit das Hier und Jetzt aus Beton und Klinker. Es sind vor allem Nachtschatten, in jungen Jahren musste ich manisch Abend für Abend das Haus verlassen. Damals wäre das Sofa der Tod gewesen, heute gehe ich durch die Kölner Straßen und denke an das, was einmal war und nicht mehr ist.

Kein Underground mehr, keine Papierfabrik, kein Rose Club

Ich denke: Du kannst nicht mehr den Paternoster im VHS-Haus am Neumarkt hochfahren, um auf dessen Flachdach einen 16-mm Film zu sehen. Du kannst nicht mehr ins Underground gehen, oder in der Papierfabrik tanzen. In der Kyffhäuser Straße dreht niemand mehr an den Knöpfchen selbst gelöteter Synthesizer in der Liquid Sky Lounge, in der Aachener findet niemand mehr ein Publikum, das ihm um fünf Uhr morgens im Sixpack beim biergetriebenen Verfassen abstruser Poptheorien lauscht.

Wo seid ihr geblieben, ihr letzten Barfußtänzer des sterbenden Jahrhunderts im Souterrain am Hansaring? Ob man unter den Neubauten noch die Kellerräume findet, in denen ich in jungen Jahren unvermutet auf den manisch trommelnden Jaki Liebezeit stieß, in der Ehrenfelder Ruine, oder im Rhenania?

Blasse Namen in weißen Leichentüchern

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht besonders sentimental. Ich muss nicht mehr im Rauchersaal des Capitol-Kinos sitzen, oder im Stecken in der Maastrichter Straße Urstoff trinkend Hip-Hop-Preziosen hören. Ich muss längst nicht mehr jede Nacht rausgehen, auf der Suche nach Dingen, die dort sowieso nie zu finden waren. Ja, ich weiß gar nicht mehr, wonach genau ich so lange suchte. Da kann ich es also auch nicht vermissen.

Aber die Orte von damals, sie spuken mir immer noch im Kopf herum, als blasse Namen in weißen Leichentüchern. Das Arcadia. Das Lalic. Das Broadway-Café. Der Rose Club. Das Königswasser. Die Oberbayerische Analyse. Doch, die gab es wirklich und man findet sie zum Beispiel auch in einem Text von Rainald Goetz – ich habe vergessen, welchen – erwähnt.

Meine Liebe, manchmal ist es eher eine Hassliebe, zu Köln haben diese Geisterorte nur gefestigt. Unwahrscheinlich, dass ich hier noch einmal wegziehe. Eher werde ich selbst zum Gespenst und spuke fortan durchs Nachtleben der Stadt.