Zwei Kölner Staatsanwälte im Interview„Wir sind bei den Guten“

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Wechsel in der Kölner Staatsanwaltschaft: Joachim Roth (l.) folgt auf Jakob Klaas

Wechsel in der Kölner Staatsanwaltschaft: Joachim Roth (l.) folgt auf Jakob Klaas

Köln – Herr Roth, Sie übernehmen nicht nur das Amt, sondern auch das Bürozimmer Ihres Vorgängers. Drehen Sie erstmal alles auf links?

Joachim Roth: Nein, das ist gar nicht nötig. Herr Klaas hat gerade frisch renovieren lassen.

Jakob Klaas: Die alten dunklen Einbauschränke von 1986 sind raus, es wurde gestrichen, jetzt stehen hier helle, freundliche Möbel, und es ist auch etwas mehr Platz. Alles wurde genau in der Woche fertig, in der ich meinen Dienst im Justizministerium in Düsseldorf angetreten habe. Ich selbst hatte also gar keinen Nutzen mehr davon.

Zur Person

Joachim Roth ist seit 1990 Staatsanwalt, seit 1993 in Köln. Es folgten Stationen im NRW-Justizministerium in Düsseldorf, bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln und immer wieder auch bei der Staatsanwaltschaft Köln. Sein spezielles Fachgebiet ist die Wirtschaftskriminalität. Als Leitender Oberstaatsanwalt in Köln führt er jetzt eine Behörde mit 600 Mitarbeitern. Roth ist verheiratet und hat eine Tochter.

Jakob Klaas hat seine Laufbahn als Staatsanwalt 1989 in Köln begonnen. Genau wie Joachim Roth durchlief er Stationen bei der Generalstaatsanwaltschaft in Köln und dem Justizministerium und wurde 2015 Chef der Staatsanwaltschaft Köln. Vor einem halben Jahr wechselte er als Ministerialdirigent erneut ins Justizministerium. Dort ist er als Leiter für den NRW-Justizvollzug verantwortlich für 8500 Bedienstete und 20.000 Häftlinge in 36 Gefängnissen. Klaas ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

Hat Herr Klaas Ihnen das Tagesgeschäft genauso geordnet hinterlassen?

Roth: Große Änderungen habe ich nicht vor. Ich werde das gut Begonnene erstmal fortführen. Wir werden die Clan-Kriminalität intensiver in den Blick nehmen, auch die Bekämpfung des Enkeltricks und des Trickbetrugs durch falsche Polizisten. Die Fallzahlen steigen zurzeit stark an.

In Berlin beherrschen arabische Clans die organisierte Kriminalität. Gibt es das Phänomen auch in Köln?

Roth: Wir bearbeiten aktuell das Großverfahren gegen einen Clan aus Leverkusen. Und das gehen wir so an, dass wir nicht länger versuchen, Einzelstraftaten einzelnen Mitgliedern zuzuordnen und diese abzuurteilen, sondern wir wollen die Struktur dahinter erkennen, die Vermögensverhältnisse und Geldflüsse aufklären. Daraus entwickeln wir ein Konzept, um beim nächsten Clan-Verfahren genauso vorgehen zu können.

IV

Das klingt nach hohem Aufwand. Wie viele Verfahren hat Ihre Behörde im Vorjahr insgesamt geführt?

Roth: 158.000 gegen namentlich bekannte Beschuldigte und 128.000 gegen Unbekannt. Die Masse waren Fälle der kleineren bis mittleren Kriminalität. Besonders arbeitsintensiv sind zurzeit die Verfahren gegen falsche Polizeibeamte und Geldautomatensprenger. Ermittlungen im Bereich der Kinderpornografie sind sowohl thematisch als auch wegen der hohen Datenmengen sehr belastend für die Kollegen. Umfangreich sind zudem Verfahren gegen Ultra-Straftäter aus dem Fußballbereich, Ermittlungen im Bereich Cyberkriminalität und Wirtschaftsverfahren wie Cum-Ex-Geschäfte, Panama Papers und Steuer-CD-Verfahren.

Lässt sich bei dieser Menge denn noch in die Tiefe ermitteln? Oder geht es eher darum, die Aktenberge irgendwie vom Tisch zu kriegen?

Klaas: Man kann schon noch in die Tiefe ermitteln. Es gab allerdings Zeiten, da hatten wir Spitzenwerte von weit über 900 Verfahren pro Staatsanwalt pro Jahr in einem allgemeinen Dezernat. Da geht dann tatsächlich nicht mehr viel. Wir haben einiges dafür getan, die Zahl zu senken, etwa indem bei Bedarf einzelne Kollegen für größere Verfahren freigestellt werden.

Wo liegt die Zahl im Augenblick?

Roth: Zwischen 700 und 800.

Klaas: Mit ungefähr 750 kann ein Kollege vernünftig arbeiten. Es kommt auf eine sinnvolle Steuerung an: 800 große Verfahren pro Jahr schafft niemand alleine, aber 800 Verfahren wegen Schwarzfahrens würden jeden Kollegen unterfordern. Wir haben ein flexibles System eingeführt.

Im derzeit laufenden Prozess um den Einsturz des Stadtarchivs stehen zehn Verteidiger aus teils hochspezialisierten Großkanzleien einem einzigen Staatsanwalt gegenüber. Kann man da eigentlich noch von Waffengleichheit sprechen?

