Wucherndes FettgewebeWie eine Kölnerin für Frauen mit Lipödem-Erkrankung kämpft

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Frauen mit Lipödem leiden nicht nur unter dem optischen Erscheinungsbild, sondern vor allem unter den Schmerzen. 

  • Viele Frauen sind an Lipödem erkrankt. Sie leiden durch das krankhafte Gewebe – und zwar nicht nur an starken Schmerzen.
  • Sondern sie leiden auch an der disproportionalen und optischen Erscheinung ihres Körpers, die sie oft schon Jahre und Jahrzehnte begleitet und für Selbstzweifel, Schamgefühle und Isolation verantwortlich sein kann.
  • Eine Therapeutin aus Köln kämpft für schnelle Hilfe der Betroffenen. Bislang hat sie immerhin einen Teilerfolg errungen.

Köln – Vor einem Jahr besuchte Hendrikje ter Balk die Sprechstunde des Wahlkreises von Jens Spahn (CDU). Sie hatte bereits unzählige E-Mails an das Bundesgesundheitsministerium geschrieben, eine Antwort kam jedoch nie. Dabei ist ihr Anliegen äußerst wichtig für viele betroffene Menschen: Es geht um eine bedarfsgerechte Versorgung für chronisch kranke Frauen, die an Lipödem erkrankt sind. Darunter versteht man eine Fettverteilungsstörung, die primär durch krankhaft vermehrtes Fettgewebe an Beinen und zum Teil auch an den Armen, gekennzeichnet ist, erklärt Professor Tobias Hirsch, Chefarzt der Fachklinik Hornheide. Das Hauptproblem mit dem chronisch kranken Gewebe: die Fettzellen verursachen Schmerzen. Der Alltag betroffener Frauen ist also durch erhebliche Beschwerden gekennzeichnet. Und das hat Auswirkungen auf ihr gesamtes Leben und damit auf berufliche, soziale und emotionale Bereiche.

Zudem leiden sie unter der disproportionalen und optischen Erscheinung ihres Körpers, die sie oft schon Jahre und Jahrzehnte begleitet und für Selbstzweifel, Schamgefühle und Isolation verantwortlich sein kann. „Einige trauen sich 20 Jahre nicht ins Schwimmbad, andere können mit ihrem Partner vor Schmerzen nicht mehr intim werden“, erklärt Hendrikje ter Balk. Gleichzeitig werden lipödemerkrankte Frauen fälschlicherweise oft als adipös abgestempelt und stigmatisiert. Dabei kann eine genaue und sorgfältige Untersuchung den Unterschied zwischen einer Adipositas und einer Lipödem-Erkrankung klar feststellen, sagt Chefarzt Dr. Hirsch.

Neuer Inhalt (1)

Hendrikje ter Balk mit Jens Spahn

Hendrikje ter Balk, schlankes Erscheinungsbild, ist selbst erkrankt gewesen. Ihr Ziel ist es, dass die betroffenen Frauen eine operative Versorgung bekommen. „Das ist die einzige nachhaltige Möglichkeit, die die Schmerzsymptomatik reduziert und Folgeerkrankungen vorbeugt“, sagt sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Kosten der Operationen belaufen sich auf rund 12.000 Euro, die kaum eine Frau tragen kann. Als ter Balk in die Sprechstunde von Spahn kam, konfrontierte sie den Gesundheitspolitiker mit der hohen Zahl an betroffenen Frauen und der fehlenden Versorgung. Spahn erklärte, dass er dieser Problematik nicht so bewusst gewesen sei, erzählt ter Balk. Er wolle sich, so habe er versprochen, der Thematik annehmen.

Bereits seit 2014 laufen Antragsverfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss. Hier haben Patientenvertreter einen entsprechenden Versorgungsantrag gestellt. In der Regel muss innerhalb von drei Jahren eine Antwort erfolgen. Doch die blieb aus. Die Folge: Frauen, die an Lipödem erkrankt sind, leiden weiter an den Schmerzen und bekommen keine medizinische Hilfe.

Passiert ist nichts, obwohl Minister Spahn zunächst positive Signale aussendete. Auf der Homepage vom Bundesministerium für Gesundheit wird er mit den Worten zitiert: „Bis zu drei Millionen Frauen mit krankhaften Fettverteilungsstörungen leiden täglich darunter, dass die Krankenkassen ihre Therapie nach einem Gerichtsurteil nicht bezahlen. Ihnen wollen wir schnell und unbürokratisch helfen.“ In mehreren medialen Auftritten versprach er den Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe – und zwar bereits Anfang 2019. Eine solche Hilfe hätte er nach dem Gesetz für alle betroffenen Frauen selbst in die Wege leiten können (Vgl. § 94 SGB V). Auf diese ministerielle Verantwortung hat etwa der unparteiische Vorsitzende Professor Josef Hecken hingewiesen.

Neuer Inhalt (1)

Doch Spahns Kritik galt eher dem Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss, der das Thema immer weiter vor sich herschiebt. „Das ist Prozessverschleppung und grenzt an Systemversagen“, so Hendrikje ter Balk. „Die Lipödem-Thematik sollte nicht zwischen den Akteuren zu politischen Zwecken instrumentalisiert und missbraucht werden. Die Frauen brauchen Hilfe“.

Zumindest blieb die Verärgerung Spahns nicht folgenlos: Ein neues Gesetz wurde erlassen. Nun muss bereits nach spätestens zwei Jahren eine Entscheidung in den Ausschuss getroffen werden, lautete die neue Vorgabe. Der Vorstoß und das weitere Engagement der Therapeutin aus Köln führten zu unterschiedlichen Veränderungen: Eine Übergangslösung für schwerstbetroffene Frauen wurde innerhalb von einem Jahr in die Wege geleitet. Aktuell können stark betroffene Frauen unter bestimmten Voraussetzungen ihr Recht auf eine operative Therapie einfordern. Erstmalig wurde somit die operative Versorgung in den Arztleistungskatalog aufgenommen. Ein Erfolg. „Die Praxis in der Umsetzung seit Januar 2020 zeigt jedoch, dass es auch hier erneut erhebliche Komplikationen in der Umsetzung gibt, so dass viele Frauen am Ende erneut mit ihren Leiden allein gelassen werden“, schränkt ter Balk sogleich ein. Auch Chefarzt Dr. Hirsch schlägt in diese Kerbe: „Dies ist sowohl für Patienten als auch für die behandelnden Ärzte sehr frustrierend.“

Neuer Inhalt (1)

Hendrikje ter Balk

Es geht nur in kleinen Schritten voran. Neben der Übernahme in den Arztleistungskatalog wird laut Kassenärztlicher Vereinigung die manuelle Lymphdrainage als besonderer Versorgungsbedarf eingestuft und bei einem Lipödem in die Heilmittel-Richtlinie aufgenommen. Auch auf der juristischen Ebene wurde eine positive Veränderung im Rahmen der Einzelfallentscheidung wieder möglich gemacht. Dennoch sind die meisten Frauen nach wie vor ohne fundierte Versorgung. Minister Spahn hat bereits in der nächsten Woche Gelegenheit, seine Vorstellungen betroffenen Frauen darzulegen. Dann wird er in Bottrop auf einer öffentlichen Veranstaltung mit ihnen diskutieren. Thema: Gesundheit in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts.     

KStA abonnieren