Kriminalität„Kein Widerstand, wir sind versichert“

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Kadir Tercanli hat seine Spielhallen mit Überwachungskameras und Alarmanlagen ausgestattet. Dennoch wurde „Medusa-Play“ in Mechernich in den letzten vier Jahren vier Mal überfallen. (Bild: Sprothen)

Kadir Tercanli hat seine Spielhallen mit Überwachungskameras und Alarmanlagen ausgestattet. Dennoch wurde „Medusa-Play“ in Mechernich in den letzten vier Jahren vier Mal überfallen. (Bild: Sprothen)

Mechernich – Der Alptraum einer Kassiererin war für Katharina Oczko am 7. Juli zur bitteren Realität geworden. Drei maskierte Männer hatten der Mitarbeiterin der Spielhalle „Medusa-Play“ an der Turmhofstraße nachts gegen 1 Uhr eine Pistole unter die Nase gehalten und die Herausgabe des Bargelds gefordert. Bei einem Besuch des „Kölner Stadt-Anzeiger“ machte sich die junge Frau schon wieder Gedanken darüber, „ob meine Frisur auch richtig sitzt“. Aber dass sie das Verbrechen seelisch noch nicht ganz verarbeitet hat, räumte Oczko dann doch ein: „Ich habe schauspielerisches Talent.“

Das muss sie wohl auch haben. Ihre Kollegin Nicole Werner hätte nach einem solch einschneidenden Erlebnis „hier nicht mehr weitergearbeitet“. Bis 1 Uhr hat „Medusa-Play“ geöffnet. Katharina Oczko hatte den Laden in der Tatnacht bereits abgeschlossen. Als sie die Tür öffnete, um den Heimweg anzutreten, standen ihr unvermittelt drei maskierte Männer gegenüber. Mindestens einer hatte eine Schusswaffe dabei, mit der er die Kassiererin bedrohte. So manch eine andere junge Frau hätte nach einem solchen Horrorszenario nie mehr eine Spielhalle betreten. Katharina Oczko hängte ihren Job nicht an den Nagel. So gefährlich sei der Beruf auch wieder nicht, wenn „wir die Anweisungen unseres Chefs befolgen“. Dessen Direktive an die Kassiererinnen ist klar: Wir sind versichert, bloß keinen Widerstand leisten, anstandslos den Inhalt der Kasse rausrücken.

Kadir Tercanli hat diesen Verhaltenskodex ausgegeben. Der 44-Jährige betreibt seit zwölf Jahren Spielhallen. Zu seiner GmbH gehören zwölf Betriebe in Köln, Hürth, Lechenich, Liblar, Euskirchen, Zülpich und das besagte „Medusa-Play“ in Mechernich. Fast alle Spielhallen wurden bereits überfallen - die meisten sogar mehrfach. Die Taten laufen laut Tercanli fast immer nach dem gleichen Schema ab.

Spielhallenüberfälle gehen nahezu ausnahmslos zu Beginn oder am Ende der Öffnungszeiten über die Bühne. An Publikumsverkehr sind die Räuber verständlicherweise nicht interessiert. Und eine Leistungsshow von Hochbegabten ist die Chose offenkundig nicht. Tercanli: „Wer intelligent ist, überfällt keine Spielhalle.“

Die Täter rekrutieren sich vielfach aus der früheren Stammkundschaft. In Tercanlis Spielhalle an der Euskirchener Wilhelmstraße, die vor drei Jahren beraubt wurde, war der Haupttäter zuvor häufig zu Gast gewesen. Der Mann hatte sich zwar maskiert und vor der Tat umgezogen, auf seine äußerst seltenen Sportschuhe wollte er aber nicht verzichten. Die Kassiererin erkannte den Täter an seinem außergewöhnlichen Schuhwerk wieder, kurz nach dem Überfall klickten die Handschellen.

Ziemlich „clever“ hatte sich auch ein Wuppertaler angestellt, der eine Tercanli-Spielhalle in Köln ausraubte. Er hatte zuvor zwei Tage lang den Tatort gründlich ausbaldowert und an allen Geräten seine Fingerabdrücke hinterlassen - um dann unmaskiert zur Tat zu schreiten. Anhand eines Fotos aus der Überwachungskamera und der Fingerabdrücke war der vorbestrafte Täter rasch dingfest gemacht.

Hohe Strafen drohen

So unprofessionell die Tatbegehung auch sein mag: Für Erwachsene beträgt die Mindeststrafe bei einem schweren Raub unter Verwendung von Waffen fünf Jahre. Das gilt auch für täuschend echt aussehende Spielzeugpistolen, schließlich wähnt sich das Opfer auch in diesem Fall in Lebensgefahr. Die Beute, für die die Täter lange Jahre hinter Gittern verschwinden können, ist bei Überfällen auf Spielotheken indes zumeist läppisch. Katharina Oczko: „Wir sind keine Goldgrube.“ Bei dem Raub am 7. Juli an der Turmhofstraße fielen den Tätern gerade mal 320 Euro in die Hände. Tercanli: „Wir haben ganz bewusst immer nur ganz geringe Bargeldbestände in der Kasse, die lediglich bei Bedarf von mir nach einem Anruf wieder aufgestockt werden.“

In den Täterkreisen scheint sich das aber nicht rundgesprochen zu haben. Mit vier Überfällen in den vergangenen vier Jahren ist „Medusa-Play“ in Mechernich der unrühmliche Spitzenreiter aller zwölf Spielotheken Tercanlis: „Die Turmhofstraße ist ein sozialer Brennpunkt und ein unsicheres Pflaster.“ Umso mehr vermisst er Streifenwagen, die zumindest in den Zeiten rund um den Geschäftsschluss in der Turmhofstraße Flagge zeigen. Die Polizeipräsenz in Mechernich sei nach wie vor mangelhaft, er fühle sich von den Beamten nicht geschützt.

Tercanli verlässt sich da lieber auf sich selbst. Alarmanlagen und Überwachungskameras, die jeden Winkel der Spielhallen abdecken, sind bereits in allen Geschäften installiert. Der 44-Jährige will aber noch weitere Sicherheitsvorkehrungen einbauen, die Ganoven das Leben schwermachen. Tercanli denkt auch darüber nach, einen bargeldlosen Spielbetrieb einzuführen.

Diese Systemumstellung sei zwar mit hohen Kosten verbunden, und es mache längst schon „keinen Spaß“ mehr, eine Spielhalle zu betreiben. „Aber was will ich machen? Das ist mein Broterwerb.“ Und Katharina Oczko fügt hinzu: „Es geht dabei auch um einen Job.“ Auf den legt die junge Frau großen Wert, auch wenn sie „vor dem Überfall selbst nachts ohne Furcht den Hof kehren konnte, das kann ich heute nicht mehr“.

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