Klaas: Ich denke schon. Wir haben das schließlich gelernt. Ich hatte selbst solche Verfahren. Die können durchaus anstrengend und anspruchsvoll sein, man muss sehr seine Sinne schärfen. Aber mit den gelernten Routinen kann man es schaffen. Und wenn es nötig ist, sitzen auch schon mal bis zu drei Staatsanwälte gleichzeitig in einem Verfahren.

Welche Charaktereigenschaften braucht ein guter Staatsanwalt?

Roth: Ein dickes Fell. Sonst kriegt man Schwierigkeiten.

Klaas: Gelassenheit. Man wird häufig beschimpft, auch heftig. Man muss ständig hellwach sein und spontan reagieren können, zum Beispiel dazwischen grätschen, wenn Zeugen von Verteidigern in unzulässiger Weise angegriffen werden. Und man muss vor Publikum sprechen können.

Hatten Sie Lampenfieber?

Klaas: Ja, bei größeren Verfahren vor jedem Plädoyer. Aber sobald ich aufgestanden bin und „Hohes Gericht“ gesagt habe, war das weg. Ein bisschen Aufregung ist nicht verkehrt. Das gibt einem den Adrenalinschub, den man braucht, um das Plädoyer mit der notwendigen Wachsamkeit rüberzubringen.

Roth: Der Beruf muss einem einfach Freude bereiten. Es mag abgedroschen klingen, aber: Das Gefühl, jeden Tag auf der richtigen Seite zu stehen, gibt mir Kraft.

Klaas: Wir sind bei den Guten.

Es gibt aber auch kaum einen Beruf, in dem man so viel Schlechtes vom Menschen sieht. Hat das Ihr Menschenbild über die Jahre verändert?

Klaas: Sie kriegen kein schlechteres, aber ein anderes, ein tieferes Bild. Ich habe fünf Jahre Verfahren wegen ärztlicher Behandlungsfehler bearbeitet. Da kriegt man mit, was bei Operationen alles schiefgehen kann, auch ohne dass jemand Schuld hätte. Ein junger Mensch stirbt, weil er auf ein Narkosemittel falsch reagiert hat. Das nimmt einen irgendwann mit. Und wenn man merkt, dass einen so etwas prägt, ist es Zeit zu wechseln. Ich bin dann in den Bereich Organisierte Kriminalität gegangen.

Roth: Ich glaube nach wie vor fest an das Gute im Menschen. Ich habe es mir zur Lebensaufgabe gemacht, meinen bescheidenen Teil dazu beizutragen, dass die Schlechten verfolgt werden. Das treibt mich bis heute an.

Welche Verfahren sind Ihnen persönlich nahe gegangen?

Klaas: Zuletzt die Raserverfahren. Diese Fälle beeindrucken mich sehr. Zum einen, weil sie rechtlich anspruchsvoll sind. Aber auch, weil meine Gedanken oft bei den Familien der Getöteten sind. Ich denke darüber nach, wie es wäre, wenn das in der eigenen Familie passieren würde. Da reagiere ich wie jeder andere auch.

Roth: Die getötete Studentin vom Auenweg war eine Studienkollegin meiner Tochter. Da besteht dann plötzlich auch ein privater Bezug. Das bleibt im Gedächtnis.

Jetzt sitzen wir seit einer Stunde in Ihrem – mit Verlaub – eher kleinen Büro. Sie haben noch keinen Kollegen zusammengefaltet, hatten noch keinen Wutausbruch. Als „Tatort“-Zuschauer könnte man überrascht sein. Staatsanwälte im Fernsehen...

Roth: ... gießen immer ihre Pflanzen! Immer!

Klaas: Und die Vorzimmerdame hat drei dünne Akten auf dem Tisch liegen, höchstens. Und das soll dann das Arbeitspensum für eine ganze Woche sein.

Dann mögen Sie den „Tatort“ wohl eher nicht.

Roth: Doch! Das ist eine Pflichtveranstaltung, ich sehe den jeden Sonntagabend mit meiner Frau und meiner Tochter. Ich habe auch „Danni Lowinski“ geguckt, fand ich lustig. Ich schaue nicht so streng hin, wie die Staatsanwälte dargestellt werden. Das kann ich trennen.

Klaas: Das ist bei mir ein bisschen anders. Natürlich geht es da um Unterhaltung. Das akzeptiere ich, und ich finde es ja selbst unterhaltsam und spannend. Aber das Bild vom Staatsanwalt ärgert mich trotzdem manchmal: Die wohnen in großen Villen, haben einen teuren Dienstwagen, oft mit Fahrer. Sie werden als Hinderer dargestellt, die der Polizei Knüppel zwischen die Beine werfen. Der Haftbefehl kommt aus heiterem Himmel, Zeugen und Beschuldigte werden nicht belehrt. Letztens wurde sogar ein Kind angehört, ohne dass die Eltern dabei waren. Da sagte ich zu meiner Frau: Das dürfen die gar nicht!

Was hat sie geantwortet?

Klaas: Sie sagte: Gut, wir schalten um. Sie meint immer, mit mir könne man keine Krimis gucken.

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